16. Jahrgang | Nummer 25 | 9. Dezember 2013

Wurst, Fußball und Steuerbetrug: Der Fall Hoeneß

von Ulrich Busch

Steuerbetrug gehört zu den am meisten vorkommenden Straftaten in Deutschland und in der Welt, aber auch zu den mit Abstand am wenigsten verfolgten und geahndeten kriminellen Handlungen. Dafür muss es Gründe geben, wenn schon keine guten, so doch nachvollziehbare. Zwei davon sollen hier erörtert werden:
Erstens ist es eine Tatsache, dass, obwohl Steuerkriminalität heute beinahe so etwas wie ein Volkssport ist, besonders zwei Gruppen von Menschen auffällig oft zu Steuerbetrügern werden: Prominente aller Couleur, also Unterhaltungskünstler, Spitzensportler, Politiker sowie Unternehmer, Gewerbetreibende, Selbständige. Die Erklärung dafür liegt natürlich, vordergründig betrachtet, im überdurchschnittlichen Einkommen dieses Personenkreises und mithin in der relativ hohen Steuerbelastung. Dies allein kann es aber nicht sein, was sie zu Steuerbetrügern macht, das wäre zu simpel. Ihre besondere Anfälligkeit für Steuerdelikte hat auch etwas mit ihrer Stellung in der Gesellschaft zu tun, mit der Tatsache, dass sie sich als gesellschaftliche Elite empfinden, als Leistungsträger und Ausnahmemenschen. Als solche sehen sie sich über Staat und Gesellschaft stehend. Die finanziellen Bedürfnisse des Staates gehen sie folglich nichts an. Ebenso wenig interessieren sie die aus dem Gesellschaftsvertrag resultierenden Regeln, die für den Normalbürger die Versteuerung seiner Einkommen zur staatsbürgerlichen Pflicht machen. Solidarität? Ja, aber wenn, dann selbstbestimmt und nicht, weil der Staat es vorschreibt. Und nur so viel, wie man für richtig hält. Die Steuerpflicht gilt für die anderen, man selbst genießt die Freiheit.
Zweitens fällt auf, dass der Steuerbetrug in der Bevölkerung auf vergleichsweise großes Verständnis stößt und selbst da, wo er juristisch verfolgt wird, auf maximale Kulanz trifft. Dies wird bereits in den Abstufungen und der unterschiedlichen juristischen Behandlung der Steuerdelikte evident: So unterscheidet das Steuerrecht bei unrichtigen Angaben in der Steuererklärung oder dem Verschweigen bestimmter Bezüge zwischen leichtfertiger oder fahrlässiger Steuerverkürzung und vorsätzlicher Steuerverkürzung. Beides zieht keine nennenswerten Strafen nach sich. Erst die aktive, bewusste und schuldhafte Steuerhinterziehung gilt wirklich als Straftat und wird, zumal wenn sie bestimmte Grenzen überspringt, empfindlich bestraft. Aber selbst dann bleibt immer noch ein gewichtiger Unterschied gegenüber anderen Delikten: Ein gewöhnlicher Scheckbetrüger, Einbrecher oder Ladendieb verliert, wenn er überführt wird, sehr rasch sein Ansehen in der Gesellschaft. Selbst nach Verbüßung der Strafe haftet ihm der Makel eines Kriminellen an. Nicht so beim Steuerbetrüger. Er gilt als Ehrenmann, ob verurteilt oder nicht. Es gibt wohl keine zweite Form der Kriminalität, die moralisch so wenig geächtet wird wie die Steuerhinterziehung. Die laxe Steuermoral aber, die sich hierin zeigt, bildet den Boden für das anmaßende Auftreten von Steuerbetrügern wie Uli Hoeneß.
Hoeneß, erfolgreicher Wurstfabrikant und Top-Manager im Aufsichtsrat des FC Bayern München, ist angeklagt, 3,2 Millionen Euro an Steuern mittels Konten im Ausland hinterzogen zu haben. Ihm soll deshalb im März 2014 der Prozess gemacht werden. 3,2 Millionen – das ist eine beachtliche Summe. Da kommen ein Ladendiebstahl oder ein Wohnungseinbruch nicht heran. Und trotzdem hat das Ansehen von Herrn Hoeneß in der Öffentlichkeit bisher kaum gelitten. Selbst seine Ehrenämter und hochdotierten Funktionen übt er größtenteils weiter aus. Andere, bereits verurteilte Steuerbetrüger stehen ihm bei und üben öffentlich Solidarität. In der Presse wird von stehenden Ovationen tausender Fußballfans für Hoeneß berichtet. Dies beweist, dass Steuerhinterziehung in weiten Kreisen der Bevölkerung, ganz besonders aber in den dafür besonders prädestinierten Gruppen, überhaupt nicht als kriminelles Delikt empfunden wird. Sie wird eher als raffinierter Trick gewiefter Unternehmer und Finanzjongleure angesehen denn als verwerflicher krimineller Akt. Und auch das geradezu zynische Verhältnis gegenüber dem Staat, dem durch den Steuerbetrug Einnahmen in Milliardenhöhe entzogen werden, von dem andererseits aber gefordert wird, mehr für Sozialleistungen auszugeben, für Subventionen und für Investitionen, ist typisch für unsere Zeit und für bestimmte Kreise.
Im Fall Hoeneß kommt etwas hinzu, was nicht alle Steuerbetrüger für sich in Anspruch nehmen können, ein „Fußballbonus“. Da Fußball derzeit die populärste Form aller Sportevents ist, genießen ihre Vertreter besonderes Ansehen beim Publikum und können sich daher einiges mehr erlauben als andere. Ob dieser Bonus auch juristisch zählt, wird sich im Frühjahr zeigen, wenn Hoeneß vor Gericht steht. Im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes der Rechtsprechung ist zu hoffen, dass es hier keinen Bonus gibt, sondern eine angemessene Strafe. Eine Steuerhinterziehung in Höhe von 3,2 Millionen Euro ist kein Kavaliersdelikt und sollte deshalb auch nicht wie ein solches enden, mit einer Verwarnung und einem schlappen Vergleich. Ob das Publikum für seinen „Fußballgott“ eine angemessen hohe Strafe begrüßen wird, ist allerdings eine offene Frage. Wahrscheinlich nicht.
Was hier aufgeht, ist die Saat der neoliberalen Ideologie, welche den privaten Unternehmer und cleveren Manager über alles stellt, dem Staat aber ständig bescheinigt, nicht mit Geld umgehen zu können. Hoeneß wusste sehr gut mit Geld umzugehen: auf seinen Konten bei Schweizer Banken soll er mehr als 500 Millionen Schweizer Franken deponiert haben. Und auch in Deutschland besitzt er ansehnliche Vermögenswerte. Vermutlich Gewinne aus der Wurstfabrikation. Dass diese nicht ordentlich versteuert wurden, spricht nicht gerade für eine hohe Wirtschaftskultur, worauf Bayern doch so stolz ist. Die Konsequenz wäre, nicht nur über Steuerschulden und wie man deren Zahlung gerichtlich durchsetzen kann, nachzudenken, sondern auch über Steuerpolitik und über Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit. Denn eins dürfte klar sein: Der Fall Hoeneß ist nur die Spitze des Eisbergs. In Deutschland existiert ein riesiger Koloss akkumulierter privater Geldvermögen, welche teils legal, teils illegal erworben wurden, heute der Gesellschaft aber vorenthalten oder entzogen werden. Die Thematisierung dieses Missstandes wäre der positive Beitrag des Falls Hoeneß zur deutschen Finanz- und Wirtschaftskultur.