von Heinz Jakubowski
Es war diese Sehnsucht nach der Freiheit meines Volkes, in Würde und Selbstachtung zu leben, die mein Leben beseelte, die einen erschreckten jungen Mann in einen kühnen verwandelte, die einen gesetzestreuen Anwalt zu einen Kriminellen machte, die einen Ehemann, der seine Familie liebte, in einen Mann ohne Heim und Heimat verwandelte, die einen lebensfrohen Mann zwang, wie ein Mönch zu leben …
Nelson Mandela
Wer in realsozialistischen Gefilden sozialisiert worden ist, der war von Säulenheiligen diversester Größe auch dann regelrecht umgeben, als der Personenkult schon mildere Formen als bei Stalin angenommen hatte. Und es bedurfte nicht erst der Sockelsprengung von 1989, um zu erkennen, dass es sich um „normale“, oft genug auch recht schlichte, Naturen handelte, die einem dort ikonenhaft als Vorbilder dargeboten wurden.
Nein, Heilige in der Politik gibt es nicht. Gesetzt aber den Fall, dieses Prädikat wäre denn doch zu vergeben, dann käme in der Neuzeit der Geschichte wohl nur eine Person dafür in Frage: Nelson Mandela.
27 Jahre – die besten seines Lebens also – hat „Madiba“, wie er respekt- und liebevoll mit seinem Clan-Namen angeredet wurde, in Apartheid-Gefängnissen zubringen müssen. Nach Mandelas Freilassung durch das schon geschwächte Rassistenregime befürchtete man in aller Welt – gemäß bitterer Erfahrung mit politischen Dammbrüchen – eine Generalabrechnung der schwarzen Südafrikaner mit den weißen Herren, ja einen Bürgerkrieg in Südafrika. Mandela jedoch setzte sich noch am ersten Tage seiner wiedergewonnenen Freiheit für Versöhnung ein. Eine schwierige Aufgabe angesichts der Verbrechen des Apartheid-Regimes. Er rief „alle Menschen, die die Apartheid aufgegeben haben“ zum Mittun an einem „nichtrassistischen, geeinten und demokratischen Südafrika“ auf. Mandela war es, der jene „Wahrheitskommission“ einsetzte, die unter der Leitung des anglikanischen Erzbischofs Desmond Tutu Opfer und Täter in einen Dialog über das wenn auch konträr, so doch gemeinsam Erlebte zu bringen, und so den schweren Weg zur Versöhnung zu ebnen. Selten hat eine Persönlichkeit die Auszeichnung als Friedensnobelpreisträger mehr verdient als er.
Weder bei diesem schmerzhaften Dialog noch bei weiteren Veränderungen der südafrikanischen Verhältnisse weg vom Rassismus sind – zurückhaltend formuliert – alle Blütenträume gereift. Mandela hatte dies auch nie in Aussicht gestellt, auch die Wahrheitskommissionen musste sich Defizite nachsagen lassen. Aber welch unglaubliche Leistung! Man stelle sich einmal vor, wie der Prozess einer wirklichen deutschen Einheit hätte verlaufen können, wenn ein solch humanistisches Herangehen an die Aufarbeitung von Geschichte bei den zwischen Rhein und Oder Siegreichen das Maß des Handelns gewesen wäre.
Madiba hielt seine Versprechen. So gab er – trotz seiner damals 81 Jahre allemal noch handlungsfähig –1999 sein Präsidentenamt wie angekündigt ab. Auch dieser Vorgang ist in den politischen Gefilden des jeweiligen Olymps eher unüblich. Sein Dasein hat eine von keiner politischen Seite infrage gestellte Integrationswirkung ausgestrahlt. Sie hat nun ihr Ende gefunden, aber vor persönliche Entscheidungen gestellt, wird sich mancher Mensch am Mut Mandelas orientieren. Das bleibt.
Wenn man mit 95 Jahren stirbt, kann es niemanden überraschen. Sehr, sehr traurig macht Mandelas Tod dennoch. Die Welt von heute hat einen in seiner Würde und Bescheidenheit, in seinem Mut zum Kampf und zum Vergebenkönnen ganz Großen verloren.
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