16. Jahrgang | Nummer 26 | 23. Dezember 2013

Film ab

von Clemens Fischer

Der Titel des Films ist nicht nur selten blöde – oder, wem das zu hart ist: phantasielos –, sondern er verweist überdies auch noch auf Julia Roberts und Komödie und damit gleich zwiefach in die völlig falsche Richtung. Wer aufgrund dadurch verursachter Assoziationen den Weg ins Kino gefunden und damit jeden Grund zur Enttäuschung hat, der sollte trotzdem sitzen bleiben, denn außer am Titel gibt es an diesem Streifen nichts zu meckern – im Gegenteil. Das gilt zuvorderst dafür, dass die verhaltene Steffi Kühnert endlich mal nicht nur mit einer Nebenrolle besetzt ist. Auch darin war sie schon in Erinnerung bleibend – man denke nur an „Halbe Treppe“ –, aber sie kann halt sehr viel mehr. Wie sie allein, nur mit ihrer Mimik und Gestik, mit ihrer Körpersprache mehr als einmal die Riesenleinwand füllt, das greift ans Herz, ist ganz großes Kino.
Handlungsstränge werden hier, wie üblich, allenfalls angerissen. Die Besprechung soll den Kinobesuch ja nicht nur nicht ersetzen, sondern auch nichts von der zu erwartenden Spannung zerplaudern. Aber neugierig machen soll sie natürlich schon.
Also: „Die Frau, die sich traut“ …
… ist ein Film darüber, dass man seine Lebensträume verwirklichen soll, bevor man sie vergessen hat. Auch weil es zu spät dafür sein könnte, wenn sie einem später wieder einfallen.
… ist nicht weniger ein Film darüber, dass Opfer und Täter immer zusammengehören. (Zum Beispiel eine Mutter, die unter selbstverständlicher Verleugnung aller eigenen Bedürfnisse und Interessen für ihre längst erwachsenen Kinder immer noch ein Höchstmaß elterlicher Serviceleistungen bereit stellt, und Plagen, denen nicht nur jedes Empfindungsvermögen dafür abgeht, dass etwas Gravierendes passiert sein muss, wenn das gewohnte Rundum-Sorglos-Paket plötzlich verweigert wird, sondern die darüber hinaus das Wort Egoismus auch noch durchgängig in Versalien schreiben und dieser Mutter die Vernachlässigung ihrer Pflichten dann brutal unter die Nase reiben.)
… ist des Weiteren ein Film darüber, dass man Freunde besser nicht dadurch überstrapaziert, dass man sie in existenzielle Geheimnisse einweiht und ihnen im Übrigen strikt verbietet, mit allen anderen davon Betroffenen auch nur ein Wort darüber zu reden.
… ist nicht zuletzt ein Film darüber, dass wer besonders billigt kauft, häufig fehl kauft, beziehungsweise dass für den, der das nötige Geld jetzt für anderes braucht, der Verzicht auf Schnäppchen allemal besser ist, als einen Gebrauchtwagen auch noch mattschwarz umspritzen zu lassen.
… ist schlussendlich überdies ein Film für Inhaber des „Seepferdchens“ und andere Wasserratten – diese belehrend, dass sich beim Durchschwimmen des Ärmelkanals selbst bei leidlich freundlichem Wetter Dinge ereignen können, die nicht zuvor trainierbar sind.
Immer wenn ich im Kino war und vermute, der Streifen könnte meine Liebste auch interessieren – und sei’s später von der Konserve – dann erzähle ich ihr keinesfalls mehr als hier. Stets aber will sie wissen: „Geht es schlimm aus?“ Das ist ja so eine typische Frauenfrage, die mit Ja oder Nein beantwortet werden soll, aber keineswegs immer kann. Zum Beispiel: Ist „schlimm“, was erwartbar war?
Im vorliegenden Fall teilt sich der Fortgang der Handlung nach Filmende über den letzten Titel der Filmmusik mit. Der ist vor vierzig Jahren schon einmal genau so eingesetzt worden. Auch damals ging es um eine Frau, die – vor eine folgenschwere Entscheidung gestellt – nicht die üblichen Vernunftsgründen gemäße Alternative wählt.
„Die Frau, die sich traut“, Regie: Marc Rensing; derzeit in den Kinos.

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Dieser Animationsfilm erinnert nur noch so entfernt an die klassische „Schneekönigin“ von Hans Christian Andersen, dass man die Vorlage eigentlich gar nicht erwähnen bräuchte. Vielleicht wurde dem Filmtitel „Die Eiskönigin“ (amerikanisch nur „Frozen“) für die deutschen Kinos deswegen die ansonsten gänzlich sinnlose Hinzufügung „Völlig unverfroren“ beigegeben.
Dass der Streifen in der nachfolgenden Besprechung doch glimpflich davonkommt, hat Walt Disney Pictures vor allem Felipe – fünf Jahre – zu danken. Das ist der andere meiner Enkel, mit dem ich hin und wieder ins Kino gehe.
Mir krampfte sich der Magen zusammen, als die Geschichte gleich ziemlich zu Anfang und ohne Vorwarnung ins Musical-Fach abglitt. (Der Trailer hatte – ich unterstelle: aus gutem Grunde – jede Anspielung in diese Richtung vermieden. Aber man weiß ja: Trailern ist allenfalls hinterher zu trauen!) „Sch…-Hollywood-Kitsch“, schoss es mir durch den Kopf. Und für die jüngsten Jahrgänge damit völlig unverständlich. Aber irgendwie muss ein Teil der Macher trotz allem so ähnlich empfunden haben, denn insgesamt waren es dann nur sehr wenige Gesangseinlagen.
Felipe ließ sich davon nicht stören. Er fieberte mit den Helden, Prinzessin Anna, Eismann Kristoff und Rentier Sven sowie Schneemann Olaf, er rief Sven aus vollem Herzen quer durchs Kino zu: „Spring!“, als dieses, von grimmigen Wölfen gehetzt, auf eine tiefe Schlucht zu rast. Er flüsterte besorgt: „Aber da schmilzt Du doch“, als Olaf davon fabuliert, wie wohl er sich im Sommer in knalliger Sonne fühlen würde, und der Enkel schlug die Hände vors Gesicht, als das grauslige Schneemonster über die Leinwand tobte. Im Finale war er völlig d’accord, als der falsche Fuffziger Prinz Hans – natürlich ohne ernsthaft Schaden zu nehmen – über eine Reling ins Wasser gekinnhakt wird, und Felipes abschließendes Urteil über den Film lautete schlicht und ergreifend: „Cool.“ Damit war dann ganz augenscheinlich nicht nur die auf der Leinwand vorherrschende Betriebstemperatur gemeint.
„Die Eiskönigin – Völlig unverfroren“, Regie: Chris Buck, Jennifer Lee; derzeit in den Kinos.