von Clemens Fischer
Wer die Folksongs von Sängern wie Dave van Ronk und Bob Dylan aus den frühen 1960er Jahren immer noch gern hört, der wird diesen Film allein deswegen lieben. „Inside Llewyn Davis“, der neue Streifen von Joel und Ethan Coen, liefert eine Fülle nicht nur an-, sondern ausgespielter Titel und dazu noch das Gesicht New Yorks aus jener Zeit und die Atmosphäre der drittklassigen, verräucherten Bars – im Film des legendären Gaslight Cafés in Greenwich Village –, in denen Nachwuchstalente zwar gnadenlos ausgebeutet wurden, junge Frauen auch physisch, aber zugleich die Chance erhielten, durch ihre Auftritte so etwas wie eine Karriere ins Rollen zu bringen.
Dass die frühen van Ronk und Dylan den Coens tatsächlich Pate gestanden haben dürften, dafür gibt es einige Indizien. An einer entscheidenden Stelle des Films, unmittelbar bevor die Künstlerlaufbahn des Helden Llewyn (der walisische Doppelkonsonant im Anlauf wird einfach wie „l“ ausgesprochen) Davis möglicherweise ihren gnadenlosen Gnadenstoß erhält, schlägt dieser ein paar Akkorde des Kokain Blues an, den van Ronk und Dylan damals häufig sangen und auch später im Repertoire hatten. Und nach dem letzten Gaslight-Auftritt des Helden betritt ein Barde die Bühne, dessen Silhouette eindeutig Bob Dylan covert und der mit dessen Stimme Farewell zu Gehör bringt. Im Abspann schließlich singt der 2002 viel zu früh verstorbene Dave van Ronk Green Green Rocky Road.
Insgesamt aber ist der Film vor allem ein Hymnus auf jene Hekatomben von jungen namenlosen Talenten, die damals auch nicht schlecht waren, aus deren Menge und Mitte die wenigen Unvergesslichen hervorgegangen sind und die selbst nie die Gaslight Cafés hinter sich lassen konnten. Llewyn Davis (sehr überzeugend, auch was die Singstimme anbetrifft: Oscar Isaac) ist so einer, dessen Songs zwar anrühren, zu dem ein Impresario (cool, ohne jede Regung: F. Murray Abraham) nach einem Vorspiel aber lediglich lapidar meint: „Viel Geld höre ich da nicht.“ Er solle besser einer Band beitreten.
Dieser Llewyn Davis, ohne regelmäßiges Einkommen, ohne eigene vier Wände, ständig von Freunden zu Bekannten herumziehend und dabei ewig schnorrend, wird durchaus warm und sympathisch gezeichnet, aber Mitgefühl will sich beim Zuschauer trotzdem nicht recht einstellen. Denn Frauen gegenüber benimmt sich Llewyn nicht nur einmal wie ein echtes Arschloch (O-Ton, auch nicht nur einmal!).
„Inside Llewyn Davis“ wäre im Übrigen kein Film der Coen-Brüder, wenn dem Ganzen nicht eine gehörige Portion schicksalhafter Absurditäten beigemischt wäre. In diesem Fall nach dem Murphyschen Motto „Alles, was schief gehen kann, geht schief.“ – und darüber hinaus durchaus noch ein bisschen mehr. Schließlich gelten die Brüder ja nicht als Meister der Tragödie sondern der Tragikomödie.
Und warum „Inside Llewyn Davis“? Das wird hier nicht verraten. Nur so viel: Wörtliches Übersetzen führt eher in die Irre.
P.S.: Wer nach Besuch dieses Films erwägt, sich eine (rote) Katze zuzulegen, dem sei gesagt – diese Tiere füttert man nicht mit Milch, schon gar nicht ausschließlich; das bringt ihren Darm durcheinander.
„Inside Llewyn Davis“, Regie: Joel und Ethan Coen; derzeit in den Kinos.
*
Was zu erwarten ist, wenn sich zwei Altmeister der Apokalypse, noch dazu mit Hang zum Philosophieren über jene letztlich unkalkulierbaren Faktoren, die den Stein auf dem Abhang ins Verderben überhaupt erst ins Rollen bringen, zusammentun, liegt auf der Hand. Und dies umso mehr, wenn es sich dabei um Ridley Scott (Alien, Blade Runner), Regie, und Cormac McCarthy (No Country for Old Men, Die Straße), Drehbuch, handelt.
Das kann dann trotzdem ein hochmoralischer Film werden – etwa zur eindrücklichen zeitgenössischen Vermittlung der alttestamentarischen Mahnung, wonach, wer sich in Gefahr begibt, darin umkommt (Jesus Sirach 3, 27), sowie des Sachverhaltes, dass dies auch – und vielleicht sogar ganz besonders – für Zeitgenossen gilt, die im Drogengroßhandel das schnelle Geld machen wollen. Selbst Wissensvermittlung der eher unerwarteten Art kann vorkommen – etwa wenn Bruno Ganz in einem kurzen Auftritt als Amsterdamer Juwelier eine kleine Lektion über Diamanten und den Zusammenhang von deren stofflicher Zusammensetzung und Farbe hält. Das bekäme man bei der Urania auch nicht kompetenter geboten.
Apropos Wissensvermittlung: Schon eher im Einzugsbereich der Apokalypse bewegt sich die im Dialog zweier der Hauptdarsteller aufgeworfene und beantwortete Frage, was ein Bolito sei. Das mag nach etwas Nettem klingen, nach südamerikanischem Tanz oder exotischem Cocktail, ist tatsächlich aber ein Accessoire für Profikiller: eine Schlinge aus dünnem, extrem zug- und schnittfestem High-tech-Draht mit einem kleinen, Batterie getriebenen Motor. Die wird dem Opfer – quasi im Vorübergehen, etwa durch einen Jogger – über den Kopf geworfen. Der Motor zieht die Schlinge ebenso rasch wie unaufhaltbar zu, und noch vor dem Erdrosseln wird dem Delinquenten die Halsschlagader durchtrennt. Dem Zuschauer mag diese nur verbale Erläuterung möglicherweise bis zum Ende des Films schon wieder entfallen sein. Es passiert in der Zwischenzeit wirklich genug, solches Vergessen zu befördern. Aber kurz vor Schluss wird das Gerät dann praktisch vorgeführt. Mit viel Liebe zum Detail – zum Beispiel dahingehend, was passiert, wenn das Opfer mit den Händen in den Draht greift, um sich gegen die Schlinge zu schützen. Wer im Kino an dieser Stelle nicht die Augen schließt, wird die Wirkungsweise danach ganz gewiss nicht wieder vergessen.
Der Streifen heißt „The Counselor“, und dass der erste Teil der Paarung sex and crime insgesamt keine große Rolle spielt, wird – durchaus vergleichbar mit der Bolito-Episode – durch die Extravaganz des Dargebotenen mehr als wettgemacht. Und damit ist jetzt nicht die Eingangssequenz gemeint, in der Penélope Cruz zwischen den Laken vorführt, dass, was Meg Ryan in „Harry und Sally“ nur imitiert hat, auch tatsächlich vorkommt, sondern Cameron Diaz, die ein Ferrari Cabriolet auf eine Weise zweckentfremdet, die mir ohne diesen Film auch im Traume nicht eingefallen wäre. Und ein hübsches Kompliment ist zu hören, dass Mann sich zur gelegentlichen Nachnutzung merken könnte: „Leben ist, mit Dir im Bett sein. Der Rest ist nur Warten.“
„The Counselor“, Regie: Ridley Scott; derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Bob Dylan, Clemens Fischer, Cormac McCarthy, Dave van Ronk, Ethan Coen, Joel Coen, Ridley Scott