von Marian Krüger
Prostitutionsverbot, Tierschutz, Snowden-Asyl – kaum ein Lebewesen auf dieser Erde ist vor Prominentenappellen sicher. Oberflächlich ähneln unsere Promis damit den Teppichwebern aus Kujan-Bulak, die einen ehren, der Großes geleistet hat, indem sie sich selbst nützen. Das sind in diesem Falle DJ WestBam, ganz unvermeidlich Alice Schwarzer, nebst Monika Maron und Udo Lindenberg, die gemeinsam mit den Politikern, Gregor Gysi, Heiner Geißler, Sylvia Löhrmann und Ulla Schmidt und verschiedenen anderen mehr, ihre klangvollen Namen im Spiegel unter den Asylappell für den US-Whistleblower Edward Snowden setzten. Doch nicht von allen Beteiligten lässt sich vermuten, dass sie Snowden so gut verstanden hatten, wie die Teppichweber in Brechts Gedicht den Genossen Lenin.
Für den 82-jährigen Friedensaktivisten Daniel Ellsberg geht es darum, Snowden „vor einer Entführung oder Ermordung durch eine US-Spezialeinheit zu bewahren“. Warum er seinen guten Namen dann unter einen Appell setzen lässt, der Snowden ausgerechnet der Obhut eines Staates unterstellen will, der ein Auslieferungsabkommen mit den USA hat, kann nur erstaunen. Asyl in Deutschland wäre eine Einladung an die USA, sich den Abtrünnigen auf dem kurzen Dienstweg zurück liefern zu lassen. Ein Problem, das die ebenfalls unterzeichnende Monika Maron allerdings nicht so sehr beunruhigt, wie sein für sie ideologisch eher unpassender Aufenthaltsort: „Edward Snowden gehört nicht zu Putin, Edward Snowden gehört zu uns.“ Das könnte auch Präsident Barack Obama unterschreiben, der des Verräter dringend habhaft zu werden wünscht. Auch Tom Stromberg, dessen Herz für das Theater schlägt, passt Snowdens derzeitige Adresse nicht in die politische Schwarz-Weiß-Optik, und er ist sich sicher: „Etwas Besseres als Putin findet er überall.“
Nein, tut er nicht. Nicht nur, weil die meisten EU-Staaten wegen der Abkommen alles andere als sicher sind, sondern weil Snowden auf eine Schutzmacht angewiesen ist, die über den Willen und die Fähigkeit verfügt, US-Agenten auf ihrem Territorium effektiv abzuwehren und unschädlich zu machen. Und das kann doch nun selbst der Wohlmeinendste nicht über Deutschland behaupten.
Doch hier ist Jürgen Becker, im Hauptamt Kabarettist, um guten Rat nicht verlegen. Man müsse Snowden einfach nur „den Friedensnobelpreis verleihen, dann könnten ihm die Amerikaner nichts mehr anhaben“. Eine brilliante Idee, die bei Carl von Ossietzky schon mal gut geklappt hat. Auch Jürgen Flimm will nicht abseits stehen: „Ich finde das toll, wenn Snowden käme, ich würde ihn auch beköstigen.“ Und wenn nach dem Essen die Handschellen klicken, könnte sich Flimm verdauungsfördernd bei Illner und Co aufregen. Inga Humpe, die sonst Lieder singt, hält für Snowden zwar kein delikates Menü, dafür eine volle Kelle Kitsch parat: „Asyl für den Cyber Jesus.“ Auch DJ WestBam wird lyrisch wie ein Landser: „Auf nach Moskau, Deutschland retten.“
Da klingt Hans Magnus Enzensberger schon fast vernünftig, der nicht nur eine generelle Skepsis hegt, ob die EU ein sicherer Hafen für den Whistleblower sein kann, sondern auch mit der Regierung schonungslos ins Gericht geht. Der unbeugsame Dissident hat sich dafür die Regierung des Königreichs Norwegen ausgesucht. „Statt Friedensnobelpreise auszuloben, sollte die norwegische Regierung, … Snowden einen Pass … ausstellen und ihm eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis garantieren.“ Norwegen ist nämlich praktischerweise nicht in der EU, wie Enzensberger ganz richtig vermutet. Der Nestor des deutschen Promi-Appells übersieht allerdings ganz altersmilde den Umstand, dass die Norweger seit 1980 ein Auslieferungsabkommen mit den USA haben. Aber macht nichts, es ist die Geste, die zählt.
Edward Snowden ist ein Staatsfeind und ein Verräter, der deswegen bei seinen Unterstützern nicht zimperlich sein kann. Daher spielt es auch keine Rolle, ob diese Leute noch alle Tassen im Schrank haben oder nicht. Snowden will auch nicht nach Deutschland, sondern nach Brasilien, wie er inzwischen via Offenen Brief mitteilte.
Auch Chelsea Elizabeth vormals Bradley Manning und Julian Assange wurden zu Staatsfeinden und Verrätern gemacht, weil sie Staatsgeheimnisse enthüllten. Ihre Enthüllungen sind für die USA und ihre Verbündeten weniger wegen des Geheimnisverrates peinlich, sondern weil sie jene verrottete Kultur der Straflosigkeit bloßstellen, in der sich die globalen Eliten pudelwohl fühlen. Wer weltweite Spitzelei, Datenklau und Menschenjagden in Afghanistan und im Irak öffentlich macht wird als Rechtsbrecher und politischer Feind eingestuft. Wer aber Hinrichtungsforderungen gegen die Enthüller ausspricht, wie der ehemalige republikanische Präsidentenbewerber Mike Huckabee gegen Assange, kann sein Leben als angesehener Bürger fortsetzen. Auch die hochverdiente Sarah Palin, die danach verlangte, Assange zu jagen, wie einen Taliban, bleibt an Bord der Wertegemeinschaft mit den USA.
Und da Rechtsstaatlichkeit ihr zentraler Bestandteil ist, haben auch der Michael Grosse-Brömer und der Günter Krings (beide MdB-CDU) neulich im Bundestag die Asylforderungen der LINKEN und der Grünen mit wohlgesetzten juristischen Argumenten zurückgewiesen: „Hier gilt der Strafanspruch der Vereinigten Staaten“, so Krings. „Es gilt das Auslieferungsabkommen …. Man mag an irgendeiner Stelle ein Schlupfloch für diesen Fall finden. Aber ich finde, es kann nicht der Stil sein, in dem Rechtsstaaten miteinander umgehen sollten. Wenn das andere Staaten so machen, hindert das uns nicht daran, rechtsstaatlich mit gutem Beispiel voranzugehen.“ Allerdings hat diese kleine Asyldebatte auch etwas wirklich Gutes, wenn auch in diesem Falle nichts Schönes bewirkt. Sie hat die Wahrheit ans Licht gebracht. Und das heißt für Snowden: Auslieferung in die Heimat der Bürgerrechtler Obama und Palin. Oder mit den diskreteren Worten des Juristen Grosse-Brömer: „Lassen Sie es mich deshalb so sagen: Das ist vielleicht keine einfache Entscheidung … Ich glaube aber, dass eine Abwägung dazu führt, dass wir Herrn Snowden aus übergeordneten Interessen nicht in Deutschland aufnehmen sollten.“
Snowden zu verstehen, heißt sich aus Interessen, die denen des Staats übergeordnet sind, gegen die eigene Regierung zu stellen, heißt den permanenten Ausnahmezustand dokumentieren, in den uns der „Krieg gegen den Terror“ geführt hat. Die kollektive Empörungscommunity in Deutschland zieht allerdings auch in diesem Falle das geistige Schmierestehen für die eigene Regierung vor, der beflissen der Opferstatus beglaubigt wird.
Der deutsche Staat lässt dagegen keinen Zweifel daran, dass er von den erspitzelten, erspähten und abgehörten Informationen der amerikanischen Dienste weiter profitieren will. Nur wenige wollen dieser Mitverantwortung auf den Grund gehen. Der Abgeordnete Gregor Gysi hat das in der Bundestagsdebatte versucht: Wenn die deutschen Dienste an rechtswidrigen Aktionen der NSA beteiligt waren oder von diesen gewusst haben, dann „haben sie gegen das Grundgesetz verstoßen, sich an Straftaten beteiligt, und das müsste sehr ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen“.
Davor will sich die deutsche Regierung schützen, während unsere Dichter und Denker sich larmoyant über die treulosen Amis echauffieren. Es bleibt so den USA überlassen, Klartext über die Beute- und Jagdgemeinschaft mit dem deutschen Staat zu sprechen. Sie treibt nicht die Sorge vor deutschen Aufklärungsbemühungen, denn sie wissen, dass der dem Kanzleramt direkt unterstellte BND dabei selbst genug zu verbergen hat. Ernsthaftes Unbehagen rufen in den USA sehr zu recht die deutschen Exportüberschüsse hervor, das heißt die alte Eigenschaft der deutschen Eliten, den Hals nicht vollzukriegen. Das könnte Konsequenzen haben, vor denen Deutschland noch nicht einmal DJ Westfront retten kann.
Marian Krüger ist Politikwissenschaftler und lebt in Berlin.
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