von Claus-Dieter König, Dakar
Vor einem Jahr flimmerten jubelnde Menschen in Mali über unsere Bildschirme, die die militärische Intervention Frankreichs offensichtlich begrüßten. Angesichts einer Offensive jihadistischer Milizen in Richtung der Hauptstadt Bamako schien das Eingreifen alternativlos. Dass seitdem nicht alles gut geworden ist, wurde in den letzten Wochen nur zu deutlich. Zunächst entflammten Ende September im Norden wieder kurz die Kämpfe. Schließlich wurden im Oktober eine Journalistin und ein Journalist des französischen Radiosenders RFI ermordet.
Ein knappes Jahr nach der Intervention kann man jetzt kritisch auf sie zurückblicken. Dabei verbietet es sich, das Eingreifen isoliert zu betrachten. Es muss bereits die Rolle Frankreichs bei der Entstehung des Konfliktes beurteilt werden. Denn wer vorsätzlich oder grob fahrlässig einen Brand stiftet, sollte nicht dafür gelobt werden, diesen wieder gelöscht zu haben. Schließlich soll der Blick auf Folgen und Ergebnisse des Krieges und der Intervention geworfen werden.
Im Januar 2012 konnte die erst kurz zuvor zusammengestellte Miliz der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) im Norden Malis die ersten Städte einnehmen. Die MNLA ist eine Bewegung der Tamasheq, oft auch Touareg genannt, die die Unabhängigkeit des Nordens von Mali, den sie Azawad nennt, anstrebt. Tamasheq bilden nur in der kleinen Region Kidal eine Mehrheit, sonst leben sie im Norden als eine von vielen ethnischen Gruppen mit unter anderem Songhai und Peulh zusammen. Viele Indizien sprechen dafür, dass Frankreich die MNLA unterstützt hat und dies auch weiterhin tut – insbesondere dadurch, dass im Rahmen der Intervention der MNLA, also jener Miliz, die die Krise ausgelöst hatte, die Kontrolle über die Region Kidal überlassen wurde und Frankreich der malischen Armee zunächst untersagte, in diese Region vorzurücken.
Jihadistische Gruppen wie Ansar Eddine, Al Qaeda im Islamischen Magreb (AQMI) und die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) verbündeten sich mit der MNLA und begünstigten die schnellen militärischen Erfolge. Gestärkt waren diese Gruppen durch Waffen aus dem libyschen Bürgerkrieg, in den Frankreich unter anderem durch die Versorgung dortiger aufständischer Milizen, darunter jihadistische Gruppen, involviert war.
Die Aufständischen in Mali gewannen gegen eine malische Armee, die wegen mangelnder Versorgung und schlechter Ausrüstung nur bedingt einsatzbereit war. Der Putsch von März 2012 schwächte sie zusätzlich, nicht zuletzt weil Waffenlieferungen für die malische Armee in den Häfen Westafrikas gestoppt wurden.
Welches Interesse konnte Frankreich an der Unterstützung der MNLA haben? Eine starke Autonomie des Nordens ist im französischen Interesse wegen der dort reichlich vorhandenen Rohstoffe: Uran (in der Region Kidal), Gold, Öl, Phosphate und Mangan. Je geringer die Verfügung der Regierung in Bamako über diese Vorkommen, desto kostengünstiger könnten diese durch französische Unternehmen ausgebeutet werden.
Der Norden Malis ist, mehr oder weniger geduldet von der bis 2012 amtierenden Regierung Touré, zum Operations- und Rückzugsgebiet jihadistischer Gruppen wie der AQMI geworden, die sich Geld mit Waffen- und Drogenhandel sowie Kidnapping mit anschließendem Freikauf verschaffen. Mit millionenschweren Lösegeldzahlungen hat Frankreich die AQMI – wenn auch ungewollt – maßgeblich mit finanziert.
Als Reaktion auf diesen Unsicherheitsfaktor im Nachbarland der für die französische Energieversorgung strategisch wichtigen Republik Niger (Uranvorkommen) wurde die säkularen MNLA unterstützt. Ein Spiel mit dem Feuer, denn wie sich zeigte, suchte die MNLA das Bündnis mit den jihadistsichen Gruppen, um ihr Projekt eines unabhängigen Azawad zu verwirklichen.
Frankreich ist also in großem Maße mitverantwortlich, dass die MNLA und ihre Verbündeten über genügend Waffen und Ausrüstung verfügten und Anfang 2012 militärisch erfolgreich in die Offensive gehen konnten.
Welches sind die langfristigen Auswirkungen des Bürgerkrieges in Mali, dessen Ursachen durch die französische Intervention nicht im Ansatz beseitigt worden sind und die auch nicht militärisch gelöst werden können? Der Norden ist schon vor dem Krieg eine Region mit einer sehr fragilen sozialen Kohäsion gewesen, nicht zuletzt bedingt durch die sehr schwierigen natürlichen Bedingungen sowie die Herausforderungen, die diese an Landwirtschaft und Infrastruktur sowie an Bildungs- und Gesundheitswesen stellen. Zwar gab es durchaus das interethnische Zusammenleben regelnde Faktoren, vor allem Vereinbarungen zur Nutzung der Ressourcen. Märkte waren nicht nur Orte des Handels, über die die Versorgung der Bevölkerung organisiert wurde, sie waren auch Orte des sozialen Austausches. Und schließlich gab es auch im Norden Malis die für die Beziehungen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Westafrika stets bedeutende „Plaisanterie unter Cousins“ – eine Art und Weise, kulturelle Unterschiede spaßhaft zu benennen. Wegen vieler trennender Faktoren und Antagonismen war der soziale Zusammenhalt aber stets prekär. Insbesondere hatte sich im Laufe der Jahre der Druck auf landwirtschaftlich nutzbares Land vergrößert, auch weil in den letzten Jahrzehnten nomadische zugunsten von sesshaften Lebensweisen deutlich abnahmen. Und aus den zahlreichen früheren bewaffneten Konflikten seit der Kolonialzeit haben sich Spaltungen und Misstrauen erhalten. Hinzu kommen die von den Tamasheq bis heute praktizierten Formen der Sklaverei.
Der Krieg, das zeigt eine Studie von OXFAM, hat die Lage dramatisch weiter verschlechtert. Die interethnische Kommunikation ist zusammengebrochen, Misstrauen ist Normalität. Vorurteile folgender Art dominieren: Wer Tamasheq ist, ist notwendig der MNLA oder Ansar Eddine zuzuordnen; Araber sind MUJAO oder AQMI und dergleichen mehr. Angst vor Gewalt ist ebenso alltäglich wie begründet, da sich die Milizen lediglich in entlegene Regionen zurückgezogen haben. Leichte Waffen sind weit verbreitet. Flüchtlinge kehren wegen dieser Angst nicht in ihre Heimatorte zurück, und wenn sie es doch tun, finden sie ihre Lebensgrundlagen zerstört vor. Handelsbeziehungen und Versorgungstrukturen sind zusammengebrochen, insbesondere hat die Flucht arabischer Händlern zu einem Mangel an importierten Waren geführt.
Nach der Intervention beharrte Frankreich auf einer schnellen Präsidentenwahl. Zuvor war in Verhandlungen in Ouagadougou, Burkina Faso, vereinbart worden, dass der zukünftige Status des Nordens erst danach verhandelt wird. Der bisherige Verlauf zeigt aber, dass die privilegierte Behandlung der Separatisten der MNLA, auf der Frankreich bestanden hat, die schwierigste Hypothek für den Verhandlungsprozess bedeutet. Ende September verließ die MNLA für knapp zwei Wochen die Gespräche. In diesen zwei Wochen fanden Feuergefechte in Kidal sowie ein Sebstmordattentat in Timbuktu statt.
Die MNLA ist weiterhin fähig und bereit, ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Als sie wieder an den Verhandlungstisch zurückkehrte, bekräftigte sie ihr Ziel einer weitgehenden Autonomie des Nordens. Sie wendet sich kategorisch gegen die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Gruppen an den Verhandlungen, insbesondere der Assises Nationales sur le Nord, einer Versöhnungskonferenz, die Anfang November unter breiter öffentlicher Beteiligung Lösungsvorschläge für den Norden diskutierte.
Die Krise in Mali ist noch nicht zu Ende und kann jederzeit wieder gewaltsam eskalieren. Der Norden und ganz Mali brauchen einen breit angelegten Versöhnungsprozess und ein Programm für die soziale und ökonomische Entwicklung. Autonomieregelungen werden stattdessen voraussichtlich Ungleichheit und Stagnation sowie die Präsenz bewaffneter Gruppen im Norden befördern.
Claus-Dieter König ist Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Westafrika.
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