16. Jahrgang | Nummer 24 | 25. November 2013

Film ab

von Clemens Fischer

„Endstation Sehnsucht“ – heute und in San Francisco, könnte die in dieser Rubrik schon des Öfteren gewagte Kürzestkritk eines Films lauten. Hier für Woody Allens Streifen „Blue Jasmine“. Der ist aber einfach zu gut, um es bei einem lapidaren Satz zu belassen.
Cate Blanchett ist Jasmine – eine Frau, die nur mit Geld allein offenbar ganz gut glücklich sein kann. Als ebenso egomanisches wie affektiertes und moralisch irreparabel degeneriertes Luxus- und Repräsentations-Blondchen an der Seite eines jener Wallstreet-Verbrecher (Alec Baldwin mit wenigstens zehn Kilo weniger, als ihn noch vor einer Zeit der Boulevard ablichtete), auf die der globale Finanzcrash von 2008 zurückgeht. Aber auch in diesem Fall kommt Hochmut vor dem Fall – und zwar für beide. Während der Milliarden-Dealer den seinen allerdings final abzukürzen vermag, leert sie den Kelch bis zum Grund. Was die australische Aktrice dann dabei vorführt, ist eine Frau, die von jetzt auf gleich vom absoluten Gipfel der High Society des neureichen Geldadels gestoßen wird und ganz unten, im prolligen Prekariat aufschlägt. Der es nicht nur ihr gesamtes bisheriges Leben brutal wegreißt und die sich beim Versuch, ein neues zu finden, mit ihrer Unfähigkeit und offenen Unwilligkeit, sich ihrer völlig umgekrempelten Realität anzupassen, ständig selbst im Weg steht. Sondern der, als würde all dies zum Zerbrechen eines Menschen nicht längst genügen, das Schicksal überdies mit böser Ironie auch noch das eine oder andere zusätzliche Bein stellt. Als Sprechstundenhilfe – ein Job, den sie widerwillig, nur aus schierer Geldnot versucht – geht ihr der Arbeitgeber an die Wäsche und ermuntert sie während der hangreiflichen Zudringlichkeit, doch nicht so schrecklich steif, sondern stolz zu sein – schließlich habe sie gerade eine Eroberung gemacht. Und als sie schließlich mit ihrem Neuen, einem gut betuchten Diplomaten, vor einem Juweliergeschäft steht, um den standesgemäßen Verlobungsring mit dickem Diamanten zu kaufen, lässt ihr das Schicksal just an diesem Ort den Ex-Mann ihrer Schwester in die Quere kommen. Den hatte der Milliarden-Dealer einst mit einer „guten Investition“ um sein ganzes Geld gebracht, und der muss das – und andere Unappetitlichkeiten, die sie dem Neuen natürlich verschwiegen hatte, – nun genau vor diesem ausführlich ausbreiten. Da ist die zweite Chance schneller wieder perdu, als sie am Horizont wetterleuchtete.
Dass die Natur dieser Jasmine den Ausweg aus dem Wahnsinn der sozialen Katastrophe im wahnsinnig Werden der Betroffenen suchen könnte, hatte sich zuvor bereits mehrfach angedeutet. Nun ist offensichtlich die letzte Pforte aufgestoßen …
Die Tragödie hält, um auf die Einleitung zurückzukommen, dem Vergleich mit „Enstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams stand. Apropos: Vor einiger Zeit hat die Blanchett am Broadway bereits die Rolle der nach tiefem sozialen Sturz am Ende ebenfalls geistesverwirrten Blanche DuBois aus diesem Stück gegeben …
Die enorme Bandbreite des Könnens von Cate Blanchett hat schon in vielen Filmen beeindruckt. „Elisabeth“ (1998), „Schiffsmeldungen“ (2001), „Die Journalistin“ (2003), „Tagebuch eines Skandals“ (2006) und vor allem „I’m not there“ (2007), in dem sie Bob Dylan verkörperte, aber auch „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ (2008) sind einige davon. Dieses Mal, meinen Kritiker, sollte es für den Oscar als beste Hauptdarstellerin reichen. Einen hat sie ja schon – für die beste Nebendarstellerin in „Aviator“ (2005).
Das letzte Wort soll allerdings dem Regisseur und Drehbuchautor gelten. Um zu zeigen, dass er auch richtiges Drama kann – ohne „Allen-typischen Peinlichkeitsklamauk zwischen den Geschlechtern, für den ihn die wirklich treuen Fans (viele von ihnen schieben sich inzwischen mit Rollatoren ins Kino) seit ‚Was Sie schon immer über Sex wissen wollten…‘ aus dem Jahr 1972 inbrünstig lieben“ (Der Spiegel) –, musste Woody Allen vielleicht tatsächlich erst 77 Jahre alt werden. Aber für die (einmal mehr) exzellente Filmmusik musste der Musiker Woody Allen das ganz gewiss nicht.
„Blue Jasmine“, Regie: Woody Allen; derzeit in den Kinos.

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Wieder einmal mit Enkel Leo im Kino, hegte ich rasch die Befürchtung, dass „Das kleine Gespenst“ das Urvertrauen des Fünfjährigen in die Feuerwehr nachhaltig erschüttern könnte. Diese Mannschaft besteht so komplett aus Deppen, dass der Bürgermeister des Städtchens Eulenstein zu seinem Polizeipräsidenten, und zwar mit Berechtigung und spürbarer Erleichterung, sagen kann: „Sehen Sie mein lieber, wir beide sind doch nicht die dümmsten Beamten in der Stadt.“
Als Karlchen, der Gespenster gläubige Held des Films, dann aber an den Zeigern der Rathausturmuhr in luftiger Höhe hing und ich „ganz schön gefährlich“ flüsterte, konterte Leo cool: „Aber Opa, das ist doch nur Film!“ Da war ich beruhigt.
Gespenster sind ja immer der Geist von irgendwem. Beim kleinen Gespenst muss das – dem Aussehen nach – ein untotes Marshmallow sein, das nun im Kissenbezug herumgeistert. Aber seine Augen machen dieses Manko an Phantasie mehr als wett: Strahlend blau und mindestens so herzerwärmend, wie einst die von E.T. neugierig und gütig schauten. (Damals stand Albert Einstein Pate.) Die Stimme von Katharina Thalbach tut ein Übriges. Nicht frech, wie man sie häufig gehört hat, sondern – wie schon im „Mondmann“ – warm und anrührend.
Die Handlung darf als bekannt vorausgesetzt werden. Daher nur noch ein weiteres Wort zur Feuerwehr im Film. Die ist ihr eigener Klassiker – ein „Ello“ vom Volkseigenen Betrieb Robur-Werke Zittau. Dieses Modell erinnerte den Großvater sehr an seine eigene Kindheit.
Im Abspann des Films heißt es „in memoriam Otfried Preußler“. Der dürfte auf seiner Wolke ebenfalls seinen Spaß an dieser Neuverfilmung haben.
„Das kleine Gespenst“, Regie: Alain Gsponser; derzeit in den Kinos.

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Ein Actionthriller der Extra-Klasse und nichts für Kinogänger mit schwachen Nerven ist „Captain Phillips“, der neue Streifen von Peter Greengrass allemal. Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit, dem Kidnapping eines amerikanischen Frachters im Jahre 2009.
Aber die Macher des Films haben sich mit Thriller allein nicht begnügt. Sie erklären en passant auch ein internationales Phänomen, das immer wieder für Schlagzeilen sorgt: Piraterie am Horn von Afrika. Die geht vornehmlich vom Territorium des zerfallenen Staates Somalia aus und findet im Übrigen nicht deswegen statt, weil die Menschen dort vielleicht ein Seeräuber-Gen in sich trügen, sondern unter anderem weil die modernen Fischereiflotten insbesondere westlicher Länder auch die dortigen Küstengewässer so leer geplündert haben, dass Einheimische von den Resten weder ihre Ernährung noch gar ihren Unterhalt bestreiten können.
Greengrass hat ja mit „Bloody Sunday“, seinem Erstling, schon mal einen – auch erklärenden – beeindruckenden Film vorgelegt. Als „Analog“-(für die nicht digital affinen unter den Lesern: Realitäts)-Freak gilt er überdies. Für „Captain Phillips“ hieß das: praktisch keine Computer-Animation, kein Studio – gedreht wurde im Wesentlichen auf hoher See, und das sieht man. Dabei kam die Handkamera sehr ausführlich auf so engem Raum zum Einsatz, dass sich der Betrachter fragt, wie flunderartig, ja körperlos der Kameramann da, im Wortsinne, mit dem Rücken zur Wand gestanden haben mag.
Warum Filmbesprechungen allerdings potenziellen Kinogängern das halbe Vergnügen wegschwafeln, indem sie ausführlich die Handlung nacherzählen, hat der Autor dieser Kolumne noch nie verstanden. Daher dazu hier kein weiteres Wort.
Durchaus aber eines zu den Hauptdarstellern. Stino-Typen – also Spießer – oder auch etwas unterbelichtete Zeitgenossen wie „Forrest Gump“, die man leicht und gern unterschätzt, bis sie in auswegloser Lage über sich und diese hinauswachsen, die hat Hollywood-Star Tom Hanks so drauf wie außer ihm vielleicht nur noch sein Kollege Tommy Lee Jones. Und als Capitain Phillips darf er in dieser Hinsicht wieder einmal wirklich alle Register ziehen.
Nicht minder überzeugend – Barkhad Abdi, Barkhad Addirahman, Faysal Ahmed und Mahat M. Ali als somalische Piraten. Ausgemergelte Gestalten vom absolut anderen Ende der sozialen Stufenleiter, die für ihre Chefs zwar die Drecksarbeit zwecks Erpressung von Millionen an Lösegeldern machen, selbst aber zum Teil nicht mal Schuhe besitzen.
Gedreht wurde der Film mit offensichtlich wohlwollender Unterstützung der US-Navy, die drei Kriegsschiffe abstellte, darunter einen amphibischen Hubschrauberträger, und von deren Special Forces, den Navy Seals. Die bestritten 2009 das Finale der realen Befreiung von Captain Phillips. Gefangene werden in derlei Fällen üblicherweise nicht gemacht. Heroisierung findet bei Greengrass allerdings nicht statt – die Profikiller bleiben anonym. Wie später auch im Fall Bin Laden. Da waren die Exekutoren ebenfalls Seals.
„Captain Phillips“, Regie: Peter Greengrass; derzeit in den Kinos.