von Liesel Markowski
Das Musikfest Berlin in der ersten Septemberhälfte ist inzwischen zur Tradition geworden und entwickelt sich immer mehr als internationales Ereignis vor allem hervorragender Orchesterkunst. Gastensembles aus verschiedenen Ländern stellen sich den einheimischen Klangkörpern vor. Ein Panorama europäischer Konzertkultur. Das diesjährige Programm war nachdrücklich auf die 100. Geburtstage bedeutender Komponisten gerichtet wie Béla Bartók sowie Witold Lutosławski und auch auf Leoš Janáček, deren wichtige künstlerische Leistung bisher leider wenig im Bewusstsein des Internationalen präsent ist. So bot das Festival die Chance umfassenderer Information und Erlebnistiefe. Unbekanntes überraschte mit neueren Klängen aus dem 20. Jahrhundert – ein ebenso interessantes wie anregendes Programm.
Da gab es Höhepunkte, die man kaum vergessen wird. So das Konzert mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Leitung von Mariss Jansons in der Berliner Philharmonie. Eine Sternstunde mit hinreißender Aufführung des „Konzerts für Orchester“ (1953) von Witold Lutosławski (1913-1994) und von Béla Bartóks (1881-1945) ebensogenannter Komposition (1941-1943). Nicht nur klingendes Bekenntnis einstiger kriegsbedrohlicher Gegenwart, sondern zugleich spürbare Zuwendung des jungen Lutosławski zum verehrten älteren Bartók, dessen Andenken er sein Werk gewidmet hat. Ein besonderer Akzent beim Erlebnis dieser kühnen, ungemein vitalen Orchesterstücke.
Die Interpretationen unter Mariss Jansons schienen vor Energie zu bersten. Welch eine Gestaltungskraft und Präzision, welch einen Klangzauber vermochte dieser Dirigent zu entfalten. Feinste dynamische Schattierungen bis zum vitalen Ausbruch, solistische Virtuosität (Bläser) und intensivste Ausstrahlung kennzeichneten das Spiel der Musiker.
Lutosławskis dreisätziges Stück beeindruckte in der beginnenden „Intrada“ durch aggressive Rhythmik und orgiastische Steigerungen, um im folgenden „Capriccio“ (plus Notturno e Arioso) bewegende Zartheit (Celesta, Holz) und virtuose Lockerheit zu bieten und in der schließenden „Passacaglia“ (nebst Toccata e Corale) mit schnarrendem Blech und Vehemenz aufzuwarten.
Bartóks „Konzert für Orchester“ ist sein letztes und umfangreichstes Orchesterwerk. Vier Sätze gruppieren sich um die „Elegie“ in der Mitte. Glissandi und klagendes Melos (Oboe) geben ein besonderes Flair. Der Ernst von Bartóks Lebenssituation – erkrankt und als Emigrant in de USA lebend – wie auch der aktuelle Krieg mögen die dramatische Intensität des Stückes inspiriert haben. Doch daneben steht Heiteres wie das „Spiel der Paare“ mit konzertanten Duos vom Holz und das rasante „Finale“ in tänzerischem Gestus. Die bayerischen Instrumentalisten und ihr Dirigent präsentierten auch Bartóks Werk perfekt.
Begrüßenswert war, dass im diesjährigen Programm auch kleinere instrumentale Besetzungen vorgesehen waren. Nämlich Streichquartette mit Schwerpunkt Bartók. Alle sechs dieser seiner Stücke umfasste das Programm, eine Begegnung mit weitgehend Unbekanntem. Sein 3. und 4. Stück, kombiniert mit den beiden Quartetten von Janáček, waren in Akkuratesse und bezaubernder Musizierkunst mit „Quatuor Diotima“ zu erleben. Diese Musiker – Yunpeng Zhao, Guillaume Latour (1. und 2. Violine), Franck Chévalier (Viola), Pierre Morlet (Viloncello) – gehören ganz sicher zur Weltspitze ihrer Ensemblekunst. Solch sichere Abgestimmtheit, solch feinschattierte Klangfarben und spielerische Souveränität wird man woanders nur selten antreffen. Hier wurde im 3. Quartett (1927) die ins Avantgardistische reichende Klangsprache (mit Cluster und Glissando) diffizil realisiert und im 4. Quartett (1928) aufs Elegante (Prestissimo con sordino) oder Heitere (Allegro pizzicato) betont. Dazu die Quartette von Leoš Janáček – „Kreuzersonate“ (1923) und „Intime Briefe“ (1928) – mit schönem „Conmoto“-Ausdruck im ersten und inniger Violin-Kantilene im zweiten. Im letzteren ganz wunderbar bereichert durch das sanfte Viola d’Amore-Spiel von Garth Knox nach der kompositorischen Erstfassung Janáčeks. Ein unvergesslicher Abend auf höchstem Niveau.
Schlagwörter: Béla Bartók, Leos Janácek, Liesel Markowski, Musikfest Berlin, Witold Lutosławski