16. Jahrgang | Nummer 18 | 2. September 2013

Treffen bei „Tassow“

von F.-B. Habel

Mit Trauer nehmen vor allem die Zuschauer, die in der DDR ins Kino gingen und hier auch fern sahen, die Tatsache auf, dass zwei große Schauspielerinnen starben, deren Berufung die Bühne war. Susanne Düllmann und Katja Paryla waren in den sechziger Jahren sogar ein paar Jahre lang im selben Engagement.
Für Susanne Düllmann war die Volksbühne die künstlerische Heimat. Hierher kam sie 1956, nachdem sie Walter Felsenstein für die Komische Oper als singende Schauspielerin entdeckt hatte, und blieb rund 50 Jahre. Zuvor war sie als Filmschauspielerin gescheitert. In dem Produktionsstück „Das kleine und das große Glück“, mit dem Martin Hellberg und Paul Wiens 1953 den Bau der Berliner Stalinallee verklärten und mit allzu viel Pathos anreicherten, spielte sie die Hauptrolle. „Die Art und Weise, in der Susanne Düllmann eine Schaufel handhabt, ist sehr befremdend“, schrieb Hanns W. Kreutzer damals in der Weltbühne. Der Film fiel durch, und die Hauptdarsteller waren „verbrannt“. Susanne Düllmann bekam später weitere Filmrollen, aber nicht wieder an so herausragender Stelle. Dafür wurde sie später ein Publikumsliebling in Reihen und Serien des Fernsehfunks, etwa bei „Der Staatsanwalt hat das Wort“ (1972-87), in „Aber Vati!“ (1974), „Zahn um Zahn“ (1986-88) und vor allem mit der „Spreewaldfamilie“ (1990).
An der Volksbühne, an der die Düllmann angefangen mit Fritz Wisten über Wolfgang Heinz, Karl Holán, Benno Besson, Fritz Marquardt und die Regiegespanne Straßburger & Hering sowie Karge & Langhoff viele künstlerische Leiter erlebte, spielte sie sich frei. Unmöglich, die Aufführungen aufzuzählen, in denen Susanne Düllmann unvergessliche Abende gestaltete. Ein paar Autorennamen können das Spektrum markieren, das sie hier par excellence bewältigte: Andersen-Nexö, Anouilh, Brecht, Hauptmann, Kohut, Planchon, Salomon, Shakespeare, Tolstoi, Wolf – um nur einige zu nennen. Auch in der legendären Uraufführung von Hacks’ „Moritz Tassow“ war sie 1965 dabei. Es wundert da kaum, dass die Wilmersdorferin – nach dem Mauerbau 1961 vor die Alternative gestellt, DDR-Bürgerin zu werden oder im Westen zu arbeiten – eine der Künstlerinnen war, die den Osten vorzogen.
Etwas verstaubt fand sie 1996 den Titel „Staatsschauspielerin“, den ihr der Senat als erster Ostberliner Schauspielerin verlieh. In den folgenden zehn Jahren stand sie noch ab und an auf der Bühne – besonders in Inszenierungen ihres nunmehrigen Lieblingsregisseurs Christoph Marthaler. Am 11. August ist sie 85-jährig gestorben.
An der Volksbühne brillierte Katja Paryla als Billie in der Dramatisierung von Tucholskys „Schloß Gripsholm“ und traf in der Uraufführung von „Moritz Tassow“ auch auf die Düllmann. Hausherr der Volksbühne war damals Wolfgang Heinz, der ein Freund und Kollege von Katjas Vater Emil Stöhr war. Anders als ihr Vater, ihr Onkel Karl Paryla und ihr Cousin Nikolaus Paryla verließ sie die DDR nicht. Die in Zürich geborene und in Wien aufgewachsene Schauspielerin (die in Weißensee auch ein Diplom als Modegestalterin erworben hatte) entwickelte sich zu einer der besten DDR-Schauspielerinnen der jüngeren Generation. Langjährig arbeitete sie am Maxim Gorki Theater (wo sie in der Titelrolle von Goldonis „La donna di garbo“ Triumphe feierte) und am Deutschen Theater (wo ihre Titania in der „Sommernachtstraum“-Inszenierung ihres damaligen Lebensgefährten Alexander Lang prägend wurde). Und ihre Iphigenie, die so überraschend handfester war als die der Vorgängerin Inge Keller!
Katja Paryla hat schon mit 20 an der Seite ihres Landsmanns Peter Sturm in dem Krimi „Die Spur führt in den 7. Himmel“ vor der Kamera gestanden. Rund vier Dutzend Film- und Fernsehrollen folgten, wobei ihre Christina an Erwin Geschonnecks Seite in „Levins Mühle“ nach Bobrowski vielleicht die schönste war. Schon vor 20 Jahren hat sie sich (wie auch Susanne Düllmann) der Kamera entzogen, um nur noch am Theater zu arbeiten, in Weimar, Chemnitz, Düsseldorf. Jetzt ist sie im Brandenburgischen 73-jährig gestorben. Unsterblich aber wurde sie mit zwei Kinderserien, die sich noch Generationen ansehen werden: als Hexe in „Spuk unterm Riesenrad“ und als Jette in „Spuk im Hochhaus“.