16. Jahrgang | Nummer 17 | 19. August 2013

Ein unvollendetes Drama

von Michaela Klingberg

In den Hauptrollen: Rolf Hochhuth: Schriftsteller, der seinen Ruhm vor allem seinem 1963 in der Regie von Erwin Piscator uraufgeführten Stück „Der Stellvertreter. Ein christliches Trauerspiel“ verdankt. Das Stück setzt sich kritisch mit der Rolle von Papst Pius XII. und der katholischen Kirche im Nationalsozialismus auseinander und sorgte bei der Uraufführung für heftige Debatten.
Claus Peymann: Intendant des Berliner Ensembles (BE), zuvor 13 Jahre Intendant am Schauspielolymp in Wien sowie anerkannter Regisseur. Seine patriarchalischen Methoden der Theaterleitung stoßen häufig auf Kritik, aber das BE gehört zu den Besuchermagneten der Stadt Berlin.
Die Handlung:
Anfang der 1990er Jahre, als Hochhuth in Berlin mit seinen Bewerbungen für die Leitung der Freien Volksbühne und des Schlossparktheaters gescheitert war, stieß der umtriebige Dramatiker auf Klaus Wertheim, laut Grundbuch Eigentümer des vom Berliner Ensemble genutzten Theaters am Schiffbauerdamm. 1938 war die jüdische Familie Saloschin von den Nazis zum Verkauf des Grundstücks gezwungen worden, Wertheim hatte es damals ersteigert. Hochhuth witterte seine Chance. 1993 gründete er die nach seiner Mutter benannte Ilse-Holzapfel-Stiftung. Zweck der Unternehmung ist die „selbstlose Förderung von Kunst und Kultur“.
Für rund eine Million Mark soll Wertheim seine Ansprüche am BE verkauft haben. Die Erbengemeinschaft Saloschin brachte das Grundstück, so die Erzählung „unentgeltlich” als „Zustiftung“ in die Stiftung ein – auch Gerüchte über eine Zahlung in beträchtlicher Höhe kursierten seinerzeit. Vertraglich fixiert ist, dass die Ilse-Holzapfel-Stiftung das Recht hat, einmal im Jahr, in den Theaterferien, für fünf Wochen das Berliner Ensemble mit einem eigenen, von der Stiftung organisierten und finanzierten Gastspiel zu nutzen. Allerdings muss die Stiftung bis zum 31. März des Vorjahres die künstlerische Leitung des BE über ihr Vorhaben informieren. Hinzu kommt die Verpflichtung der Bühne, im Oktober jeden Jahres Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ zu spielen.
Rolf Hochhuth, dessen Ziel es stets war, maßgeblichen Einfluss an einer Berliner Bühne zu erhalten, sah sich über die Stiftung seinem Ziel nun einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Der damalige Intendant Heiner Müller warf Hochhuth „feindliche Übernahme“ vor. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um das Eigentumsrecht meinte Müller: „Wir gönnen ihm jedes Theater der Welt, aber nicht das Berliner Ensemble!“ Kurz nach dem Tod Müllers (1995) forderte Hochhuth allen Ernstes, Wolf Biermann zum neuen Intendanten des Hauses zu berufen. Biermann lehnte dankend ab und Hochhuth muss bis heute zur Kenntnis nehmen, dass der Besitz des Hauses noch keine Lizenz zum Theaterspielen einschließt, da die Subventionen des Landes Berlin an die BE-GmbH gebunden sind. Ohne die Zuschüsse des Landes Berlin, könnte das Haus als Sprechtheaterbühne nicht überleben. Zudem gehört der Holzapfel-Stiftung nur das Theatergebäude. Die Probebühne, das Verwaltungsgebäude und die Werkstätten gehören dem Land Berlin. Da das Haus zudem unter Denkmalschutz steht, ist auch eine anderweitige Nutzung nicht gestattet. Verwirrende Verhältnisse also.
Seit 1999 verantwort Claus Peymann nun die Geschicke des Theaters am Schiffbauerdamm und in ihm fand Hochhuth einen ebenbürtigen Sparringspartner. Inzwischen verbindet beide Künstler eine herzliche Feindschaft und der sommerliche Theaterdonner ist fast zu einer unschönen Gewohnheit geworden, die den jeweiligen Anwälten eine sichere Einnahmequelle beschert.
So kündigte Hochhuth 2006 dem Intendanten. Peymann fehle bei der Leitung der Bühne der „Wagemut“. Hochhuths Favoritin Johanna Schall solle doch das Haus übernehmen. Der kleine Schönheitsfehler: Peymanns Vertragspartner ist bis heute das Land Berlin und Johanna Schall wusste von nichts. Auch verlangte Hochhuth (einmal mehr) die Aufführung seiner Stücke am BE. Diesem Ansinnen steht Peymann tendenziell feindlich gegenüber. Hochhuths bis dato letztes Stück „Familienbande“ war lediglich in Brandenburg mit dem Schauspielerteam der Daily-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ uraufgeführt worden.
2007 beschränkte sich Hochhuth auf Rücktrittsforderungen gegen den Intendanten. Peymann hatte dem ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar nach dessen Haftentlassung einen Praktikumsplatz als Bühnentechniker angeboten.
Im Jahr 2009 traf man sich erneut vor Gericht. Hochhuth war der Meinung, dass die Untervermietung des Hauses zu „theaterfremden Zwecken“, wie beispielsweise an die CDU, die ihren 60. Geburtstag im traditionsreichen Haus feierte, unzulässig sei und scheiterte vor dem Berliner Landgericht. Hochhuth-Anwalt Uwe Lehmann-Brauns hatte bei Gericht vor einer „Banalisierung des Theaters“ gewarnt, obwohl er als langjähriger kulturpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus wissen dürfte, dass Fremdvermietungen in Zeiten knapper Kassen eine wichtige Einnahmequelle von Theatern sind.
„Wer soll ihn bremsen? Er läuft ja ein theatralisches Amok“, so Peymann zur doppelten Posse im Sommer 2009. Hochhuth hatte vor Gericht auch bezüglich der Sommerbespielung des Hauses den Kürzeren gezogen und daraufhin das Haus „gestürmt“ um eine Pressekonferenz abzuhalten. Peymann, der sich noch nie vorschreiben lassen wollte, was wann an seinem Theater gespielt wird, bezeichnete das Drama als einen Akt „äußerster Verzweiflung“, da niemand Hochhuths Stücke mehr spiele, er seine besten Zeiten längst hinter sich habe und meinte süffisant: „Vielleicht geht es mir ja auch so, nur traut sich keiner es mir zu sagen.“ Und spätestens an diesem Punkt bekommt das alberne Drama zweier alternder Männer eine ernste Note und die ist kulturpolitischer Natur.
Das Berliner Ensemble ist nach seiner Konstruktion eine Privatbühne, die einen Landeszuschuss von mehr als zehn Millionen Euro pro Jahr erhält. Seit Beginn seiner Intendanz ist Peymann auch Gesellschafter der privaten Berliner Ensemble GmbH und seit dem Abgang des Geschäftsführers Peter Sauerbaum vor einigen Jahren bekleidet Peymann – neben seiner Intendantenposition – auch jene des geschäftsführenden Gesellschafters. Mag man noch großzügig darüber hinwegsehen, dass, sollten die Zuschüsse des Landes einmal unter jenen im Subventionsvertrag festgeschriebenen liegen, dem Intendanten ein außerordentliches Kündigungsrecht zusteht, so wird es spätestens bei der Position des Intendanten völlig kurios. Da der Meister Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter ist, verlängerte er seine Intendantenverträge stets mit sich selbst. Dem Kultursenat bleiben, in dieser Frage gänzlich ohne Eingriffsrecht, nur die Jubelbekundungen über die jeweilige Vertragsverlängerung von Claus Peymann mit Claus Peymann.
Sollte Peymann seinen Posten, wie derzeit postuliert, 2016 tatsächlich freiwillig räumen, er wäre dann immerhin 79 Jahre alt, dürfte sich die Nachfolgeentscheidung, gemessen an den letzten Intendantenentscheidungen des Berliner Kultursenats, recht langweilig gestalten. Überraschender wäre, wenn es dem Land Berlin gelingen könnte, die merkwürdigen Vertragsverhältnisse um das Berliner Ensemble neu zu strukturieren.
Das diesjährige Sommertheater, die außerordentliche und fristlose Kündigung des Mietvertrages durch die Ilse-Holzapfel-Stiftung, ist nach diesen Geschichten fast nur eine neuerliche Randnotiz.