von Fritz-Jochen Kopka
Am 3. Juli vor 130 Jahren wurde Kafka geboren. Wäre ein Grund gewesen, ein paar Worte zu verlieren. Kann auch heute noch ein Grund sein, bei Kafka soll man nicht pedantisch sein, obwohl er das vermutlich auch war: ein Pedant.
Es gibt diese bewunderungswürdige Kafka-Biographie von Reiner Stach. Zwei Bände sind erschienen, ein dritter wird kommen. Wenn man diese Bände liest, kann man zu dem Resultat kommen: Kafka war gar nicht kafkaesk. Er war keine Gestalt, die nicht von dieser Welt war, er war nicht voller Mysterien. Was er schrieb, war rückführbar auf reale Personen, Orte, Ereignisse.
Er war ziemlich groß (1,81 m) und sehr dünn. Er traute seinem Körper nichts zu („Gewichtlos, knochenlos, körperlos zwei Stunden lang durch die Gassen gegangen …“), er war hypochondrisch, und die Krankheiten ließen nicht lange auf sich warten. Er verbrachte viel Zeit in Sanatorien und Wasserheilanstalten. Trotzdem wollte er in den Krieg ziehen. In den Ersten Weltkrieg. Unbedingt. Vom Krieg versprach er sich die Erlösung von einer Existenz, die ihn manchmal fast erstickte. Er litt unter seinem dominanten Vater und liebte seine Schwester Ottla. Ottla versuchte, eine Art Kommune auf dem Land aufzubauen, da konnte Kafka sich ein Leben vorstellen. Er konnte sich auch, aber nur voller Zweifel, ein Leben in Berlin-Karlshorst vorstellen, ein Leben mit Felice Bauer, mit der er mehrmals verlobt war, ein Leben fern von Prag, von der Familie, von seinem Amt. Er arbeitete bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen und hatte Einblicke in verheerende Zustände. Mit dem Ersten Weltkrieg trat eine neue gespenstische Gestalt in die Wirklichkeit der großen Städte: der Kriegskrüppel. Der mit einem bis dahin unbekannten technischen Aufwand geführte Krieg führte zu unglaublichen Opfern, Toten und Versehrten. Darauf war die Gesellschaft nicht eingerichtet. Was tun mit den Kriegsgeschädigten, die nicht nur körperlich, sondern auch psychisch verletzt waren? Eine Aufgabe, die in Böhmen der Anstalt zufiel, bei der Kafka beschäftigt war.
Er war hellhörig. Er floh vor Geräuschen und fand keinen Ort, an dem er von Geräuschen ungestört leben konnte. Kafka war der Mensch, der niemals schläft. So zu sagen. Die Nacht war ihm nicht Nacht genug. Die Ruhe, die der Schreibende braucht, war unerreichbar: „ein wenig flüstern wird man immer, die Türglocke wird läuten, gestern hat der Mieter zweimal gehustet, heute schon öfter, sein Husten tut mir mehr weh als ihm.”
Kafka war ein Mann, der in der Literatur alles, und im Leben so wenig wagte. Der Junggeselle der Weltliteratur mit dem Hang zur ständigen Selbstdenunziation. Er gab sich der Askese hin, dem Verzicht, er verzichtete auf vieles, warum? Stach meint aus Todesangst, Angst vor Entgrenzung, Verflüchtigung. Nicht an Genie, an Mut hat es ihm gefehlt, befand Ernst Weiß.
Fritz-Jochen Kopka ist Journalist und Autor; er lebt in Berlin.
Erstveröffentlichung auf kopkastagebuch.wordpress.com. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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