von Günter Hayn
Sie geben sich ein betont lockeres Outfit: Die Internetseite der „Berliner Burschenschaft Germania“ zieren Fotos von fröhlich einander mit Sektgläsern zuprostenden jungen Männern und Frauen, Abiturienten offensichtlich, und einem lustig bemalten Stück der Berliner Mauer. Interessiert blättert man weiter und stößt dann doch eher auf die altbekannten Bilder von „Aktiven und Alten Herren“: „Jeder ehrenhafte deutsche Student, der sich zur demokratischen Grundordnung bekennt, kann Mitglied, also Bundesbruder der Berliner Burschenschaft Germania werden.“ Deutsch muss man sein. Ehrenhaft muss man sein. Frau darf man nicht sein. Die sind nur als „Bundesschwester“ zu einigen geselligen Zusammenkünften zugelassen. Wenn frau „deutsch“ und „ehrenhaft“ ist. Wie die „Germania“ wurde die „Akademische Burschenschaft Gothia Salzburg“ auf dem jüngsten Eisenacher Burschentag als Neumitglied der Deutschen Burschenschaft von deren Sprecher, dem Wiener Teutonen Burkhard Georg Mötz begrüßt. „Die Burschenschaft verfolgt als ideelles Ziel die Heranbildung sittlich hochstehender Persönlichkeiten, die als volksbewußte Bürger ihrem Volk führend dienen können.“ So formuliert diese Truppe auf ihrer Internetdarstellung ihre „Grundsätze“. Also: deutsch, ehrenhaft und volksbewusst.
Und was endlich alle wissen sollen: Die Deutschen Burschenschaften haben die Demokratie erfunden! „An der Wiege des deutschen Verfassungsstaates steht die Burschenschaft!“ Das erklärte Teutone Mötz aus Wien im Mai dieses Jahres allen „Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der deutschen Bundesländer sowie der deutschen Stadtstaaten“ (den Österreichern offenbar nicht) in einem Begleitbrief zu einem Faltblatt „Burschenschafter. Wegbereiter des deutschen Verfassungsstaates“. Mötz beruft sich auf das Wartburgfest 1817, die Paulskirchenverfassung 1849, die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz der Bundesrepublik. Wie kann da noch jemand auf die Idee kommen, der Laden pflege irgendwelche Rechtstendenzen? Man will doch nur „in zentralen Fragen der deutschen Selbstbehauptung die Fähigkeit (wieder)erlangen, in offensiver Außenwirkung auftreten zu können.“ So erklärte er es im Vorfeld des Burschentreffens in einer Postille namens Preußische Allgemeine Zeitung. Das Ostpreußenblatt. Die vertritt „den Gedanken einer deutschen Leitkultur. Preußisch korrekt statt politisch korrekt.“
Als Extremisten sehen sich solche Leute nicht. Mitglieder, „die extremen politischen Lagern angehören“, würde er in der Berliner Gothia nicht dulden, so deren Vorsitzender Thorsten Elsholz im November 2012 im Tagesspiegel. Trotzdem erklärte der Berliner Wissenschaftsstaatssekretär Knut Nevermann (SPD), dass Burschenschaften an Berliner Hochschulen „unerwünscht“ seien. Allerdings schmiss der Dekan des Fachbereiches Jura der Freien Universität Berlin, Martin Schwab, bei einer Absolventenfeier im vergangenen Jahr nicht die dort erschienenen uniformierten Burschenschaftler raus, sondern einen Kritiker wegen „Störung der Veranstaltung“.
Zeitgleich mit dem Tagesspiegel-Bericht setzte die Diskussion um die Gothia-Mitgliedschaft des Berliner Staatssekretärs Michael Büge (CDU) ein, die mit dessen Entlassung zum 30. Juni 2013 endete, weil er sich weigerte, zugunsten seines Senatspostens aus der Gothia auszutreten. Büge weiss als Alter Herr, dass die Vernetzung über die Burschenschaft mehr wert ist als der temporäre Stuhl in einer ungeliebten Koalition. Nicht begriffen hatte das sein Chef, Senator Mario Czaja (CDU). Der hatte die Entlassungsvorlage eingereicht, weil die andauernden Attacken auf seinen Staatssekretär ihn zunehmend selbst gefährdeten. Die Rache der rechten Brüder folgte prompt. Am 28. Mai berichtete die Junge Freiheit vom rechtslastigen Karrierestart des CDU-Hoffnungsträgers – Czaja ist Jahrgang 1975. Zwischen intensiven Kontakten ausgerechnet zur „Gothia“ bis zur gezielten finanziellen Förderung durch den Unternehmer Hans-Ulrich Pieper – Pieper kandidierte 2011 auf NPD-Listenplatz 2 für das Berliner Abgeordnetenhaus – reichten die Vorwürfe. Die Junge Freiheit drohte unverhohlen: „So mancher CDU-Politiker dürfte derzeit hoffen, daß die eigenen Kontakte ins Korporiertentum nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Allen voran Innensenator Frank Henkel, der Mitglied der Sängerschaft Borussia ist, einer schlagenden Verbindung, für die er mehrere Mensuren gefochten hat.“
Das wirft die Frage nach den Vernetzungen der Burschen auf. Büge ist immer noch Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Neukölln. Deren Kreisverband der Jungen Union attackierte den Landesvorstand (Vorsitzender ist Frank Henkel), weil der sich „dieser öffentlichen Schmutzkampagne und der öffentlichen Vorverurteilung“ gebeugt habe. Robbin Juhnke (CDU-MdA, ebenfalls Neukölln) sorgte im Februar 2013 für Irritationen, als bekannt wurde, dass er im Vorjahr als innenpolitischer Sprecher der CDU vor der Prager Burschenschaft Teutonia zu Würzburg referierte. Henkels Behörde weiß natürlich von nichts.
Seit dem 1817er Wartburgfest sind martialische Reden auf den Burschentagen üblich. 2013 hielt sie Hans-Hellmuth Knütter unter dem Motto „Kampf gegen Antifaschismus und Deutschfeindlichkeit!“. Knütter warnte, dass durch einen „totalitären Antifaschismus“ (so ein gewisser Horst Heimerl auf der von Knütter geleiteten Plattform links-enttarnt.net) die „nationalen Traditionen zugunsten einer linken Vorherrschaft in Staat, Gesellschaft und öffentlicher Meinung beseitigt werden sollten. Gegen diese freiheitsfeindliche linke Machtergreifung, die in Teilen bereits bedenkliche Formen angenommen habe […] gelte es vermehrt wirksamen Widerstand zu leisten!“ Die Handlungsanweisung lieferte er gleich mit: „Spendensammlungen für einen Rechtskampf-Fond, eine stärkere Mobilisierung der Justiz, die Aktivierung modernster Mittel der Öffentlichkeitsarbeit, Stichwort Internet, sowie eine Neuausrichtung von Theoriearbeit zur Fundierung größeren Selbstbewusstseins der nationalen Oppositionsgruppen in Deutschland.“ Aufmerksame Beobachter des Münchener NSU-Prozesses dürften spätestens jetzt das Gruseln bekommen.
Knütter ist gut vernetzt. Bis 1996 unterrichtete er an der Uni Bonn Politikwissenschaften mit den Schwerpunkten Politischer Extremismus (sic!), Zeitgeschichte und Politische Bildung. Er war Gastdozent an der Schule des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Jahrelang soll er mit dem Referat IS 7 der Abteilung „Innere Sicherheit“ des Bundesinnenministeriums zusammen gearbeitet haben. Er war Vertrauensdozent der Konrad-Adenauer-Stiftung und gilt als „Vordenker“ der Neuen Rechten. Knütter hält den jährlichen Verfassungsschutzbericht für „methodisch ein politisch linkes Machtinstrument“ und verzapfte deshalb im Jahre 2007 mit einem gewissen Josef Schüßlburner ein Werk „Was der Verfassungsschutz verschweigt. Bausteine für einen Alternativen Verfassungsschutz-Bericht“. Das wurde vom „Institut für Sozialpolitik“ (IfS) im Antaios Verlag Schnellroda herausgegeben.
Hinter Antaios steckt Götz Kubitschek. Der sieht sich selbst als Rechter, ist aber zur NPD in den letzten Jahren auf Distanz gegangen: „Was ich hier in meinem Landstrich so an NPD-Struktur oder Vorfeldstruktur – ich meine Kameradschaften oder ähnliches – kennengelernt habe, das ist – mit Verlaub – unter aller Kanone und wird dem selbstgestellten Anspruch nicht gerecht, Deutschland nach vorne zu bringen. Es beginnt beim Benimm, geht weiter bei den Leitbildern und einem gefährlichen Halbwissen und endet bei den Vorstellungen, wie man die Dinge nach der Machtübernahme regeln würde.“ So Kubitschek 2007 in der NPD-Zeitung Deutsche Stimme gegenüber dem späteren NPD-Aussteiger Andreas Molau. Ellen Kositza, Autorin der Jungen Freiheit und Redakteurin der Zeitschrift Sezession im Mai 2013: „… ein Rechter hält zu Recht & Ordnung, zu Manieren & Tradition, zu Werten der Familie und der Religion, zu einem Menschenbild, das Unterschiede akzeptiert und kultivieren will. […] Was hätte dies alles mit dem Welt- und dem Erscheinungsbild des landläufigen, gewaltbereiten Rechtsextremisten zu tun? Mit dem Schulabbrecher, dem die Faust lose sitzt, der mit lauter Aggro-Musik durch menschenverlassene Landstriche kurvt, die Bierflasche zwischen den Schenkeln, die dumpfe Parole auf den Lippen?“ Zu den Schlagetoterichen in Springerstiefeln hält man Distanz – den „Rest“ der Szene will man stärker vernetzen. Das IfS machte jetzt eine Dependance in Berlin auf. „Die Bürgerbewegung Pro Deutschland begrüßt ausdrücklich die Ansiedlung dieser konservativen Denkfabrik in unserem schönen Köpenick“, ließ die prompt verlautbaren. Im schönen Köpenick sitzt auch die NPD-Bundeszentrale.
Am 6. Oktober 2012 organisierte Kubitschek in Berlin eine Messe mit dem harmlosen Titel „Zwischentag“. Teilnehmer waren: das IfS, die Zeitschriften Sezession, Blaue Narzisse, Junge Freiheit, Der Eckart, die Verlage Ares, Antaios, Telesma, Regin, Uwe Berg und Inspiration Un Limited, die Bibliothek des Konservatismus, der Maler Benjamin Jahn Zschocke, die Blogs Politically Incorrect und Unzensuriert, die Deutsche Burschenschaft, die Berliner Gothia (sic!), der Allgemeine Pennäler Ring, die Modelabel ProPatria und KonMo, der Bund Junges Ostpreußen und der Verein Freibund.
Selbst der Landsmannschaft Ostpreußen scheint das Treiben inzwischen zu braun zu werden. Sie verweigerte dem IfS Kubitscheks in diesem Jahr für dessen Sommerakademie ihre Tagungsstätte in Bad Pyrmont: „Für die Landsmannschaft Ostpreußen kommt eine Zusammenarbeit mit Einrichtungen oder Vereinigungen, die mittelbar oder unmittelbar mit der NPD zusammenarbeiten, nicht in Betracht. Ebenso kommt eine Zusammenarbeit mit Personen oder Einrichtungen nicht in Betracht, die den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Institutionen oder das Grundgesetz beeinträchtigen wollen.“ Die Burschenschaften sehen das nicht ganz so verbissen. „Ganz im Sinne unseres Wahlspruchs ‚Furchtlos und Beharrlich’ bearbeitet sie ein studentisches Meinungsspektrum, dass immer schon die interessanteren Köpfe hervorgebracht hat, obwohl (oder vielleicht gerade deswegen) man natürlich ständig mit den Anfeindungen linker und linksradikaler Gruppen zu kämpfen hat.“ So wurde die „Gothia“ im Ausstellerverzeichnis des „Zwischentag“ 2012 vorgestellt.
Der nächste „Zwischentag“ soll am 5. Oktober in Berlin stattfinden.
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