16. Jahrgang | Nummer 13 | 24. Juni 2013

Psalmen der Sorge – 2. Das Fernsehen

von Jochen Malmsheimer

Fernsehen, ich sorge mich! Fernsehen!
Denn höre!

Wohin sind die Tage,
da Du, Fernsehen, noch das Gebot zur Bildung spürtest,
welches neben vielen anderen,
der Holzamer Karl und der Grimme Adolf
einst vom Berg der Lerche herab sangen…
Wohin?

Wohin, Fernsehen, sind die Tage,
da Du jene Gebote noch befolgtest,
wie etwa dieses, daß da heißt:
Du sollst nicht ausleeren die Kübel Werbejauche
ein ums andere Mal über unseren Köpfen!
Oder:
Du sollst nicht träufeln das Gift der Ruhmsucht
in die Ohren junger Menschen,
auf daß sie nicht der Blödigkeit anheim fallen,
und sie sich, willfährig als wie Milchvieh,
einsperren lassen in große Kisten,
in der steindummen Hoffnung,
brunzbanales Leben gewinne allein dadurch,
daß es gefilmt werde, an Format.

Es liegt kein Segen auf Deinem Tun, Fernsehen!

Du sollst nicht blenden die Kinder, Fernsehen,
mit der irrigen Aussicht,
es sei möglich, durch das Trällern dümmlicher Lieder
Reichtum anzuhäufen
und sie sich dieserhalb vor einem Zeloten,
der bewiesen hat,
daß zwischen Erbrochenem und Musik kein Unterschied bestehen muß,
singend zum Makaken machen!

Du sollst nicht blenden die Kinder, Fernsehen,
und sie verleiten, klumdumm über Stege zu stöckeln
in Kleidern, die niemand braucht,
um damit dem Käfer gleich zu werden,
der wohl das Gefühl hat, viel bewegt zu haben,
allerdings nicht weiß,
daß es Scheiße war, was er da rollte.

Wohin die Tage,
da Du, Fernsehen,
uns, die wir Dich schauten,
als vom Herrn in seiner Güte mit Hirn Versorgte ansahst,
deren Horizonte zu erweitern Du den Auftrag hattest?
Wohin also die Tage, Fernsehen,
in denen Du uns ernst nahmst, Fernsehen,
wohin?

Wohin die Tage,
da Du, Fernsehen,
uns anbotest Weidenkörbe,
übervoll mit dem Obst der Überraschung,
… da Du uns offeriertest irdene Krüge,
überschwappend von der Milch der Erheiterung,
… da Du uns schenktest linnene Säcke,
prall gestopft mit den ölsatten Oliven der Erkenntnis,
… da Du uns locktest mit getriebenen Schalen,
gestrichen voll mit der Butter der Besinnung und der Sahne des Wissens…
wohin?

Wohin die Tage, Fernsehen,
da jenes Füllhorn,
daß Du, Fernsehen, einst gewesen warst,
täglich und gern geleert wurde, bis zum Grunde?
Von uns?
Wohin?

Wohin, die Tage, Fernsehen,
da Du so die trockenen Kehlen derer netztest,
die da dürsten nach Erkenntnis und nach Wissen!
Wohin die Tage, Fernsehen,
an denen Du nichts unversucht ließest,
die Wohnungen unseres Geistes zu schmücken,
mit den Ölbildern, Aquarellen, Gouachen
und Skulpturen der Kultur?
Wohin?

Wohin die Tage, Fernsehen,
da Dein ganzes Wirken darauf gerichtet schien,
daß die Musik der polychromen Weltbeschreibung
unsere Köpfe zephyrgleich durchwehe
und der Mensch gebildet werde
und Befriedigung wie auch Zerstreuung finde
im Lernen und im Schauen,
all so wie es geweissagt ist,
seit alters her.
Wohin sind diese Tage, Fernsehen?!
Wohin???

Und um Mitternacht war Schluß!!
Ruhe, Stille, samtige, sanfte Schwärze!!
Wohin, gottverdammt, sind diese wunderbaren Tage, Fernsehen!!!!?

Verweht, auf immer!
Rettungslos verloren im Gebrumm!
Weißes Rauschen ist Programm,
und das auch noch in Farbe!

Verweht die Tage,
da Jaques-Yves Cousteau
seinen Nachen mit Namen Calypso
in alle vier Winde und Weltgegenden lenkte,
die vielgestalten Wunder der Tiefsee in unsre Hütten zu bringen,
auf daß wir lernten,
auch jene Teile der Schöpfung zu ehren,
die uns unbekannt!

Verweht die Tage, da der Zoodirektor Grzimek
oder gar Heinz Sielmann
näselnd mit polyp-verstopftem Atemgang
die Tierwelt uns erklärten und bewiesen,
daß nicht allein die Serengeti unsres Schutzes wohl bedarf,
sondern auch die Geest, der Harz, die Alpen!

Verweht die Tage,
da Horst Stern das Lied der Arachniden sang
und so Millionen heilte von der Angst vor Spinnen,
allein durch‘s Wissen über sie
und er laut vom Wundersamen sprach,
das selbst im Kleinsten noch so mannigfaltig wohnt.

Verweht die Tage,
da Heinz Haber nur einen dicken Edding brauchte,
um die Schwerkraft zu erklären!
Ganz ohne animiertes,
stroboskopes Trickgedröhn
und wir haben‘s doch verstanden!

Verweht die Tage,
da Du, Fernsehen,
Schach gezeigt! Schach! Scha-hach!
Mit Helmut Pfleger,
in Schwarz-Weiß!!!!

Verweht die Tage,
Fernsehen, da Du Inhalte botst,
bist heute nichts als Hülle,
äuß‘ re Form oder,
wie Du das gerne nennst:
Format!

Das aber, Fernsehen,
ist ein Irrtum,
gerade Format ist‘s,
das so deutlich wir vermissen!

Neben Reportagen und Gesprächen,
Gesprächen!
Von Leuten, die was wissen!
Und das gern and‘re hören lassen,
zu beiderseitigem Gewinn!
Kein blasiertes Talkgebrumm von Politikdarstellern,
die scham- wie kostenlos Parteienwerbung treiben.
Nein, das Gespräch vermissen wir,
allein der Sache dienend
und von höflich‘ Hölzernheit Höfer‘scher Manier,
mit einem Gläschen Müller-Thurgau!
Oder vier!

Und das kleine Fernsehspiel vermissen wir
den Rockpalast, die kleinen Strolche,
Turnikoti, Turnikota, der Zebulon ist nicht mehr da,
das vielleicht Hausbackene und Harmlose,
aber eben auch Ehrliche und Substanzielle!
Das, Fernsehen,
vermissen wir sehr und schmerzlich!

Und den, der einst das Kochen
aus dem Serail der kulturellen Technik
in die Peep-Show-Box der Unterhaltung zwang
und es nun Artistik nennt,
die man auf Bühnen zeigt,
statt Theater, Tanz oder Musik,
der soll herab gebracht werden
in den ersten Kreis der Hölle
und dann in guter Butter
mit ein wenig Salbei kroß gebraten werden,
von allen Seiten
und dann soll er
bei mittlerer Hitze noch ein wenig ruhen,
auf daß seine Fasern sich entspannen
und kein kostbar‘ Saft in‘s Freie trete.
Und dann soll er geschnitten werden,
in feine Scheiben
und artig angerichtet
und serviert werden
und dann soll er vertilgt werden
mit Stumpf und Stiel
und dann ist vielleicht endlich Ruhe!

Und es hat sich ausgekocht.
Und aus dem Event wird wieder Mahlzeit!

Und in den Redaktionen wird man sich besinnen,
auf die eigentliche Arbeit, auf Inhalte!
Und nicht auf Rezepte!!!

Denn siehe, Fernsehen:
In Zeiten,
wo wir alle Geiseln sind der Geldverleiher,
wo die Teppichschmuggler an den Hebeln sitzen
und nicht die,
die ihn einst geknüpft,
in solchen Zeiten, Fernsehen,
brauchen wir jede Minute Deiner Zeit,
daß wir die Angst verlieren vor dem Apparat
durch‘s Wissen über ihn,
wie einstmals, bei den Spinnen.
Und nur noch an den Justizpalästen
soll geschrieben stehen, in gold‘ nen Lettern:
Alle Gerichte auch zum Mitnehmen!

Denn siehe!
Und höre!
Denn das ist geweissagt:
Lanz soll gebrochen werden!
Und Lichter soll ausgehen!
Und es soll kein Gelafer mehr sein allenthalben!
Und für Dich, Fernsehen,
soll gelten, jetzt und immerdar:
Wissen ist Macht, aber:
Kochen ist Mist!
Nie mehr Gewäsch,
mehr Zeit für Lesch!
Und wenn nicht, dann:
Know how auf‘s Maul!
Knoff Hoff: Zoff!
Fernsehen!
Verstanden?
Gut.
Amen.

Aktuelle Tourdaten auf: http://www.jochenmalmsheimer.de.