16. Jahrgang | Nummer 10 | 13. Mai 2013

Die Oligarchen sind über uns

von Ilija Trojanow

„ULI, DU TOR“, titelte Bild am Sonntag in gewohnter Ausblendung der Realitäten. Uli Hoeneß ist kein Tor und auch kein Duzfreund des Volkes, sondern ein gerissener Geschäftsmann, der sein Vermögen gegen den einzigen Angriff zu verteidigen suchte, dem Oligarchen sich hierzulande ausgesetzt sehen: der Besteuerung.
Vermögen, Reichtum, Wohlstand – es vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien nicht die wachsende Ungleichheit, die dubiosen Methoden, sein Geld vor dem Staat zu verstecken, die Löcher in den Säckeln einerseits, die berstenden Safes andererseits thematisieren.
Wir glauben inzwischen Bescheid zu wissen: Wer viel Knete hat, bunkert diese auf Konten in Luxemburg, Liechtenstein, der Schweiz oder auf sogenannten Offshore-Accounts (Schmuggler mit deutschem Pass haben dort angeblich 250 Milliarden Euro angehäuft). Wir erfahren, dass in Deutschland zwei Drittel der Bevölkerung so gut wie nichts besitzen, das reichste Zehntel hingegen über 61 Prozent des Gesamtvermögens verfügt.
Weltweit sieht es noch extremer aus: Zwei Prozent halten mehr als die Hälfte allen Vermögens. Im Jahre 2011 gab es weltweit 1.210 Dollarmilliardäre, deren kumuliertes Vermögen höher ist als das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands. Und während der massenhaften Verelendung der letzten Jahre haben die Reichsten der Reichen nur profitiert.
Ein Duktus der folgenlosen Empörung hat sich eingebürgert, so etwa wie der gemeine Bürger über den Stau schimpft, dem er auf der Fahrt in jeden Feierabend ausgesetzt ist. Die öffentliche Debatte bleibt zahm, weil sie unter einem Tabu leidet. Wir diskutieren stets, in welchem Maß umverteilt werden soll (besonders beliebt: die Debatte um den Höchststeuersatz), nicht aber, ob Demokratie mit Vermögenskonzentration überhaupt vereinbar ist. Wir streiten uns um kosmetische Operationen, statt eine grundsätzliche Heilung anzustreben. Das beginnt schon mit der Sprache. Die sehr Reichen heißen bei uns Superreiche, selten Oligarchen.
Wir tun so, als hätten wir oligarchische Strukturen durch die parlamentarische Demokratie überwunden und verwenden das Wort nur, um im selben Atemzug demokratische Defizite zu benennen, vor allem wenn es um Russland geht. Dabei gibt es keinen Zweifel, dass es sich bei den heimischen Krösussen um Oligarchen gemäß der gängigen politikwissenschaftlichen Definition handelt (siehe das Standardwerk „Oligarchy“ von Jeffrey A. Winters): Oligarchen sind gesellschaftliche Akteure, die ihr massives Vermögen verteidigen und in politischen Einfluss ummünzen können. Die Regulative der parlamentarischen Demokratie können eine weitere Konzentration des Vermögens in den Händen einer oligarchischen Elite nicht verhindern.
Der Einfluss dieser Oberkaste ist historisch gesehen erstaunlich resistent gegen Angriffe von außen. Seit dem Altertum herrscht die Überzeugung vor, es wäre ungerecht, das Ungleichgewicht, das sich aus Vermögenskonzentration ergibt, zu korrigieren. Viele Ungerechtigkeiten sind erkannt, bekämpft und überwunden worden, doch beharrlich hält sich die Auffassung, es wäre falsch, gar böse, massiv konzentrierten Wohlstand zu verhindern oder zu zerschlagen. Alle anderen Formen der Ungleichheit sind infrage gestellt und viele abgeschafft worden, nicht aber die oligarchische Macht.
Kaum wagt einmal jemand einen Vorstoß in diese Richtung, heulen die medialen Wachhunde des Vermögens auf. Der Spitzensteuersatz „greift den Reichen in die Tasche“, er sei „exorbitant“, die Diskussion „fördert den Sozialneid“. Es werden Interviews mit Experten geführt, die bei einer höheren Belastung der Vermögen den Untergang des Abendlandes vorhersehen.
Kein Wunder, sind diese doch Teil einer florierenden Branche, der Vermögensverteidigungsindustrie, bestehend aus eifrigen Buchhaltern, Rechtsanwälten, Steuerberatern und Lobbyisten. Extremes Vermögen erlaubt einem, die eigenen Kerninteressen auf umfangreiche Weise zu schützen. Michael Bloomberg, Milliardär und selbst gekaufter Bürgermeister von New York (ein oligarchischer Champion im Vergleich zu dem Regionalisten Uli Hoeneß), erklärte einmal süffisant: „Man kann jene, die mobil sind, gar nicht überbesteuern!“
Massiver persönlicher Reichtum beschädigt den Gleichheitsanspruch, auf den eine halbwegs demokratische Gesellschaft nicht verzichten darf. Es gibt kaum eine extremere Form von sozialer und politischer Machtkonzentration. Materielle Ungleichheit bedingt politische Ungleichheit. Geld ist Macht, sagt der Volksmund. Der überproportionale Einfluss der Oligarchen ist uns allen bekannt, und doch wird im konventionellen Diskurs so getan, als wären wir alle gleich, weil ein jeder von uns beim Wählen eine Stimme hat.
Die enorme Ungleichheit als gesellschaftliches Problem wird mit der Schutzbehauptung weggewischt, die Privilegien der wenigen verurteilten keineswegs die Minderbemittelten zu einem Leben voller Nachteile. Selbst wer den kausalen Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum leugnet, wird das historische Faktum nicht abstreiten können, dass materielle Ungleichheit zu sozialen Konflikten führt. Statt dies zu problematisieren, erklärt eine Armada von Analysten der Öffentlichkeit mit der Regelmäßigkeit einer Gelddruckmaschine, das Wohl der wenigen komme der Mehrheit zugute (der Trickle-Down-Effekt), eine Schutzbehauptung, die empirisch so eindeutig bewiesen ist wie die unbefleckte Empfängnis.
Wir vergessen meist, dass Eigentum Verhandlungssache ist. Der Satz „Das gehört mir“ kann jederzeit infrage gestellt werden durch ein „Sagt wer?“ oder „Wieso?“. In Krisen nehmen die Herausforderungen an das Eigentum zu. Es ist höchste Zeit, dass wir massives Vermögen grundsätzlich infrage stellen. Es gefährdet das Gemeinwohl und ist durch nichts zu rechtfertigen. Wer das Thema umgeht, ist der Vermögensverteidigungsindustrie anheimgefallen, die neben der Geldwäsche auch die Gehirnwäsche beherrscht.

Aus: taz, 25.04.2013. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Verlages.