von Holger Politt, Warschau
Den Kindertag weiß man auch in Polen angemessen zu feiern. Doch weil der Tag in diesem Jahr auf einen Sonnabend fällt, gibt es ein weiteres Spektakel. Leszek Miller, seit einiger Zeit wieder unangefochtener Frontmann bei den Linksdemokraten (SLD), ruft zu einem „Kongress der Linken“ nach Warschau. Es geht dabei um keinen geringeren Einsatz als um die Hegemonie im linksliberalen Spektrum. Die Streithähne sind der SLD-Chef selbst und Janusz Palikot, der seit seinem Wahlerfolg im Herbst 2011 – mit glatten 10 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen überraschte er faktisch alle – nichts unversucht lässt, die alte Vorherrschaft der SLD im linksliberalen Spektrum endgültig aufzubrechen.
Zwischen die beiden schob sich allerdings Ex-Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski, der mit seiner Initiative, rechtzeitig vor den nächsten Wahlen einen gemeinsamen linksliberalen Block zu bilden, die Sache erst richtig zum Brodeln brachte. Weil als erstes im kommenden Juni die Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen, nannte er die Initiative „Europa Plus“. Kwaśniewskis Rechnung ist einfach, denn zusammen haben die beiden linksliberalen Gruppierungen in aktuellen Umfragen oftmals über 20 Prozent. Diesen Wert bräuchte man, so der Ex-Präsident, um den beiden seit Jahren vorneliegenden Parteien von Ministerpräsident Donald Tusk (PO) und Jarosław Kaczyński (PiS) aussichtsreich Paroli bieten zu können.
In der Konsequenz würde das aber schließlich auf das Aufgeben der bisherigen Parteischilder hinauslaufen, was den Palikot-Leuten aus guten Gründen viel eher entgegenkommt. Sehr weit ist man aus dem Bewegungscharakter nämlich noch nicht herausgekommen, auch wenn man sich als Partei begreift und hartnäckig landesweite Verankerung anstrebt. Noch immer beherrschen die Fraktion und vor allem der Namensgeber fast das gesamte politische Leben der Bewegung. Auch deshalb lehnte SLD-Chef Miller den Vorschlag seines einstigen Parteifreundes strikt ab. Die SLD werde sich nicht aufgeben, sei im Unterschied zu Palikot insbesondere auf der Selbstverwaltungsebene tief verankert und brauche weder den umtriebigen Selbstdarsteller noch „Europa Plus“.
Ein wenig Unruhe erregte ein mediengerecht in Szene gesetzter Personalwechsel, der mit Marek Siwiec und Ryszard Kalisz zwei prominente bisherige SLD-Streiter auf die Seite Kwaśniewskis zog. Ähnlich prominente Zugänge kann Miller bisher nicht vermelden.
Auf der anderen Seite unterlief dem Chef der Palikot-Bewegung Anfang des Jahres ein folgenschwerer Fehler, der nun wiederum die Initiative „Europa Plus“ fast schon wieder in Frage stellte. Nachdem bekannt wurde, dass das Parlamentspräsidium sich selbst recht üppige Prämien zugewiesen hatte, forderte Palikot als einziger seine Vertreterin im Präsidium auf, freiwillig zurückzutreten. Er begründete das mit Wahlversprechen, die – um glaubhaft zu bleiben – auch eingehalten werden müssten. Letztlich sah er sich gezwungen, die bekannte Frauenrechtlerin Wanda Nowicka, die nach Beratung mit Mitstreiterinnen nicht zurücktreten wollte, zu opfern und aus der Fraktion auszuschließen. Ein herber Verlust, denn Palikot verlor seinen Nimbus, im politischen Sinne ausgesprochen frauenfreundlich zu sein, was sich in der prompten Abkehr vieler Fraueninitiativen zeigte.
Kwaśniewskis Hoffnung, über die Palikot-Bewegung im besonderen Maße an ein wichtiges Wählerpotential heranzukommen, ist zerplatzt. In seiner Not ernannte er mit Ryszard Kalisz gar einen Mann zum Frauenbeauftragten, was ihm in den Medien nur mitleidiges Lächeln einbrachte.
Miller stieß nach, riss eine alte Wunde Kwaśniewskis auf. Der nämlich hatte im Herbst 2007 schon einmal versucht, mit einem linksliberalen Block der PO entscheidendes Wasser abzugraben, ging dann aber mit wehenden Fahnen unter. „Europa Plus“ – so die sinnige Anspielung von Miller – sei nichts weiter als ein billiger, zweiter Aufguss, aus dem nichts Gescheites werden könne. Als Kwaśniewski damals seine Einheitsliste aus Linksdemokraten und Liberalen formte, fand sich kein Platz mehr für Miller, der aufs Altenteil abgeschoben werden sollte. Dessen Stunde der Rückkehr an die Parteispitze schlug erst, als die SLD nach dem Erfolg der Palikot-Bewegung jemanden suchte, der das Parteischild vor aller feindlichen Übernahme ernsthaft zu verteidigen versprach. Miller tat es und hält an dieser Linie fest.
Der „Kongress der Linken“ soll nun in erster Linie neues Selbstvertrauen demonstrieren, weil in den meisten Umfragen für die SLD mittlerweile der doppelte Wert zu Buche schlägt wie für die Palikot-Leute. Eingeladen ist ein breites Spektrum, das von Lech Wałęsa über Wojciech Jaruzelski bis zu Aleksander Kwaśniewski reicht. Letzteren ließe Miller sogar Werbung für „Europa Plus“ machen, so sicher fühlt er sich bereits. Eine Vision treibt ihn um: Vorausgesetzt, es kämen bei den nächsten Parlamentswahlen nur noch vier Gruppierungen in den Sejm, bräuchte die Ministerpräsidentenpartei PO, um sich erneut gegen die PiS durchzusetzen, die dann drittstärkste Kraft als Koalitionspartner. Miller möchte seine politische Laufbahn allzu gern als Vizepremier beschließen. Dazu braucht er weder Palikot noch Kwaśniewski, im Gegenteil – deren Scheitern ist in der Vision bereits vorausgesetzt.
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