von Peter Liebers
„Unser Schiller, verhunze tun se ihn“, klagte ein Abonnent des Stuttgarter Staatsschauspiels 1974 über Claus Peymanns „Räuber“-Inszenierung. Ein Student fand dagegen, man müsse Friedrich Schillers Sturm- und Drang-Drama anarchistischer spielen. Die Mehrzahl des Publikums aber war mit der Aufführung dieses ersten Schillerstücks des damals 37-jährigen Regisseurs sehr zufrieden.
Dieser Zwiespalt in der Akzeptanz von Claus Peymanns Inszenierungen ist bis heute ein Phänomen in der Arbeit des Intendanten des Berliner Ensembles (BE). Dabei ist sein Inszenierungsstil nicht auf eine Schocktherapie für das Publikum aus. Er provozierte in Bochum, in Frankfurt/Main und besonders in Wien mit der Auswahl seiner Spielpläne. Die prägten immer wieder Peter Handke, Thomas Bernhard, Botho Strauß und Bertolt Brecht, dazu kamen überraschenderweise Goethe, Büchner und Kleist. Friedrich Schiller findet sich in erstaunlich großen Abständen im Regiekonzept Peymanns. Aber seine Inszenierungen hatten es jeweils in sich. Den „Räubern“ folgten am Wiener Burgtheater „Wilhelm Tell“ (1989) und am BE „Die Jungfrau von Orleans“ (2006) – wie stets umstritten und gefeiert zugleich.
In dem mit viel Gestaltungswillen, aber auch Durchhaltevermögen von 1986 bis 1999 mit einem provokanten Spielplan spektakulär geleiteten Wiener Burgtheater oder einer der unmittelbar danach übernommenen wichtigsten hauptstädtischen Bühnen, dem BE, lassen sich immer wieder auch Bezüge zwischen den Klassikern und der aktuellen gesellschaftlichen Situation erkennen. So setzte Peymann Lessings „Nathan der Weise“ in Besinnung auf den Terroranschlag in New York am 11. September 2001 auf den Spielplan seines Hauses.
Auf erstaunliche Art gelingt es Peymann immer wieder, den US-Amerikaner Robert Wilson mit seiner auf Licht und Bewegungen zielenden Ästhetik an sein Haus am Bertolt-Brecht-Platz zu holen. Aktuell im Spielplan: „Shakespeare Sonette“, „Dreigroschenoper“ und „Lulu“. Am 17. April wird Wilson „Peter Pan“ hinzufügen, jene vor 110 Jahren geschriebene Kindergeschichte von James Matthew Barrie über einen Jungen, der im „Nimmerland“ lebt und niemals erwachsen wird. Vielleicht erklärt diese Geschichte, in der auf einer Insel Elfen, Piraten, Indianer, Meerjungfrauen und Kinder leben und in der wunderbarerweise alle nur an etwas glauben müssen, damit es passiert, Peymanns Faszination vom Konzept Wilsons und möglicherweise von Theater überhaupt.
Zuletzt hatte er Schillers „Kabale und Liebe“ inszeniert – zu seiner eigenen Verblüffung, gesteht Peymann. Denn eigentlich habe er andere Regisseure damit betrauen wollen, sei dem Stoff dann aber selbst verfallen und habe „einen äußerst kreativen Spaß daran“ gehabt. Das bürgerliche Trauerspiel sieht er nicht nur als ein Paradestück des Sturm und Drang. Für ihn sei das Drama des kaum 25-jährigen Schiller ein „ganz besonders starkes und in jeder Zeit wirkungsvolles Stück“, denn man brauche darin gar keinen aktuellen politischen Aufhänger zu suchen. Der ergebe sich aus der tragischen Liebesgeschichte von selbst. „Ich bin fasziniert von dem außerordentlichen Können Schillers, wie er die Geschichte des Zusammenstoßes der jungen Leute mit ihren Idealen und einem skrupellosen Machthaber erzählt.“ Es sei eines der „großartigsten Stücke, das die deutsche Klassik jemals hervorgenbracht hat“, begründet Peymann seine Entscheidung und bekennt sich als ein Regisseur, „der sehr viel über die Sprache und über die Psyche der Figuren vermittelt“. Er gehöre nicht zu den „Schnellschussregisseuren, die die Klassiker auf den Kopf stellen und damit interessant machen wollen, indem sie daraus zum Beispiel eine Schwulenstory konstruieren. Solche Dinge halte ich für Effekthascherei.“ Und die habe Schiller nicht nötig.
Ganz werktreu bleibt aber auch Claus Peymann nicht. Das große Verzeihen findet in der Sterbeszene des Liebespaares bei ihm nicht statt. Der dahin scheidende Ferdinand versichert seiner toten Luise schlicht: „Ich komme.“
Trotz allem Pathos sei „Kabale und Liebe“ ein „sensationell gutes Stück“, schwärmt Claus Peymann und wünscht „manchen zeitgenössischen Autoren etwas von der handwerklichen Fähigkeit des jungen Schiller, einen solchen Krimi zu schreiben“.
Er habe sich nicht zuletzt ganz auf das Drama einlassen können, weil er mit Antonia Bill, Sabin Tambrea, Traute Hoess und Martin Seifert „eine traumhafte Besetzung in meinem Ensemble gefunden habe, so dass ich bester Laune bin“, versicherte Peymann vor der Premiere. Die dürfte auch durch die gnadenlosen Verrisse einiger Kritiker nicht getrübt worden sein. „Studententheater“ oder „nicht zu Ende geprobt“ waren dabei harmlose Anmerkungen. Peymann, der sich gern als Herausforderer gibt, indem er sich als „Stachel im Arsch der Mächtigen“ sieht, hat in den bewegten Jahrzehnten seiner Regie-und Intendantenarbeit einiges aushalten müssen. Wie sehr ihn die Häme dieser „Großkritiker“ möglicherweise dennoch trifft, lässt der Sarkasmus vermuten, wenn er zum Beispiel Journalisten kampfeslustig zuruft: „Bleiben Sie mir feindlich gesonnen! Ich brauche das!“
Tatsächlich gelingt es Peymann in seiner jüngsten Arbeit auf der von Achim Freyer gestalteten Bühne sowohl eine Liebesgeschichte als auch einen zeitlosen Generationenkonflikt zu zeigen, der von Schillers Zeit handelt, aber mit kraftvollen Theaterbildern das Publikum sehen lässt, wie unbehaust die reine Liebe immer wieder bleiben wird. Trotz der Tapferkeit, das Schicksal herauszufordern.
Ein echtes peymannsches Bekenntnis lässt auf die ihm zunächst bis 2014 verbleibende Intendantenzeit am BE hoffen: „Kabale und Liebe“ werde „ganz gewiss nicht mein letzter Schiller bleiben. Immer schon wollte ich ,Don Carlos‘ inszenieren, was ich in absehbarer Zeit hier auch tun werde, zumal ich dafür ja supergute junge Darsteller zur Verfügung habe.“ Mit der von Claus Peymann jetzt neu geweckten Lust auf Schiller wartet man gespannt darauf.
Unser Autor sprach mit Claus Peymann am 28. Februar 2013.
Schlagwörter: Berliner Ensemble, Claus Peymann, Friedrich Schiller, Peter Liebers