16. Jahrgang | Nummer 9 | 29. April 2013

Andalusische Marginalien

von Heinz W. Konrad

Globalisierung paradox, wenn federngeschmückte Indios auf der Plaza de España von Sevilla vor japanischen, deutschen, russischen und dänischen Touristen „Griechischer Wein“ spielen…

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Spanisches Paradoxon, wenn die Begründung dafür, dass der  für das Tier fast ausschließlich letal endende Stierkampf schon deshalb nicht abgeschafft werden kann, weil sonst die eigens dafür gezüchtete Rasse aussterben würde …

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Tinitus-Spezialisten sollten eigentlich an allen Endstationen längerer städtischer Buslinien Praxen errichten – nach länger zeitiger Involvierung in die fröhliche  Kommunikation der Einheimischen wären Touristen zumindest aus nördlicheren Gefilden eine dankbare Klientel …

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Sollten deutsche Städte mit Berlin an der Spitze sich ein Bild davon machen wollen, wie sauber und gepflegt Kommunen und deren öffentliche Anlagen sein können, wären deren Patriarchen statt einer Klausur an der Nordsee ein Besuch spanischer Urbanitäten zu empfehlen …

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Da also bleibt „unser schönes Rettungsschirm-Geld“: In Spanien sind Grünanlagen picobello sauber und sogar die vielen Springbrunnen sind am Sprudeln. Wenn das die Troika erst wahrnimmt …

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Kirmes in Sevilla: allweil schöne Frauen in schicken Flamenco-Kleidern und einer großen Blume im Haar, was für ein schönes Bild! Die dazugehörigen Herren in ihren Anzügen sind zwar ebenfalls feierlich gewandet, wirken aber viel verkleideter als ihre Damen …

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Schrecklich-schöne Konsequenz: Will man (wie zum Beispiel auch in Italien) ein wirklich gutes, also authentisches Restaurant aufsuchen, richte man sich nach der Gästefülle und der entsprechenden Lautstärke in denselben. Denn dann bevorzugen es die Einheimischen, und die wissen, was wirklich gut ist. Nur dass eben neuerlich Tinitusgefahr dräut …

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Marbellas Yachthafen samt  architektonischer Umrahmung: eine geschlossene Gesellschaft der dort Feriensiedelnden, Yachten mit Ausmaßen kurz vor einem Flugzeugträger (warum werden die noch nicht für Private angeboten?), Autos vom Lamborghini aufwärts: Dividende et impera! (Günter Kunert) …

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Nahezu im Zehnminutentakt passieren Afrikaner, vollgepackt mit Taschen, Sonnenbrillen, Bijouterien et cetera die Sonnenliegen am Strand und die strandnahen Restaurants. Ihr Habitus dabei ist gleichmütig, eher resigniert denn aufdringlich. Verfolgt man in seinem jeweiligen Gesichtsfeld die eigentlich hundertprozentige Ablehnung ihrer Offerten und rechnet das hoch, so fragt man sich, wie am Ende eines Tages der kilometerlang  erwanderte Umsatz eines der jungen Männer aussehen mag – und vor allem: ihr Verdienst daran. Gekommen mit einst großen Hoffnungen und vor allem Illusionen  aus dem nahen schwarzen Kontinent müssen sie nun Sklavendienste leisten, um zu überleben – irgendwie …

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Andalusisches Küstenparadoxon: Wenn man diesen Landstrich mit dem Begriff „Beschaulichkeit“ in Verbindung bringt …

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Dem Auge wohlgefällig das satte Grün auf den Feldern im andalusischen Inland. Selbst der ortsansässige Fremdenführer von Ronda erklärt, dass er das schon viele, viele Jahre nicht erlebt habe. Regenfälle, die im ersten Quartal dieses Jahres indes so ergiebig waren wie das Vierfache des sonst üblichen Jahresdurchschnitts, haben das Ihre getan. Aber wie auch wir das kennen: Ohne Zwischenstufe trifft man heuer bereits Mitte April auf mehr als 30 Grad Wärme – „normal“ sind sonst 23 bis 25 …

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Die digitale Technik hat´s möglich gemacht: Immer mehr Touristen – und nicht nur japanische – gerieren sich dank einfachster Bedienungsweise ihrer Geräte und kostensparender Zwischenspeicherung bis zur Endauswahl  als Landschaftsscanner, deren Bewegungen denen einer Rundumleuchte ähnelt. Wo sie gewesen sind, schauen sie sich sicher daheim dann auf dem Bildschirm an, vor Ort ist dafür halt zu wenig Zeit und Virtualität ist eh´ der Trend.  Das erinnert mich an Kurt Tucholskys hübschen Aperçu  von der Frau, die bewundernd das Baby einer Bekannten betrachtet, von dessen Mutter aber gesagt bekommt: Das ist noch gar nichts, Sie müssten erst mal ein Foto von ihm sehen …

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Andalusische Haupteindrücke, willentlich hintangestellt:
Andalusien ist sehr schön, jedenfalls wenn man sich vom Beton der strandnahen Bettenburgen entfernt.
Die Menschen dort sind sehr freundlich, was auch ihre Lautstärke nicht mindert.
Angela Merkel ist in der nach unten offenen Sympathieskala der Spanier nur noch schwer zu orten.