16. Jahrgang | Nummer 6 | 18. März 2013

Staatsoper Berlin: Bloß nicht aus Fehlern lernen

von Birgit Walter

Die Staatsoper wird nicht 239 Millionen Euro kosten, nicht 242, sondern 288 Millionen. Dafür wird sie aber auch nicht in diesem Jahr fertig, nicht im nächsten, sondern 2015 – vielleicht. Aber es darf nichts Unvorhergesehenes mehr passieren, gar nichts, so ein ambitionierter Termin ist 2015, ließ Bausenator Michael Müller jüngst verlauten. Aber warum sollte plötzlich nichts mehr schiefgehen? Hat doch bisher auch immer geklappt.
Und dann wird die Oper doch noch eine Erfolgsgeschichte wie der Flughafen, nur dass bei den Baukosten eine Null fehlt. Nein, Erfolgsgeschichte ist keine ironisch-abfällige Bemerkung, diesen Begriff hat der Regierende für die Zukunft des Flughafens gewählt, nach der dritten Verschiebung. So etwas wird mit der Oper auch hinzubekommen sein. Insider wetten heute schon auf die Rückkehr des Ensembles 2018 und auf Kosten von 350 Millionen. Das wären sieben statt drei Jahre Bauzeit, ein Drittel mehr Ausgaben, aber verglichen mit dem Flughafen nur Stellen hinterm Komma.
Da kann man nichts machen, so ist das, wenn man baut, heißt es in den Berliner Verwaltungen. Es wird an die Elbphilharmonie und an den Stuttgarter Bahnhof erinnert, als seien Bauschlampereien Naturgesetze. Von wegen, wenn die Politik baut, rechnet sie die Kosten vorher klein, weil die Summen nicht vermittelbar wären. Was kann die Politik dafür, dass der Boden in Berlin sumpfig ist? Dass jedes Jahr ein Winter einbricht? Dass die Mauern der Staatsoper so marode sind? Wer steckt schon drin in so einer Wand? Nicht die Bauverwaltung.

Verzicht auf Generalplaner

Die Vorgänge in Schönefeld und Unter den Linden haben in Vielem eine geradezu groteske Ähnlichkeit. In beiden Fällen stehen nicht Leute an der Spitze der Planung, die mit großen oder mittelgroßen Projekten Erfahrung haben. 2007 lagen für den Flughafen Angebote von Generalunternehmern vor, die den Terminal zum Festpreis von einer Milliarde Euro bauen wollten. Aber Politiker und Flughafengesellschaft befanden: zu teuer. Sie hoben die Ausschreibung auf, verzichteten auf einen Generalunternehmer und nahmen die Planung in Eigenregie: 650 Millionen Euro sollten gefälligst reichen. Das Ergebnis kennen wir.
Auch für die Sanierung der Staatsoper war 2008 vernünftigerweise ein Generalplaner vorgesehen. Doch dann entschied sich Berlin für eine Ausschreibung, in der vor allem eine bessere Sicht und Akustik verlangt wurde. Alle acht Bewerber reichten entsprechende Vorschläge ein, und ein moderner Opernsaal gewann den Wettbewerb. Monatelang diskutierte Berlin, ob es den ertragen könne. Um die moderne Variante loszuwerden, dem Architekten aber keine Entschädigung für den entgangenen Großauftrag zahlen zu müssen, wurde auch hier die Ausschreibung abgebrochen und plötzlich eine Denkmalschutz-Variante gefordert. Denkmalschutz! Dabei wird jetzt die Saaldecke angehoben und ein Drittel mehr Raumvolumen geschaffen, äußerst denkmalfeindliche Maßnahmen.
Aber das Drama nahm seinen Lauf: Das Land Berlin baut selbst. Als das bekannt wurde, stöhnte jeder auf, der sich an andere Bauprojekte Berlins in Eigenregie erinnerte. Die Akademie der Künste, die Topographie des Terrors, die Berliner Schauspielschule, alles langjährige Bau- und Planungsskandale. Sie können es nicht. Zu schwerfällig der Apparat, zu bürokratisch die Strukturen, zu unerschöpflich der Vorrat an Steuergeld, zu unklar, wer eigentlich die Verantwortung trägt für die Baustelle und ihre Preisexplosionen. Baudirektorin Regula Lüscher? Bausenator Michael Müller? Der Auftraggeber, Kultursenator Klaus Wowereit?
Sicher ist nur, dass die Verwaltungen einander in herzlicher Abneigung verbunden sind. Klaus Wowereit, der den hochriskanten, alles verteuernden Tunnel in Wasser und Geröll in Auftrag gab, sagt, nach heutigem Kenntnisstand hätte man vielleicht darauf verzichtet. Aber Verantwortung?
Kulturstaatssekretär André Schmitz: „Wenn mir gesagt wird, der Tunnel kostet 17 Millionen, und die Oper ist in drei Jahren fertig – warum soll ich daran zweifeln? Natürlich will das Ensemble so schnell wie möglich zurück in sein Stammhaus, ist doch klar.“ Hat ja prima geklappt. Vielleicht sollte ein Auftraggeber auch mal zuhören, wenn die Bauverwaltung signalisiert, dass derart ehrgeizige Termine kaum zu halten sind. Jedenfalls hat das Regula Lüscher so erzählt. In der ihr eigenen Weise natürlich, mit der sie immer für ein Maximum an Abschottung ihrer Behörde sorgt.

Neue, teure Gebäudestruktur

Mit der sie den Umständen die alleinige Schuld für geplatzte Termine zuweist. Gewiss, wenn sich keiner die Zeit nimmt, alte Baupläne zu lesen, in denen die Pfähle ordentlich verzeichnet sind, kann die Überraschung groß ausfallen. Und auch, wenn schon gebaut wird, während die Planungen noch laufen, wie Lüscher klagte. Wenn monatelang über die Modernität von Sälen diskutiert wird, aber kein Generalplaner mehr da ist, woher sollen dann exakte Kostenprognosen kommen? Da wartet man einfach ab, was wird. Vor allem hält man Unbefugte fern von der Baustelle, damit einem keiner reinquatscht, Presseleute und andere Besserwisser. Dieser Zeitung sagte Regula Lüscher vor Jahren ein Interview mit dem Architekten ab, weil der ja nicht der Bauherr ist. Und der Bauherr, die Verwaltung, hat für sowas keine Zeit, übrigens bis heute nicht.
Auch den Opernleuten wurde ein strenger Maulkorb verpasst, damit sie nicht alles ausplappern. So wie neulich Intendant Jürgen Flimm, der plötzlich ohne Erlaubnis erzählte, dass seinem Haus 4,7 Millionen Euro für die Einrichtung der Garderoben gestrichen wurden. Natürlich hatte dafür niemand eine Erklärung. Aber die Bauverwaltung musste wieder ran, Begründungen erfinden, warum zusätzlich Geld gebraucht wird. In diesem Fall klingt es so: Die innere Gebäudestruktur der Oper hat sich geändert und damit die Raumzuschnitte. Donnerwetter! 2013 bekommt die alte Oper plötzlich eine neue Gebäudestruktur, die zusätzlich drei Millionen Euro kostet? Davon hat auch der Kulturstaatssekretär noch nichts gehört. Aber zu solchen Fragen äußert er sich grundsätzlich nicht, da sei die Verantwortung klar verteilt.
Dabei war es natürlich die Kultur, die die neue Staatsoper bestellt hat, und zwar mit dem wahnsinnigen Tunnel. Der übrigens muss unter dem städtischen Abwasserrohr hindurchführen und deswegen bis zu 17 Meter tief werden. 17 Meter! In diesem Baugrund und direkt neben der Hedwigs-Kathedrale! Nur, um später unter der Erde Kulissen aus einem Magazin zu transportieren, das gar keine Kulissen mehr aufbewahrt, sondern zu Barenboims Akademie umfunktioniert wird. Lediglich der Transport zu den Probesälen wird bequemer.
Die Opposition verlangt einen Baustopp, damit die Kosten nicht weiter nach oben schießen. Wowereit hätte heute ohne Tunnel geplant. Aber hat mal einer eine Kosten-Nutzen-Rechnung erstellt, bevor die Erde aufgebuddelt wurde? Wie viele Millionen ist es uns wert, dass die Oper gelegentlich bequemer umbauen kann? Und wie teuer wird es dafür, die Bühnenbilder aus entfernten Lagern heranzufahren? Die Energieausgaben für die Oper steigen um eine Million, auch durch den klimatisierten Tunnel. Und dann die Saaldecke: Hat mal jemand in Euro abgewogen, was die halbe Sekunde mehr Nachhall kostet, die sich Barenboim wünschte? Ein Nachhall, der voraussichtlich trotzdem von Lautsprechern unterstützt werden muss? Für diese halbe Sekunde nun wird die gesamte Saaldecke demontiert und so weit angehoben, dass da locker ein vierter Rang Platz hätte. Leider destabilisiert die Maßnahme auch das gesamte Bauwerk.

Rausschmiss der Projektsteuerer

Die Bauverwaltung gibt sich den Anschein, als seien all die Zusatzkosten unvorhersehbar. Der Baugrund! Das Mauerwerk! Die Stabilität! Aber was hat es eigentlich gekostet, mitten in der Bauzeit den Projektsteuerer zu feuern? Läuft das unter dem Begriff „vertragliche Anpassungen“ (11,8 Millionen) oder Projektsteuerung (7,2 Millionen)?
Denn das muss man sich mal vorstellen: Die Firma, die sämtliche Kosten und Termine im Blick haben muss, die über jeden Stein Bescheid weiß, ist plötzlich raus aus dem Rennen. Übergangsweise übernahm im November 2012 eine Ersatzfirma die Arbeit, bis die Ausschreibung irgendwann greift und der neue Projektsteuerer mit der Einarbeitung beginnen kann. Das macht schon beim Aufschreiben Zahnschmerzen. Aber wenigstens ist klar, wer hier Mist gebaut hat. Selbst wenn der Projektsteuerer goldene Rohre geklaut hätte und sein Rausschmiss gerechtfertigt wäre: Wer hat ihn ausgesucht? Na also. Klar, dass die Bauverwaltung darüber keine Silbe verliert, dass niemand auch nur mit zehn Cent haftet, vermutlich eher entschädigt wird.
Und die parlamentarische Kontrolle? Fragt einer nach, was die Verwaltung mit „strategischer Neuausrichtung“ meint? Nein. Die Koalitionäre haben sich im Hauptausschuss nicht weiter erkundigt, was es mit der Kostenexplosion auf sich hat. Wofür eigentlich die „18 Millionen Euro für Unvorhergesehenes“ verbaut wurden, wenn jetzt 48 frische Millionen verlangt werden, darunter wieder „13 Millionen für Unvorhergesehenes“. Kein Interesse. Stattdessen ist von denselben SPD-Genossen, die der Schauspielschule wegen einer Kostenerhöhung von zwei Millionen den Garaus machen wollten, der Satz überliefert: Wir wollen nicht wissen, was das kostet. Wir wollen, dass zu Ende gebaut wird. So viel zur Kontrolle.
So ist es immer, wenn gebaut wird, insbesondere bei Großprojekten. Ist es immer so? Natürlich gibt es Bessermacher. Der Gesamtkoordinator der Olympiabauten in London ist ein deutscher Bauplaner, Klaus Grewe. Doch mussten sie die Spiele trotz der ungeschriebenen Verzögerungsgesetze 2012 nicht verschieben. In London wurden sie mit ihren Bauten vier Monate früher fertig und gaben von neun Milliarden eine Milliarde Pfund weniger aus, genau die Rücklagen. Aus der Berliner Politik hört man dazu nur abfällig – bitte nicht zum Zitieren, Frau Walter! – dass da wohl die Baukosten ursprünglich auch niedriger angesetzt gewesen sein sollen.
Von wegen. Denn Klaus Grewe weiß, was eine ordentliche Baustelle braucht: Baukosten-Ehrlichkeit, hohe Transparenz, präzise Risikoberechnung, ausreichende Finanzpuffer und Planungszeit. Dann klappt es auch mit Kosten und Terminen. Dann muss nicht wie bei der Staatsoper für teures Geld nachverhandelt, entschädigt, neu ausgeschrieben, Wochenend- und Nachtarbeit angeordnet werden. Jeder Laie versteht das.
Die Londoner Olympiaplaner hatten ein Risikomanagement für 14.000 Einzelprojekte erarbeitet. Der aktuelle Stand ihrer Kosten und Planungen ließ sich im Internet mitverfolgen, obwohl hier internationale Fonds die Financiers waren und nicht die öffentliche Hand. In Berlin dagegen werden Zahlen und Risiken sogar gegenüber dem Parlament verheimlicht. Als ginge es den Steuerzahler nichts an, wo sein Geld bleibt. Als gäbe es kein höheres Ziel, als unter keinen Umständen aus früheren Fehlern zu lernen.

Aus Berliner Zeitung, 05.02.2013. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlages.