von Hans-Peter Götz
Auch wer die Ägyptische Sammlung seit deren Neueröffnung im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel samt ihrem Prunkstück, der in einem gesonderten Kabinett mit inszenatorischer Finesse präsentierten Büste der Nofretete, bereits besucht hat, sollte sich die dortige umfangreiche Sonderausstellung „Im Licht von Amarna“ anlässlich des 100. Jahrestages der Ausgrabung dieses archäologischen Jahrhundertfundes nicht entgehen lassen.
400 Kilometer nördlich von Theben in den Ruinen der altägyptischen Königsstadt „Achet-Aton“, dem heutigen „Teil el-Amarna“, war die Büste am 6. Dezember 1912 entdeckt worden – offiziell von dem deutsche Archäologen und Leiter der damaligen Grabungen, Ludwig Borchardt, realiter aber wohl eher von einem der zahllosen ägyptischen Grabungsarbeiter, deren Namen in keinen Annalen festgehalten sind. In Borchardts Grabungstagebuch, in dem in der Ausstellung virtuell geblättert werden kann, ist dazu vermerkt: „Lebensgroße bemalte Büste der Königin, 47 cm hoch. Mit der oben gerade abgeschnittenen blauen Perücke, die auf halber Höhe noch ein umgelegtes Band hat. Farben wie eben aufgelegt. Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen.“
Finanziert wurden die betreffenden Grabungen von dem Berliner Industriellen und Mäzen James Simon, in dessen Besitz der spektakuläre Fund anschließend gelangte. Unter äußeren Umständen, die bis heute Fragen nach der Rechtmäßigkeit der Verbringung der Büste nach Deutschland aufwerfen, die deutscherseits allerdings erst jüngst wieder mit Nachdruck zurückgewiesen wurden. Doch ein Geschmäckle scheint da schon zu sein. Oder warum werden die bronzenen Köpfe von Borchardt und Simon jetzt nicht direkt in der Exposition gezeigt, sondern sind zwei Stockwerke tiefer ins Souterrain des Museums verbannt? Dort gibt es übrigens in einem eigens für die Ausstellung eingerichteten Shop Nofretete satt – Bücher, Postkarten, Poster und Nachbildungen der Büste in allen Größen: Bis hin zur Eins-zu-eins-Kopie für preiswerte 2.900,00 Euro.
Als mein Enkel Leo, knapp fünf Jahre alt und angeregt von den Großplakaten der Königinnen-Büste im Berliner Stadtbild, dieser Tage äußerte, „Nofretete besuchen“ zu wollen, ging ich als Großvater nochmals mit ihm hin. Als wir vor dem Modell der Stadt „Achet-Aton“ standen, auf dem der Auffindungsort der Büste, die Werkstatt des Thutmosis, mit einem Nofretete-Bild gekennzeichnet ist, konnte die Vermutung des Enkels – „Dort hat sie gewohnt.“ – mit dem Hinweis auf die Schaffung des Abbildes durch den Künstler noch relativ einfach korrigiert werden, zumal die „Wohnung“, ein Modell des königlichen Palastes, im Nebenraum zu sehen ist. Dann standen wir vor der hoheitlichen Vitrine selbst, und Leo stimmte dem Hinweis zu, dass die Büste schon sehr alt sei und lange im Wüstensand gelegen habe: „Das sieht man, Opa. Die hat nur ein Auge, und die Ohren sind kaputt, und am Hut fehlt ein Stück.“ Sonderlich beeindruckt aber schien das Knäblein nicht. Das hatte offenbar seinen Grund, der sich im übernächsten Saal offenbarte, als Leo plötzlich fragte: „Opa, wann sehen wir denn nun die Nofretete?“ „Die haben wir doch gerade gesehen.“ „Aber Opa, das war doch nur der Kopf. Da fehlt doch noch der Körper.“ Ich muss gestehen, dass ich bis dahin keinerlei Veranlassung dazu gesehen hatte, darüber nachzudenken, wie einem Fünfjährigen der Mut antiker Bildhauer zur Lücke, euphemistisch Büste genannt, plausibel zu machen wäre …
Noch bis 13. April 2013 im Neuen Museum Berlin; Montag-Sonntag: 10-18 Uhr, Donnerstag: 10-20 Uhr; Eintritt: 14,00 Euro, ermäßigt 7,00 Euro; Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei.
Schlagwörter: Alfons Markuske, Neues Museum, Nofretete