von Gerhard Dilger, São Paulo
„Auf Augenhöhe“ wolle man Lateinamerika begegnen, versicherte Angela Merkel. In der Tat: Die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Partnerschaft waren noch nie so günstig wie heute. Doch dazu kommt es nicht – wegen Europa. So bekräftigte die Bundeskanzlerin Ende Januar beim Gipfeltreffen zwischen der EU und der Lateinamerika-Karibik-Gemeinschaft (Celac) in Chile vor allem das neoliberale Mantra von mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Schulden-, sprich: Sozialabbau.
Im Gegensatz zur EU mit ihrer hausgemachten Dauerkrise setzt das vorwiegend mitte-links-regierte Südamerika auf sozialen Ausgleich. Rohstoffeinkünfte füllen die Kassen, doch die Volkswirtschaften wachsen auch dank gezielt gestärkter Binnennachfrage. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff kritisiert Merkels Austeritätspolitik immer wieder, selbst Chiles rechtsliberaler Staatschef Sebastián Piñera forderte eine Beziehung mit „weniger Abhängigkeit und mehr Symmetrie“.
Besonders deutlich wird der neokoloniale Konsens der tonangebenden EU-Politiker- und Technokratenkaste in der Handelspolitik. Fast unter Dach und Fach sind die Freihandelsabkommen mit den schwächeren Partnern Peru und Kolumbien oder in Zentralamerika. Ihnen wurden Vorzugsbedingungen für EU-Multis aufgedrängt und dabei auch noch die Bemühungen konterkariert, die Finanzmärkte stärker zu kontrollieren – die Drogenmafia reibt sich die Hände. Brasilien, Argentinien, Venezuela und Bolivien weisen hingegen die EU-Forderungen nach einseitiger Marktöffnung selbstbewusst zurück, allen voran Argentiniens linksperonistische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Ohne spürbare Gegenleistungen der EU auf dem Agrarsektor hat das von der EU angemahnte Freihandelsabkommen mit der Zollunion Mercosur keine Chance.
Dem Stillstand auf Regierungsebene setzten in Santiago um die 400 Basisgruppen eine zukunftsweisende Agenda entgegen, für eine Agrarwende und gegen die umweltzerstörerische EU-Rohstoff-Offensive. Merkels Europa sieht dagegen ziemlich alt aus.
Der Autor leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Brasilien und den Cono Sur in São Paulo.
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