von Horst Möller
Mit seiner vor zwei Jahren im Athener Verlag Metaichmio vorgelegten Biografie des „Barfußpropheten von Pilion“ hat Kostas Akrivos die literarische Szene Griechenlands in ein regelrechtes Alfons-Hochhauser-Fieber versetzt. Bereits zu seinen Lebzeiten war ja der aus Judenburg stammende Steiermärker – ein Aussteiger, der sich mit jungen Jahren die rauhe Umgebung von Volos auf dem nordwestlichen griechischen Festland zur Wahlheimat erkoren hatte – schon allein durch die vier ihm geschuldeten Bücher Werner Helwigs zu einem Roman- und Filmhelden geworden. Als ein abenteuerlicher Verächter aller Zivilisation interessiert er seinen ersten griechischen Biografen heute allerdings weniger. Kostas Akrivos, am 19. Mai1958 in Volos geboren, dort seit 1983 als Lehrer tätig und seit seinem literarischen Debut im Jahre 1985 längst erfolgsgewohnt, geht es zum einen um den Verfechter eines unkonventionellen Lebens in und mit der Natur, der freilich weit entfernt ist davon, sich in konfliktfreier, ungestörter Idylle zu verlieren. Doch wichtiger noch ist ihm der Protagonist einer selbstbestimmten Existenz in Zeiten, in denen individuelle Unabhängigkeit auf ihre Schranken verwiesen wird. Die von Hochhauser schon in den neunzehnhundertzwanziger/dreißiger Jahren für sich erschlossene, in ihrer Ursprünglichkeit rein und unverfälscht erhaltene Gebirgslandschaft des Pilion mit ihren schroffen Abstürzen zum Ägäischen Meer und zahllosen Ankerbuchten sowie geheimnisvollen Grotten wurde erst in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr als attraktives, zudem hochkarätig mythologisch aufgeladenes, schützenswertes und vor allem auch schutzbedürftiges Refugium wahrgenommen. Die Ironie der Zeitläufte brachte es mit sich, dass der mit diesen Örtlichkeiten bestens Vertraute während des 2. Weltkriegs hierhin, wo seinem Empfinden nach alle Merkmale eines irdischen Paradieses vereint waren, in der Uniform der Geheimen Feldpolizei als Dolmetscher befohlen wurde. Er habe verhindert, dass das nördlich von Volos gelegene Veneto eingeäschert worden ist, und habe so das Bergdorf vor einem Schicksal bewahrt, das so viele Ortschaften im ganzen Land zu erleiden hatten. Nach dem Krieg, 1957, dann wieder freier Herr seiner Entscheidungen, ist er zurückgekehrt und hier auch bis zuletzt geblieben. Seinem Vorsatz folgend und genau die filmisch festgehaltene, in beklemmend heiterem Überschwang dargebotene Ankündigung wahr machend, hat er sich mit knapp 75 Jahren am 15. Januar 1981 auf dem Gipfel des Koromilia der Eiseskälte überantwortet – mit einer Souveränität, die erschauern lässt.
„Wer erinnert sich an Alfons“ lautet der Titel der griechischen Originalausgabe. Kostas Akrivos hat nicht versucht herauszufinden, ob in seinem Helden womöglich noch etwas vom umtriebigen Wesen der Gründer seiner Vaterstadt geschlummert hat oder ob er sich bei seinem Lebensentwurf etwa von einer Figur hat leiten lassen, wie sie B. Traven mit seinem Gerald Gale in die Welt setzte. Denn auch 25 Jahre nach Hochhausers Tod sind im Umkreis von Volos und darüber hinaus überraschend viele Zeitzeugen und bisher nicht gesichtete Selbstzeugnisse aufzuspüren gewesen, die auf direkterem Wege ein Lebensbild zu erstellen halfen, freilich zunächst ein aus unterschiedlichsten Mosaiksteinchen zusammengesetztes recht diffuses Bild. Wie es im weiteren Prozess der Annäherung gelingt, klarere Konturen hervortreten zu lassen, daraus ergibt sich eine spannungsvolle Rahmenhandlung. War Alfons Hochhausers Biografie ein gelebter Roman, in Teilen sogar ein Kriminalroman? Erliegt der, der über ihn schreibt, der Versuchung, ihn zu einem Idol zu machen und sich insgeheim als dessen Sohn zu sehen oder gar zu wünschen? In einer Schlüsselszene der stilsicher mit einmontierten Originaldokumenten durchkomponierten Biografie berichtet Kostas Akrivos vom eigenen Vater, der sich erst auf dem Krankenbett im Hospiz zur bis dahin vorenthaltenen Wertschätzung der schriftstellerischen Arbeit seines Sohnes durchzuringen vermochte. Womit sich am Schluss die Frage „Wer war Alfons Hochhauser?“ oder „Wer ist ein merkwürdiger, aber bemerkenswerter Mensch?“ dahingehend wendet: Ja, wer bist denn eigentlich Du selber? Ein Buch, das zu solcherart Selbstbefragung verführt, darf als ein großes gelten.
Kostas Akrivos: Alfons Hochhauser – Der Barfußprophet von Pilion. Roman, Größenwahn Verlag, Frankfurt am Main 2012, 201 S., 21,90 Euro
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