von Erhard Crome
Die Protokollführung hatte Udo Voigt. Sagen in der Sitzung musste der Fraktionsvorsitzende der NPD in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin-Treptow (und nebenher noch Parteivorsitzender) nicht viel. Das besorgten die anderen. Es war im März 2011, eine Sitzung des Ausschusses für Bildung und Bürgerdienste der BVV. Auf der Tagesordnung stand, an dem Haus in Berlin-Adlershof, in dem Steffie Spira von 1965 bis 1987 gewohnt hatte, das ist Hoffmannstraße 2, eine Gedenktafel anzubringen für die Schauspielerin, Antifaschistin und immerhin die Frau, die auf der großen Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989 gefordert hatte, das SED-Politbüro solle abtreten.
Als 2004 „250 Jahre Adlershof“ gefeiert wurden, sammelte das Festkomitee die Namen vieler berühmter und bekannter Personen, die in Adlershof gelebt und gewirkt hatten. Darunter war auch Steffie Spira. Sie wurde 1908 als Kind jüdischer Eltern geboren, beide waren Schauspieler. Schauspielerin wurde auch sie, war Ende der 1920er Jahre in Berlin, arbeitete an der Volksbühne, wurde Mitglied der KPD, machte auch politisches Apitprop-Theater. Nach der Machtergreifung der Nazis musste sie emigrieren, schlug sich mit ihrem Sohn in Paris durch, lebte mit ihrer Familie dann in Mexiko, wo sie auch mit Anna Seghers und anderen linken Künstlern befreundet war. 1947 kehrte die Familie nach Deutschland zurück und beteiligte sich am Aufbau der DDR, die ein sozialistisches Deutschland werden sollte. Sie wurde eine bekannte, mit ihren Rollen in Unterhaltungsfilmen des DDR-Fernsehens auch populäre Schauspielerin. Ihre Enttäuschung über die Herrschaft der Politbürokratie veranlasste sie zu dem berühmten Auftritt auf dem Alexanderplatz 1989, mit dem nach Brechts Zitat aus dem „Lob der Dialektik“ folgte: „So wie es ist, bleibt es nicht.“ Kommunistin blieb sie dennoch. Zum 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der Gründung der DDR, hatte sie eine rote Fahne mit Trauerflor aus dem Fenster gehängt. (Für die Jüngeren: In der DDR wurden zu politischen Festtagen Fahnen aus dem Fenster gehängt, zumindest bei den Menschen, die sich mit dem Land identifizierten, und bei denen, die meinten, dies sei politisch opportun.) Das war das Zeichen von Dreierlei: ihres Protestes, ihrer Trauer und ihres Willens, trotz alledem Kommunistin zu bleiben. Insofern hatte ihr Büchlein mit Tagebuch-Notizen, das sie 1990 veröffentlichte, den Titel: „Rote Fahne mit Trauerflor“.
Das Festkomitee Adlershof, das nach 2004 beschlossen hatte weiterzuarbeiten, und der Adlershofer Bürgerverein – beides keine kommunistischen Traditionsvereine, sondern sich dem kulturellen Erbe des Ortes verpflichtend – betrieben dann die Würdigung vor allem der Adlershofer Bürger, die bis dato nicht entsprechend gewürdigt wurden, darunter von Steffie Spira. Für Anna Seghers gibt es eine Straße in Adlershof und ihre frühere Wohnung als literaturwissenschaftliche Gedenk- und Arbeitsstätte, für Berta Waterstradt, sie schrieb Dramen, Drehbücher und Hörspiele, ebenfalls eine Straße, so lag es nahe, zumindest an dem Haus, in dem Spira jahrelang wohnte, eine Gedenktafel anzubringen. Nachdem das mit den Möglichkeiten des Vereins allein nicht ging, wurde die Bezirksverwaltung angefragt, dazu braucht es ein förmliches Verfahren, es muss einen Antrag geben – den brachte schließlich die BVV-Fraktion der Linken ein, auch wenn die Initiative von den nicht-linken Adlershofer Vereinen kam – und dann die Behandlung in der BBV.
Der Vorbereitung der BVV-Beratung diente die Sitzung in dem oben genannten Ausschuss. Die geladenen Gäste von den Adlershofer Vereinen dachten, es ginge noch einmal zur Sache, zur Person Steffie Spira, um einen Dialog um eine zu würdigende Lebensleistung, um einen offenen Austausch, der zur politischen Meinungsbildung beitragen soll. Nein, sagte der bereits etwas angejahrte Vertreter der SPD, er habe sich das Buch „Rote Fahne mit Trauerflor“ genau angesehen, und die Spira blieb ja bis an ihr Lebensende Kommunistin, ohne sich von den Untaten des Kommunismus zu lösen. (Udo Voigt nickte heftig.) Es gab ja andere, die sind in sich gegangen, wie Schabowski, das wissen wir ja, der hat sich von all dem, wofür er auch selber verantwortlich war, später distanziert. Aber Spira blieb Kommunistin. Deshalb stimme die SPD gegen eine Würdigung dieser Person. Die dem Lebensalter nach jüngeren Angeordneten der CDU und der FDP pflichteten dem bei. Das ginge nicht, nach all dem, was wir über den Kommunismus wissen. Am Ende wurden die stimmberechtigten Mitglieder des Ausschusses aufgefordert, die Hand für oder gegen die Gedenktafel zu heben. Dafür waren nur die Vertreter der Linken. SPD, CDU, FDP und NPD waren – als gleichsam antikommunistische Einheitsfront – geschlossen dagegen. Voigt sagte zu, das Protokoll fristgerecht zu liefern. Entsprechend dem Votum des Ausschusses hat die BVV Treptow-Köpenick am 27. Mai 2011 die Gedenktafel für Steffie Spira abgelehnt.
Hat dieses scheinbar abseitige Einzelereignis etwas mit den faschistischen Untaten – Stichwort „NSU“ – zu tun, mit denen wir uns jetzt auseinanderzusetzen haben? Die Berliner Zeitung schrieb am 20. November: „Die Öffentlichkeit hat sich schon fast an die höchst selektive, selbstverständlich nur zufällig entstandene und über Jahre verfeinerte Schredderpraxis vor allem der Verfassungsschutzämter gewöhnt: Vernichtet werden Akten mit Bezug zum Rechtsextremismus (nicht zum Rechtsterrorismus, den hat es bis vor einem Jahr in Deutschland bekanntlich nicht gegeben), sorgfältig aufbewahrt werden die Akten mit Bezug zum Linksextremismus und zum islamistischen Terrorismus. Es ist, als seien die Akten zum Rechtsextremismus in Deutschland mit einem Fluch belegt: Kaum drohen sie ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu werden, sind sie – infolge eines Versehens, eines bedauerlichen Fehlers, einer missverstandenen Fristenregelung – von dem einen auf den anderen Tag verschwunden.“ Der Spiegel (45/2012) stellt die Frage noch etwas schärfer: „Ein Geheimpapier des BKA zeichnet ein desaströses Bild der Nachrichtendienste: Haben die vielen V-Leute die rechtsextreme Szene erst stark gemacht?“
Starke Fragen. Aber keine Antworten. Man wird sie nur finden können, wenn man nicht lediglich nach dem „nationalsozialistischen Untergrund“ fragt, sondern auch nach dem „antikommunistischen Obergrund“, der all das erst möglich macht.
Udo Voigt ist seit November 2011 nicht mehr Vorsitzender der NPD. Sie hat ihn aber als Berater engagiert, gegen ein drohendes Verbotsverfahren. Da die Innenminister, vor allem der CDU, weiter rumeiern, hat die NPD jetzt die Flucht nach vorn angetreten: Sie hat beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Feststellung ihrer Verfassungstreue eingereicht. Wenn das so geht, wie in Treptow-Köpenick, stehen die Chancen nicht schlecht.
Schlagwörter: Antikommunismus, Erhard Crome, NSU, Rechtsextremismus, Steffie Spira