von Hans-Peter Götz
Norbert Podewin ist Blättchen-Lesern als Autor seit längerem vertraut. Nun hat er, Jahrgang 1935, – nein, keine Memoiren, aber höchst vielseitige „Lebenssplitter“ vorgelegt. Die reichen von seinem Geburtsort, dem „Stadtbezirk Horst Wessel“ in Berlin (vormals und nachmals: Friedrichshain, aber als einziger Berliner Stadtbezirk im Dritten Reich für 1.000 Jahre umbenannt), bis in die „Diktatur des großen Geldes“, also bis in die unmittelbare Gegenwart.
Lebensstationen, an denen Zeitgeschichte stattfand und gestaltet wurde, hat Podewin in der DDR etliche durchlaufen – als Volkspolizei-Kommandeur an der Berliner Sektorengrenze und als Betriebszeitungsredakteur im VEB Elektroprojekt (ELPRO) am Berliner S-Bahnhof Ostkreuz ebenso wie als späterer Mitarbeiter der SED-Politbüromitglieder Albert Norden und Friedrich Ebert und nicht zuletzt als langjähriger Ressortchef „Internationale Verbindungen“ im Nationalrat der Nationalen Front. Podewin zählte zu den Verfassern des unter Federführung von Albert Norden 1965 herausgegebenen legendären Braunbuches über Nazi- und Kriegsverbrecher an den Schalthebeln der Bonner Republik (siehe Blättchen 7/2012), das westlich der Elbe seinerzeit als „Propaganda“ gescholten wurde und dessen (dokumentierter) Wahrheitsgehalt heute unstrittig ist. Podewin war am Ort des Geschehens verantwortlich für die Nachrichtenverbindungen zu Walter Ulbricht (auf Urlaub in Suhl) und Erich Honecker (im ZK-Gebäude in Berlin), als 1970 im Erfurter Hof, dem Hotel vis-à-vis vom Bahnhof der damaligen gleichnamigen Bezirksstadt, Bundeskanzler Willy Brandt und Ministerpräsident Willi Stoph nach Jahrzehnten frostigsten Kalten Krieges das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen absolvierten. Podewin reiste mit Friedrich Ebert zu Staatsbesuchen in den Nahen Osten, er besuchte Länder in Afrika, Kuba, Nordkorea, und er sollte 1987 die afghanische Führung im Auftrag Honeckers beim Aufbau einer Nationalen Front nach dem Vorbild der DDR beraten. Nach seiner Rückkehr berichtete er dem Parteichef, dass dafür die Voraussetzungen fehlten und nannte eine allein militärische Lösung des Konflikts am Hindukusch „irrealistisch“. Die Invasion sowjetischer Streitkräfte sollte zwei Jahre später erfolglos beendet werden.
Seine interessante Vita hat Podewin übrigens zu einem Teil dem damaligen Klassenfeind in Gestalt des RIAS zu verdanken.* Dessen Senderreihe „Aus der Zone – für die Zone“ griff für ihre Beiträge auch auf Meldungen aus DDR-Betriebszeitungen zurück. Im Frühjahr 1962 erhielt Podewin überraschend Post vom „Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland“, dessen Vizepräsident Gerhard Dengler um ein Gespräch bat. Beim Eintritt in dessen Amtszimmer fand Podewin einen weiteren Gast vor, der ihm schlicht so vorgestellt wurde: „Den Genossen Albert Norden kennst Du ja wohl.“ Dort erfuhr Podewin, dass sich künftig im Westbereich des Nationalrates drei Arbeitsgruppen – Staat, Wirtschaft, Justiz – mit Nazitätern in diesen Bereichen der Bonner Republik befassen sollten und dass er als einer der Mitarbeiter vorgesehen sei. Für Podewin „als Geschichtsbesessenen“, wie er schreibt, „äußerst verlockend und auch materiell eine Aufwertung“. Sein Gehalt sollte sich von 700 auf 800 Mark erhöhen. Bei aller gebotenen Zurückhaltung gegenüber führenden Genossen konnte der Jungredakteur seine Neugier aber denn doch nicht unterdrücken und wollte wissen, wie man auf ihn verfallen sei. Die Antwort kam von Albert Norden: „Weißt du, wir hören immer mal wieder von dir und deinem publizistischen Wirken in Aus der Zone – für die Zone, und da dachten wir uns: an dem muss was dran sein. Noch Fragen?“ Im Juni 1962 trat Podewin seine neue Arbeitsstelle an.
Zu wünschen gewesen wäre diesem interessanten Buch allerdings ein sorgfältigeres Lektorat durch den Verlag. Dann wären sachliche Fehler wie bei der Angabe der Flächenausdehnung Afghanistans auf Seite 144 (6,5 Millionen Quadratkilometer; es sind aber tatsächlich nur knapp über 650.000) und die eine oder andere sprachliche Holperstelle leicht zu vermeiden gewesen.
* – Für jüngere Leser: Der RIAS – Akronym für Rundfunk im amerikanischen Sektor – war ein Radio- und später auch Fernsehsender unter der Ägide der Amerikaner, der vorrangig in die DDR ausstrahlte und mit seinen zum Teil offen hetzerischen politischen Beiträgen zur Destabilisierung der „Zone“ beitragen sollte.
Norbert Podewin: Mein Leben in drei Diktaturen, edition ost, Berlin 2012, 278 Seiten, 16,96 Euro
Schlagwörter: edition ost, H.-P. Götz, Norbert Podewin