von Hans-Peter Götz
Einen Paukenschlag in der deutschen Ausstellungsgeschichte markierte im Jahre 1912 die Düsseldorfer Vereinigung Sonderbund, ein Zusammenschluss von Künstlern, Sammlern und Museumsfachleuten: In einer Zeit, die bereits von jenem nationalistischen Chauvinismus geprägt war, der zwei Jahre später den Ausbruch des ersten Weltkrieges begünstigen sollte, präsentierte der Sonderbund im Wallraf-Richartz-Museum zu Köln eine Gesamtschau der bis dato in Deutschland zum Teil wenig bekannten oder offen abgelehnten europäischen Moderne. 650 Gemälde von Malern aus Frankreich, Deutschland, Österreich, Norwegen, Ungarn, der Schweiz sowie Holland, aber auch zahlreiche Skulpturen umfasste die Ausstellung. Und in der Mitte der Exposition befand sich eine abgedunkelte, 13 Meter hohe „Kapelle“ mit Kirchenfenstern von Johan Thorn Prikker, die eine spektakuläre Wirkung entfalteten, aber so unorthodox in ihrer Gestaltung waren, dass sie erst Jahre später in dem Gotteshaus in Neuss montiert werden durften, dessen Gemeinde den Auftrag zu ihrer Schaffung erteilt hatte.
Den Vätern der europäischen Moderne, allen voran van Gogh, aber auch Cezanne und anderen widmete die Ausstellung eigene Räume; van Gogh allein war mit 138 Werken vertreten.
Von den Akademien, der Presse und dem Publikum wurden Bilder wie Künstler überwiegend mit Ablehnung und Empörung, teils mit dümmlichem Spott – „eben nur Maler, die Muster für Teppiche, Stickereien, Tapeten entwerfen“ – aufgenommen. Umso mehr sind der Mut und die Weitsicht der damaligen Ausstellungsmacher zu bewundern. Und das internationale Echo gab ihnen Recht. Die Ausstrahlung der Exposition reichte weit über das Rheinland und Deutschland hinaus.
In einem „Klassentreffen“ hat das heutige Wallraf-Richartz-Museum nun 125 Exponate der damaligen Schau erneut versammelt – mit fast kriminalistischer, dreieinhalb Jahre in Anspruch nehmender Vorarbeit, die vor allem der Kuratorin Barbara Schäfer zu danken ist. Der Katalog von 1912 hatte zwar 65 Werke abgebildet, aber die Auflistung der übrigen war oft nicht exakt genug, um daraus eindeutig auf bestimmte Werke schließen zu können. Und es lagen zwei Weltkriege und die Vernichtungswut der Nazis gegen „entartete Kunst“ zwischen damals und heute. Im Endeffekt stellte sich heraus, dass nicht wenige der Bilder insbesondere die letztgenannte Periode nicht überstanden hatten.
Vergleichsweise reichhaltiges Fotomaterial von der Ausstellung fand sich schließlich im Stadtarchiv von Köln. Und manche Wiederauffindung ermöglichte auch der Zufall – wie im Fall der „Klosterkapelle Klausen“ von Alexander Kanoldt. Nach einem Aufruf in der Presse meldete sich ein Museumskollege aus Lübeck, vom Behnhaus/Drägerhaus: Er habe ein Gemälde mit einem Etikett der Sonderbundschau von 1912 auf der Rückseite im Bestand …
Mein Favorit in der jetzigen Präsentation: Edward Munch – Amor und Psyche, ein Gemälde, das aus Oslo angereist ist. Solch’ expressive Farbigkeit und Pinselführung waren mir von diesem Maler bisher nicht bekannt. Und was da an stiller Trauer zwischen den beiden schemenhaft dargestellten Halbakten schwingt, ist überwältigend. (Ein, wenn auch nur unvollständiger Eindruck von diesem und anderen Gemälden lässt sich im Internet gewinnen: www.wallraf.museum/index.php?id=337.)
Tipp zum Schluss: Wer die Ausstellung besucht, der gönne sich nicht zuletzt den Audioguide. Der ist nicht nur eher unakademisch und höchst informativ, sondern durch die Stimmen von Hansi Jochmann und Christian Brückner auch noch ein akustischer Genuss.
Walraf-Richartz-Museum, Köln – noch bis 30. Dezember; Öffnungszeiten: Montag – Sonntag, auch feiertags 10 – 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr; Eintritt: 12,- Euro (ermäßigt 8,- Euro).
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