von Eckhard Mieder
Trotz fehlender Reisefreiheit – jedenfalls für mich – war ich zu DDR-Zeiten in Landschaften, an Flüssen und in Städten des Nichtsozialistischen Währungsgebietes unterwegs. Das ging mir plötzlich durch den Kopf, neulich, als wir in Kiruna Halt machten und uns im ICA-Laden ein Mittagsmenü zusammenstellten. „Sechs Buchstaben, 37 Waagerecht“, sagte jemand in meinem Kopf. „Stadt im Norden Schwedens.“
Wir fuhren dann weiter, Stunde um Stunde. Ich wusste nicht mehr, ob wir schon in Dalarna oder in Värmland waren, durch Jämtland oder Vesterbotten glitten. Näherten wir uns Göteborg oder waren es noch Hunderte Kilometer bis in die Gemeinde Flötemarken, wo es einen See gibt, der unser Lieblingssee in Schweden ist. Angeblich gehört der einem Norweger, der sich seinerseits verspekuliert haben soll und ihn wieder verkaufen will. Leider fehlt es uns an den nötigen Kronen, auch wenn der Preis nicht sehr hoch sein soll. Das sind so Geschichten, gelt?
„Stadt im finnischen Teil Lapplands?“ fragte dieser mysteriöse Jemand in meinem Schädel. „Fünf Buchstaben im finnischen Teil Lapplands.“ Da in der Nähe waren wir vor zwei oder drei Wochen. Die Zeit verschwimmt uns, wenn wir zum Wandern im Norden Europas unterwegs sind. Oder dorthin unterwegs sind. Oder von dort zurück müssen. Es verschwimmen sogar die Zeiten.
„Pisa“, hörte ich meine Liebste sagen, der ich inzwischen von dieser Koinzidenz der Begriffe Reisefreiheit und Kreuzworträtsel erzählt hatte. „Zwei Waagerecht, Stadt in Italien mit vier Buchstaben!“ Oja, auf dem Schiefen Turm waren wir inzwischen auch. „Eifel“, sagte meine Weg- und Liebesgefährtin. „24 Senkrecht! Fünf Buchstaben, Teil des Rheinischen Schiefergebirges!“ Oja, da waren wir schon ein paar Mal wandern, und wir überquerten auch schon 17 Senkrecht, vier Buchstaben, einen Höhenrücken des Weserberglandes*.
Während wir also Stunde um Stunde in unserem Auto – 12 Waagerecht, vier Buchstaben, Automarke in der BRD** – fuhren, schrumpfte die Erde mit ihren natürlichen und mit ihren künstlichen Auswüchsen zu einem Kreuzworträtsel. „Da waren wir damals aber ziemlich unterwegs“, meinte ich nach einer Weile, in der Wälder und Seen an uns vorbei glitten. „Rein theoretisch gesehen!“
„Rein theoretisch haben wir auch im Sozialismus gelebt“, antwortete meine Sanfte. „Aber was ist das für ein Sozialismus, der die Menschen nicht reisen lässt?“
Darüber zu diskutieren, hat uns schon Stunden inniger Vertrautheit gekostet. Darauf sind wir nicht aus, wenn wir alles in allem glücklich sind und noch den Druck der Wanderschuhe spüren. Außerdem waren wir doch in Polen, in Bulgarien, in Ungarn, in der Sowjetunion – apropos: Grenzgebirge zwischen Europa und Asien mit vier Buchstaben***? Aber wie gesagt, Autofahren, Glücklichsein und Diskutieren geht nicht in eins. Außerdem muss man höllisch aufpassen, dass nicht der majestätische, dämliche Elch plötzlich aus dem Walde tritt und Schluss macht mit jeglicher Weltanschauung.
„Weißt du, dass ich die Donau, 4 Waagerecht, immer nur mit Budapest verband?“, sagte meine träumerische Lappland-Liebhaberin dann.
„Und Inn und Isar erst!“
„Was haben die mit Budapest zu tun?“, fragte meine Beifahrerin streng.
„Nichts“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Aber Nebenflüsse des Rheins sind sie doch auch. Und da waren wir auch schon. Weißt du noch, als wir in Tübingen…“
„Durch Tübingen fließt der Neckar. Und die Donau ist kein Nebenfluss des Rheins. Wohingegen die Isar ein Nebenfluss der Donau ist. Wie der 18 Waagerecht, Nebenfluss des Rheins mit drei Buchstaben****, die …“
Wälder und See und hin und wieder eine Ansammlung von Häusern in Schwedenrot zogen vorüber. Wie die Erinnerungen an die plötzlich rätselhaft gewordenen Kreuzworträtsel von anno dunnemals. Und sich mischten, mit den reellen Besuchen der Gegenden, danach, als wir die Reisefreiheit errungen hatten.
Als wir nicht nur 8 Senkrecht, vier Buchstaben, Grenzort zwischen Spanien und Frankreich***** ankreuzten, sondern mit der Bahn durchfuhren. Als wir im Zug in dem englischen Küstenort mit fünf Buchstaben****** aus der Erde krochen, nachdem wir bange Viertelstunden mit der Information verbracht hatten, dass sich ein entgegenkommender Zug auf dem falschen Gleis befand. Als wir auf der kleinen Yacht eines Millionärs auf der Fulda einen Nebenfluss derselben mit vier Buchstaben******* einfließen sahen…
Man erlebt so manches auf Reisen. Das passt auf keine Kuhhaut und in kein Kreuzworträtsel. Und einiges ist noch offen. Die Welt schrumpft nämlich nicht. Sie wird immer größer, je mehr man von ihr kennt.
Etwa waren wir noch nie im Luftkurort im schweizerischen Kanton Graubünden – sechs Senkrecht, fünf Buchstaben******** und standen auch noch nicht am Ufer des nordwestdeutschen Flusses zum Dollart*********. Obwohl, im sozialistischen Kreuzworträtsel war ich da schon überall.
* Hils
** Opel
*** Ural
**** Ill
***** Irun
****** Dover
******* Eder
******** Arosa
********* Ems
Schlagwörter: DDR, Eckhard Mieder, Kreuzworträtsel, Reisefreiheit