15. Jahrgang | Nummer 19 | 17. September 2012

Neues von der Energiewende

von Margit van Ham

Professor Kuhn war im September 2023 mit einer sensationellen Erfindung an die Öffentlichkeit gegangen. Er genoss es, mit seinen 67 Jahren so im Rampenlicht zu stehen und als neuer Einstein bewundert zu werden. Dabei beruhten seine Forschungen auf einer verrückten Idee und – das muss man schon sagen – waren verständlicher Weise verlacht worden. In einem Interview äußerte er sich über den Anlass seiner Forschungsarbeiten. Kuhn hatte sich über die Jahre immer mehr erregt über die Heißluft, die überall abgegeben wurde und zum unschlagbaren Karriereelement mutiert war. „Substanz“, meckerte er zumindest seine Studenten noch an, „ich brauche Substanz.“ Vergeblich. Fakten, die in zwei Sätzen hätten genannt werden können, wurden zu langen Referaten oder Büchern oder Fernsehsendungen. Internet, ach Gottchen, der shitstorm ließ grüßen.
Als überzeugter Demokrat hoffte er auf das Parlament. Er besuchte dessen Sitzungen und das Ergebnis können Sie sich denken… Dann wurde auch noch ein Kollege befördert, der aus NICHTS einen wahren Wirbelsturm entfachen konnte. Kurz – Professor Kuhn war frustriert, sein Blutdruck gefährlich angestiegen.
Da hatte er –damals im Jahr 2012 – eine Idee, die zumindest seinen Blutdruck senken sollte. Als alle Welt von einer Energiewende sprach, stellte er sich die Aufgabe, die ärgerliche Heißluft in nützlichen Strom, zu verwandeln. Da sein Konzept keine Fördergelder erwarten ließ und er bei aller Verrücktheit auch Realist war, grübelte er in seiner Freizeit. Gut, dass er schon immer ein Hobbybastler und sein Kumpel ein Ingenieur war. Die beiden forschten an einer Auffangvorrichtung für die abgegebene Heißluft. Die musste ja zunächst als solche erkannt werden und dann noch in echte heiße Luft verwandelt werden. Das war der weitaus schwierigste Teil der Forschung, alles andere würde sich mit gängigen technischen Methoden lösen lassen. Es gelang ihnen schließlich, eine Art Netz aus winzigen Sensoren und Umwandlern zu bauen, das kaum sichtbar überall gespannt werden konnte und mit einem Generator verbunden war.
2019 fanden die ersten Versuche damit statt. Kuhn hatte den Hausmeister der Bundespressekonferenz von seinem Projekt überzeugen und unbemerkt von den Akteuren das Netz installieren können. Da war so viel Technik, dass das gar nicht auffiel. Anfänglich war die Ausbeute an Energie noch nicht so überzeugend, aber immerhin – es wurde Energie gewonnen und Kuhn war davon so elektrisiert, dass er nunmehr seinen Job aufgab und Tag und Nacht an seinem Projekt arbeitete. Er verstärkte die Sensorenleistung, lernte das Netz zu falten, um die Heißluft zu komprimieren. 2022 waren sie zufrieden mit den Testergebnissen und wollten diese veröffentlichen. Aber kein wissenschaftliches Blatt wollte das haben.
Da beschloss Kuhn, das Wort auf der Bundespressekonferenz an sich zu reißen. Den Generator und die Messinstrumente hatte er mit Hilfe des Hausmeisters im Nebensaal untergebracht. Er wartete den Beginn der Fragerunde ab, damit die einleitenden Worte des Sprechers der Bundesregierung schon Energie produzieren konnten. Der Hausmeister öffnete auf sein Zeichen die Tür zum Nebensaal und obwohl die anwesenden Journalisten vor Lachen über Kuhns Beitrag kaum laufen konnten, siegte doch die Neugier und sie drängten sich um die Anlage. Kuhn erläuterte die Betriebsweise und zum Beweis bat er den Sprecher doch noch einmal sein Eingangsstatement zu wiederholen. Der ließ sich auf Druck der gespannten Journalisten überreden und der Generator produzierte Strom. Die Sensation!
Die ersten Anfragen kamen dann von den Parteien, und obwohl es zunächst peinlich schien, entschieden bald danach die Parlamentarier, eine solche Stromanlage für den Bundestag zu erwerben. Das flutschte nur so. Nicht viel später erließen sie ein Gesetz, dass es allen Firmen und öffentlichen Einrichtungen vorschrieb, diese Art der Energiegewinnung zu nutzen. Jetzt, im Jahr 2025 läuft die Diskussion, dies auf das Gaststättengewerbe auszuweiten. Privatpersonen melden Interesse an Kleinanlagen an. Die Energiekonzerne haben noch 2023 ihre Preise deutlich gesenkt; ihre Dax-Werte waren in den Keller gefallen, als Kuhn sich weigerte, ihnen das Patent zu verkaufen. Ihre Aufteilung in kleine örtliche Unternehmen steht vor der Tür. Das Wort Energiewende erhält eine völlig neue Bedeutung. Kuhns Produktion, so Voraussagen von Spezialisten, würde schon 2026 die Produktion der Windräder übertreffen. Und der Vorteil von Kuhnstrom, wie er jetzt genannt wurde, war, dass er immer verfügbar war.
Kuhn war sehr stolz auf seinen Kuhnstrom, aber in einer Ecke seines Herzens war da schon noch der Ärger über die Heißluft an sich. Er hat jetzt ein neues Projekt im Auge, das bei Heißluftausstoß den betreffenden Redner sofort in Tiefschlaf versetzt. Heimlich natürlich, weil der Staat die Gefährdung seiner Energieversorgung nicht tolerieren könnte.