15. Jahrgang | Nummer 18 | 3. September 2012

Wer war Uta von Naumburg?

von Ulrike Krenzlin

Uta von Naumburg gilt als schönste Frau des Mittelalters. Fügen wir hinzu, dass dieses Schönheitsideal bis heute fasziniert. Die Markgräfin von Meißen lebt im Bewusstsein der Menschen durch ihre eindrucksvolle Darstellung als Stifterfigur im Westchor des Naumburger Doms fort. Zum Ideal gleich die erste Einschränkung. Utas Bildnis steht in der Kunst- und Kalenderblattproduktion ganz oben. Reproduziert wird jedoch hauptsächlich ihr Gesicht. Die vollständige Gewandfigur erscheint oft nur im Kleinformat auf Rückseiten. Die verheiratete Frau trägt das Gebende, aus dem nur eine Lockensträhne hervorlugt und nach hinten ein Stück vom Zopf sichtbar wird. Ihr Mantelkragen verdeckt zusätzlich die linke Gesichtshälfte. Die goldene Krone auf dem Kopf ist tief in die Stirn hineingedrückt. Stellen wir fest: Uta von Naumburgs Strahlkraft in unsere Zeit hinein geht wesentlich von ihrem Gesicht aus. Dem tragen die Autoren Michael Imhof und Holger Kunde in ihrer Publikation Rechnung. Die 70 Fotos im Buch sind, vom Verleger aufgenommen oder aus dem Verlagsarchiv, allesamt Neuaufnahmen von restaurierten Zuständen. Zugleich sind sie Zeugnisse vom hohen Einfühlungsvermögen des Fotografen.
Doch wer war nun diese schöne Frau? Was geben mittelalterliche Schriftquellen über sie her? In welchem historischen Umfeld lebte Uta von Naumburg? Wer waren ihre Eltern und Geschwister? Welche Rolle spielte Uta als Markgräfin und als Gemahlin Eckehard II., Markgraf von Meißen? Was ist Neues über die Stifterfiguren im Westchor des Naumburger Domes St. Peter und St. Paul zu erfahren? Welche Lebensgeschichte lässt sich über Uta von Naumburg aus den neuesten Forschungsergebnissen erstellen? Diese Fragen haben Imhof keine Ruhe gelassen. Ist er doch der leidenschaftliche Verleger mit Spezialinteresse. In seinem Verlag erschien bereits 2011 der Katalog zur großen Landesausstellung „Der Naumburger Meister, Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen“. Der Kurator der damaligen Ausstellung und Koautor des aktuellen Uta-Buchs sowie Archivar Holger Kunde hat aus dem Naumburger Domstiftsarchiv vier Urkunden gehoben, die Auskunft geben über die historische Person Uta von Ballenstedt, spätere Markgräfin von Meißen.
Der älteste Fund ist eine Zeitzeugen-Urkunde von 1248 aus dem Naumburger Domstiftsarchiv. Das Pergament dient der Memoria. Erinnert wird darin an die Stifterin Uta von Naumburg, Gemahlin Eckehards II. und Markgräfin von Meißen in Bezug auf ihre außerordentlichen Verdienste als Stifterin und Förderin des romanischen Domes St. Peter und St. Paul (1029). Bischof Dietrich II. und das Domkapitel von Naumburg fordern im Jahr 1249 in Erinnerung an seine erste Stifterin Geistliche und Gläubige ohne Ansehen des Geschlechts auf, den Neubau (Westchor) zu unterstützen. Versprochen werden neuen Stiftern dieselben Privilegien wie sie der Erststifterin noch immer zukommen. Für gute Werke, Wohltätigkeit und Stiftungen wird ihnen Sündenerlass versprochen, das heißt, die Verweildauer im Fegefeuer messbar verkürzt. Die von der Markgräfin vorausbezahlten Messen und liturgischen Feiern kommen sofort auch jedem Neustifter zugute. Weiterhin finden Neustifter Aufnahme in die Serviten-Bruderschaft. Von dieser Gemeinschaft wird zuverlässige Memoria geleistet. Hinter der Argumentation des gebildeten Theologen Bischof Dietrich II. steht die Hochscholastik des frühen 12. Jahrhunderts. Mit dieser Lehrmethode der philosophischen Theologie wird vom Autor erklärt, weshalb die Stifter, die 1029 den romanischen Dom errichten ließen, nach 200 Jahren von neuen Stiftern ungewohnt geehrt werden und weshalb sie im westlichen Chor des Doms eine Sonderstellung erhalten, der sonst ausschließlich Heiligen, Propheten des alten Bundes, Aposteln oder Jesus Christus und Maria vorbehalten ist. Erst dieser scholastische Kontext kann die hohe Stellung Uta von Naumburgs und der anderen Stifter erklären. Diese Kontextualität fehlt in kunsthistorischen Abhandlungen.
Worum ging es bei diesem energisch betriebenen Bauplan des Westchores? Markgraf Eckehard II. war nach einer widerspenstigen Jugend, von Kaiser Konrad II. und Heinrich III. schwer bestraft, durch Reue und Einsicht gewandelt, Kaiserberater geworden. Damit steigen die Eckehardiner in die Königsebene auf. Eckehard I. hat an der Saale die Niuwe Burg (Naumburg) errichtet. Der Bischofssitz Naumburg wurde jedoch 1029 nach Zeitz verlegt, war aber damit zu dicht an der Ostgrenze des Heiligen Römischen Reiches und bei der Christianisierung nicht erfolgreich. Eckehard konnte daher das Domkapitel zur Rückführung des Zeitzer Bischofsitzes nach Naumburg veranlassen. Zur Rechtfertigung dieser Maßnahme mussten Zeichen und Wunder geschehen. Diese waren nur zu erwarten vom Neubau des hochgotischen Westchores.
Die zweite Quelle zur Person Utas gibt Auskunft über ihren Todestag. Die Urkunde ist gehoben aus dem Einkünfte- und Servitenverzeichnis der Naumburger Dompropstei, fol. 65v-66r des Jahres 1367. Es heißt da: „Ebenso verstarb an den 10 Kalenden des November (23.Oktober) die Markgräfin Uta und es soll eine Kerze genommen werden…“. Es liegt der Beweis vor, dass die Memoria tatsächlich bis auf den Tag funktionierte. An ihrem Todestag wird der Markgräfin eine wertvolle Kerze gespendet. Zu dieser Memoria gehört liturgisches Programm. In der Urkunde fehlt jedoch das Todesjahr der Stifterin. Es steht bis heute nicht fest. Historiker müssen das Todesjahr weiterhin antequem oder postquem festlegen. Imhof/Kunde setzen das Geburtsjahr 1000 fest, das Sterbejahr auf den 23. Oktober 1045.
Die dritte Quelle zu Uta ist nachreformatorisch, von 1670, aus Nekrologenauszügen der Naumburg-Zeitzischen Stiftschronik. Der Autor verwendet ältere Quellen aus dem 11. und 12. Jahrhundert. Behandelt wird die Grablege von Uta. Ihre erste Bestattung erfolgte in der frühromanischen Domkirche. Später ist die Grablege in den romanischen Neubau des Domes transloziert worden.
So wenig sensationell das Quellenmaterial erscheint, es ist entscheidend für die weitere Forschung. Zusammenfassen lässt sich folgendes: Uta von Ballenstedt stammt aus einer hohen Adelsfamilie, die in Ballenstedt ihre Burg hatte. Die Familie kam aus dem Suebengau und gehörte zur Führungsschicht um den Kaiserhof. Diese umfasste 200 bis 300 Personen. Uta erfuhr eine gute Ausbildung, wohl im Kloster Gernrode, in dem sie ab dem 6. Lebensjahr Lesen, Schreiben und Umgangsformen lernte. Sie heiratete außergewöhnlich spät. Erst um 1026. Kinder hinterließ sie nicht. Sie starb früh, um 1045, ihr Gemahl Eckehard II. nur ein Jahr später 1046. Utas Mitgift ging an das Kloster Gernrode. Ihr Besitzstand aus dem Nachlass ihres Gemahls fiel wegen Kinderlosigkeit zurück an König Heinrich III. Stiftungen an Naumburg kamen aus diesem Nachlass, wurden aber vom Kaiser an Naumburg gegeben.
Bleibt die Frage, wieso der Naumburger Meister in dieser Stifterin, die er weder kannte, von der er kaum etwas erfahren konnte, ein derart schönes Bildnis schaffen konnte. Auch diese Frage gründet im scholastischen Denken. Zu den Grundsätzen der  Lehre gehört die Vorstellung, dass Gott sich den Menschen als vornehmstes Lebewesen zum Ebenbild geschaffen hat. Schönheit in diesem Sinn zu gestalten war also eine Herausforderung und eine Frage der künstlerischen Fähigkeiten dazu. Der Naumburger Meister, in jedem Fall hoch gebildet, hat diese Lehre an ihrer Quelle, den Orten der französischen Kathedralen kennen gelernt. Allerdings ist zu bedenken, das auch in der höfischen Dichtung mit Gottfried von Straßburgs „Tristan“ – Fragment um 1200 die Geliebte Isolde so beschrieben wird, als ob sich dessen Worte an Uta von Naumburg entzündet hätten: „Auf dem Kopf trug sie/ einen goldenen Reif, schmal wie er sein soll/…Edelsteine waren da eingelassen/… dass kein Goldschmied jemals/…Steine vollendeter eingelegt hätte.“

Michael Imhof/Holger Kunde: Uta von Naumburg, Michael Imhof Verlag 2011, 9,99 Euro