von Thomas Behlert
Menschen, die sich immer noch mit Schallplatten beschäftigen, werden mittlerweile als Exoten, als Unverbesserliche, die mit der neuen Technik nichts anfangen können, bezeichnet. Na gut, ich stehe dazu. Es soll halt immer noch aus den Lautsprechern knistern und außerdem hat man die schwarzen Dinger nun mal fein säuberlich im Wohnzimmer aufgereiht, sie passen mittlerweile gut zu den Möbeln, wie die Frau. Der Plattenspieler dreht sich und dreht sich und begeistert mit seiner ewigen Laufleistung.
Und wie hört es sich an, wenn ein junger Musiker in seinem ersten Interview sagt: „Auf die Musik bin ich gekommen, während ich illegal Songs runter geladen habe.“? Oder: „Diese Musikrichtung begeistert mich, weil ich immer mal ein Lied aus dieser Zeit zwischen den 1.000 Songs auf meinem MP3-Player hören konnte“? Schöner Scheiß so etwas. Herrlich klingt es aber, wenn dieser Musiker stattdessen sagt: „Wow, beim Durchwühlen und Abhören der elterlichen Plattensammlung bin ich auf diese geile Musik gestoßen.“
Tja, und dann fährt mann (ich) eines Tages mit dem Auto voller Sperrmüll zum Wertkstoffhof und will altes Zeugs abgeben. Ein muffiges Sofa ist darunter, die im Schrank schon fast verschimmelte Stoneswash-Jeans, verschiedene Teppichreste und ein undefinierbares Etwas aus dem Keller, noch aus DDR-Zeiten, als alles wichtig war. So stehe ich mit dem geborgten Transporter in einer Autoschlange, da noch mehr Menschen genau an diesem verdammten Tag Boden oder Keller aufräumen mussten. Hat man wenigstens Zeit, die ganzen Nachtmützen zu bestaunen. Der Opel-Corsa-Fahrer vor mir ist bestimmt ein Lehrer. Er ist überhaupt nicht schmuddelig angezogen, was bei so einer Müllfuhre unbedingt dazu gehört, hat nur wenige Kisten an Bord und trägt ansonsten neben dem fein säuberlich gescheitelten Haaren eine randlose Brille. Was der wohl auf dem Müll schmeißen wird? Bestimmt defektes und zusammengebrochenes Zeug von einem Möbelgiganten, das er gleich nach der Wende im Überschwang kaufte und außerdem brauchte das Kind endlich ein eigenes Bett. Da öffnet der Dödel, der so schön im Weg steht und keine weiteren „Müllfahrer“ an die Container läßt, die Heckklappe des Wagens. Was steht denn da, verdammt, schießt es mir durch die weiche Birne: Eine Kiste voller Schallplatten! Mein Herz schlägt höher, das kann der doch jetzt nicht machen, einfach so ein Stück Leben wegschmeißen. Fein säuberlich sind die Schallplatten aufgereiht, ihre Cover sind nicht abgegriffen, und sogar der bedruckte Rücken zeigt in dieselbe Richtung. Zack, wandern sie auf den Müllberg. „Ich muß die haben“, ist mein einziger Gedanke. Doch wie? Nehme ich sie einfach weg, ist es bestimmt Diebstahl, denn der Typ hat die Schallplatten bereits der Entsorgungsfirma in den gierigen Rachen geschmissen und muss noch dafür bezahlen. „Nein, nicht entsorgen“, denke ich, greife mir im gleichen Moment die Schallplatten und verstecke sie in einem unbeobachteten Augenblick unter einer gammligen Decke. Eigenen Müll weg und ab an Plattenspieler, neue Schätze hören.
Der große Moment ist nach einer kleinen Irrfahrt, ich mußte einen Müllaster abschütteln, da und ich kann mir die Sammlung ansehen. Gerne habe ich zu seligen DDR-Zeiten zu den Freunden gesagt: „Zeige mir deine LP-Sammlung und ich sage dir, wer du bist-“. Das ging eigentlich gar nicht, denn es hat ja jeder alles gekauft,was nur nach Lizenzplatte roch, und außerdem immer wieder etwas von den Puhdys. Auch bei der „geklauten“ Sammlung war es wohl ähnlich: Neben den Lizenzschallplatten von Eric Clapton, Deep Purple, Fleetwood Mac und den Jodlern The Rubettes konnte ich leider nichts Unbekanntes und Unverschämtes entdecken. Die „Famous Western Melodies“ von der CSSR-Firma „Supraphon“, die mir gleich in die Hände fielen, besaßen bestimmt mehr als eine Million DDR-Bürger, ich nenne allein zwei Stück mein Eigen. Was machte solch ein Mensch aber nun mit einer Platte von The Gun? Hat er sie sich auf einem Jugendtourist-Trip nach Polen gekauft oder von einem Kumpel bekommen, weil dieser mit der härteren Musik nichts anfangen konnte? Fragen werden bleiben. Da liegen dann noch die guten alten Platten von ZZ Top, Yes und den Schwülstsäuslern Simon & Garfunkel.
In Ungarn hat sich der damals angehende „Lehrer“ von den geschmuggelten Forint wohl einige Tonträger von Joan Baez gekauft, „Das Beste“ und eine Live-LP, und dann gar in der Reisetasche gen Osten geschmuggelt. Da war er bestimmt für einige Wochen der Prinz unter den letzten Hippies und bei den bebrillten Mädchen sowieso. Doch das Gruselkabinett des unbekannten DDR-Bürgers wird immer grausamer. Was macht so einer mit sieben Karel Gott-LPs? So tief war die Liebe zur CSSR nun doch nicht beim Ossi. Gehörten sie etwa dem erwählten Mädel, das die Liebe zu Joan Baez nur vorgab?
Kommen noch dazu die Lizenzschallplatten von Udo Jürgens und Roland Kaiser. Oder ist der ehemalige Besitzer nach seiner kurzen Sturm- und Drang-Zeit, die natürlich die Puhdys und Gruppe Lift (hier mit echten Autogrammen auf dem Cover !!) zuließ, umgestiegen? Die Platten von Peter Schreier (singt Weihnachtslieder) und Gitte Haenning täten diesen Gedanken zulassen. Das Album von Drafi Deutscher erst Recht. Zwei Mix-Singles von Queen verwirren mich total.
Weitere Schallplatten weisen mir schließlich den Weg zum Kotzbecken: Jo Kurzweg, der James Last des Ostens, läßt sein Orchester Johann Strauß’ Melodien aufweichen, die sächsischen Almdudler sind dabei und schließlich die unmöglichen Aufnahmen „Da geht die Party richtig los“ und „Da hauen wir auf die Pauke“, die bei Silvesterfeiern gleich nach Mitternacht die Gäste verläßlich in die Flucht trieben.
Schon versöhnlicher stimmen mich die Märchen-LPs von den Bremer Stadtmusikanten und von Pittiplatsch, dem Lieben, denn sie zeigen, dass es mit der Liebe geklappt hat und der Nachwuchs nach Ruhigstellung brüllte. Diese Geschichten aus dem Märchenland sind klasse, die können die Kinder noch heute ohne Einschränkung hören.
Doch was ist das da am Rand der Kiste: Zwei fürchterliche Alben von Roxette. Die Wende kam und man konnte plötzlich „Westplatten“ kaufen – von den Rolling Stones, Kraftwerk, Black Sabbath, den Beach Boys, Johnny Cash (meine erste Auswahl), aber doch nicht von Roxette. Diesen Scheiß brachte ich sofort auf den Müllplatz zurück und warf ihn über die Mauer (Sic!).
Lassen wir meine unbekannte Müllbekanntschaft nun in Ruhe seine „Kuschelrock“-CDs anhören, die neueste Norah Jones genießen und der Frau Chris de Burgh schenken, verdient haben sie es alle.
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