von Thomas Heyn
Jazz und Neue Musik, das ist eine Symbiose, die immer wieder versucht wird, aber oft scheitert. Auch den Kölner Saxophonisten und Komponisten Hugo Read treibt dieses Thema um. Allerdings schafft er es im Gegensatz zu vielen Kollegen, eine neue CD vorzulegen, die Jazz-Freunde und Neue-Musik-Fans gleichermaßen anspricht und befriedigt. Denn der Künstler, der sich als typischer Vertreter der neuen europäischen Jazz-Generation versteht, hat eine eigenständige Spiel- und Kompositionsweise entwickelt, in der sich neuer Jazz, Elemente der E-Musik und rhythmische Energie, akustische Basis und elektronische Beigaben zu einer eigengeprägten Klangwelt verbinden.
Ab 1972 studierte Read an der Kölner Musikhochschule Querflöte bei Prof. Ulrich und später klassisches Saxophon bei Prof. Buschmann. 1982 legte er sein Konzertexamen mit Auszeichnung ab. Seitdem ist er international mit Konzerten und Projekten auf dem Gebiet des Jazz und der Neuen Musik tätig. Produktionen mit Kammermusik und als Solist mit Orchestern wie Ensemble Modern und New Art Ensemble liegen bei allen namhaften Rundfunkanstalten in Europa vor.
Auf der neuesten CD-Veröffentlichung, den „Chamber Works“, besticht als erstes der ungewöhnlich wohlklingende instrumentale Klang des Altsaxophons von Hugo Read. Seine elegante Tongebung wirkt auch in extremen Lagen, in der Höhe oder bei raschen Passagen nie vulgär, sondern ist immer perfekt intoniert und abgerundet.
Die CD beginnt mit dem Track „Equality“, womit der Komponist die völlige Gleichberechtigung zweier von ihm selbst eingespielter Saxophonstimmen meint, aber auch die Gleichberechtigung von musikalischen Stilen, hier konkret ein an Weill erinnerndes erstes Thema, kontrastiert von einem lyrisch-ausschwingenden B-Teil, dem eine weit gespannte improvisierte Strecke in zusammengesetzten Taktarten folgt, die auf afrikanische Rhythmuspattern verweisen, ohne diese zu kopieren.
Track 2 („Stufen“) überrascht den Hörer mit einem eleganten, mainstreamig empfundenen Stück Club-Jazz: ein weit ausgeschwungenes Thema, das auch in einem der zahlreichen Real-Books stehen könnte. Besonders anhörenswert ist in dieser Musik die perfekte Bandarbeit von Jesse Milliner (Klavier), Stefan Rademacher (akustische Bassgitarre) und Michael Küttner (Schlagzeug).
Die „Planeten“ des Tracks 3 entgehen nicht ganz der Versuchung, geläufige Klischees der elektronischen Musik zu bedienen: wabernde Flächen, stehende Klänge, beständige Transformationen von computergeneriertem Material. Zum Glück gibt es eine Rückkehr zur Erde, wo dann wieder Menschen Musik machen: außer dem Komponisten noch Adrian Prost (Posaune) und Stephan Gerhartz (Flügelhorn).
Von den insgesamt sechs „Nachtstücken“, geschrieben für das Forum 20 in Düsseldorf, hat Read zwei auf seine neue CD übernommen: die Nachtstücke 4 und 5. In diesen Nummern spürt man den Einfluss der klassischen Moderne: lange Bläserakkorde und vertrackte Rhythmen, die an Boulez und Stockhausen erinnern, melodische Formulierungen aus dem Geist Schönbergs wechseln ab mit kreativem, freiem Spiel voller Ideen und Spielfreude.
In den „Kontrasten“ für Altsaxophon solo verlässt Hugo Read die Bezugsebene „Jazz“ und verfasst drei Sätze auskomponierter Avantgarde-Musik des späten 20. Jahrhunderts im anspruchsvollen Etüden-Charakter, die sehr schwierig auszuführen sind. Eher beiläufig zeigt Read als Interpret dann im abschließenden Track „Blue“, dass ihm auch die herkömmlichen Skalen improvisierter freier Musik geläufig sind und mit seiner eigenen Tonsprache eine reizvolle Symbiose bilden.
Die CD hat drei Ebenen, auf denen sich die Musik von Hugo Read bewegt. Das sind zum ersten die mehr oder weniger reinen Jazz-Titel, beginnend mit den ersten beiden Tracks („Equality“ und „Stufen“). Hier, wie schon erwähnt, sind die glänzend aufeinander eingespielten Bandmitglieder zu hören. Mit dem finalen Track „Blue“ spielt Hugo Read allein am Saxophon, ohne Band und ohne Elektronics, ganz pur. Das ist ein überraschendes und kühnes Ende.
Ebene 2 bilden drei Stücke der Stil-Fusion: Die „Planeten“ (Eklipse – Venus – Mars – Merkur – Erde) sowie die zwei „Nachtstücke“. Ebene 3 ist einem Werk auskomponierter Avantgarde-Musik vorbehalten. Die Stücke aus den „Kontrasten“, erschienen beim Verlag Neue Musik NM 808 für Altsaxophon solo, enthalten durchkalkulierte Strukturen, die auf jedem Festival der Neuen Musik Bestand haben würden.
Der besondere Reiz an der neuen CD von Hugo Read ist aber, dass diese drei Ebenen nicht puristisch und unverbunden nebeneinanderher bestehen, sondern eigentlich in jedem Stück mehr oder weniger ineinander überwechseln. So wird nicht nur Langeweile vermieden, sondern eine zusätzliche Spannung aufgebaut. Der Hörer kann nie wissen, wie sich eine konkrete musikalische Nummer weiterentwickeln wird oder wie sie endet. Das Ganze ist ein großes Hörvergnügen, zumal auch die klangliche und tontechnische Seite dieser CD höchsten Ansprüchen genügt. Und dann ist da noch dieser süchtig machende, weiche und ausgeglichene Klang des Saxophones von Hugo Read selber…
Hugo Read: Chamber Works, kreuzberg records, Preis 16,80 Euro
Schlagwörter: Hugo Read, Jazz, Neue Musik, Thomas Heyn