15. Jahrgang | Nummer 15 | 23. Juli 2012

Mechthild im milden Magdeburger Schein

von Kai Agthe

Pünktlich zur Ausstellungseröffnung schien die Sonne in die obere Etage des Literaturhauses Magdeburg in der Thiemstraße 7, bildete aus Fensterachsen Schattenkreuze, die, wie passend, auf das Blatt „Wenn ich scheine, musst du gluten“ wiesen. Im Kontext einer Schau mit Darstellungen zu Mechthild von Magdeburg möchte man solch himmlische Lichtregie keinesfalls als Zufall abtun. Auch die Blätter von Christina Simon sind, dem Thema folgend, in göttliches Licht getaucht. Ihr Zyklus „Gott grüße euch, Frau Minne“ mit Farblinolschnitten zu Leben und Denken der großen Mystikerin Mechthild von Magdeburg ist noch bis zum 28. September in jenem Haus im Magdeburger Stadtteil Buckau zu sehen, in dem Erich Weinert (1890-1963), der alles andere als ein mystischer Autor war, das Licht der Welt erblickte.
Mechthild wurde zwar nicht in der Elbestadt, wohl aber um 1208 im Erzstift Magdeburg geboren und starb 1282 in dem für ihre Zeit biblischen Alter von 75 Jahren im Kloster Helfta bei Eisleben. Nach eigener Aussage ist sie im Alter von 12 Jahren „vom heiligen Geist gegrüßt“, also göttlich berührt worden. 1230 ging sie nach Magdeburg, um als Begine, als weltliche Ordensfrau sich ganz dem Dienst an den Armen und Ausgestoßenen zu widmen.
Mechthilds 800. Geburtstag nahm Christina Simon 2008 zum Anlass, um sich mit der Mystikerin und ihrem Werk künstlerisch auseinanderzusetzen. Zwei Jahre zuvor hatte die Künstlerin bereits eine Folge von Linolschnitten Elisabeth von Thüringen und damit ebenfalls einer mittelalterlichen Persönlichkeit gewidmet, die ihr Tun in den Dienst der Nächstenliebe stellte. Im Unterschied zu der Thüringer Landgräfin, die bereits kurz nach ihrem Tod heilig gesprochen wurde, wirkte Mechthild von Magdeburg jedoch auch durch das geschriebene Wort. Weil sie keine höhere Bildung erfahren konnte, schrieb sie in Deutsch und nicht im gelehrten Latein. Aber das erwies sich der Rezeption ihres Werkes eher günstig. Ihr Dasein betrachtend, dürfen wir uns Mechthild als ebenso demütige wie starke Frau vorstellen.
„Ich nehme mir vertraute Zitate“, so beschreibt Christina Simon ihre Arbeitsweise. In Bezug auf die Linolschnitte zu Mechthild von Magdeburg gilt das in doppelter Hinsicht. Einerseits handelt es sich bei den Vorlagen für die Figuren ihrer Blätter um Adaptionen von Skulpturen gotischer Plastik, die man in den großen Kathedralen Frankreichs und Deutschlands findet. Andererseits hat sich die Künstlerin auch von Mechthilds mystischer Meditation, das in sieben Büchern überlieferte Werk „Das fließende Licht der Gottheit“, inspirieren lassen. So erklärt sich auch, warum Christina Simons Farblinolschnitte von Schriftbändern durchzogen sind: Denn Mechthild ist uns seit acht Jahrhunderten durch das geschriebene Wort nahe.
Die weißen Schnittlinien geben jedem Blatt des Zyklus eine ganz individuelle Dramatik. Auf den 100 mal 70 Zentimeter messenden Blättern dominieren mit Rot-, Gelb-, Orange- und Ocker-Tönen durchweg warme Farben. Das Blatt „Ich bin die Protokollantin des Herrn“ wird gar von einem Rand eingefasst, wie man ihn aus der mittelalterlichen Buchmalerei kennt.
Leben und Werk der Mechthild von Magdeburg stellte Christina Simon in einem Vortrag ebenso vor wie deren Anverwandlung in ihren großformatigen Druckgraphiken. Thomas Zieler las ausgewählte Auszüge aus Mechthilds Buch „Das fließende Licht der Gottheit“ und Vahid Shahidifar spielte auf dem Santur, einem persischen Saiteninstrument, das mit leichten Holzschlägeln gespielt wird und dem europäischen Hackbrett verwandt ist. Im Verlauf des Abends ließen beide Akteure das Publikum auch erfahren, dass die Mystik im Islam, als „ Sufismus“, einen ebenso großen Stellenwert hat wie im christlichen Glauben: Vahid Shahidifar trug zwei Sufi-Lieder vor, die Thomas Zieler im Anschluss für das Publikum übersetzte. Texte Martin Bubers und Max Frischs rezitierend, konnte der Schauspieler zeigen, wie, in Nachfolge Mechthild von Magdeburgs, mystische Meditationen im 20. Jahrhundert klangen.
Wer in nächster Zeit nach Magdeburg reist, sollte neben dem Himmelslicht im Dom der Landeshauptstadt auch das göttlich fließende Licht auf sich wirken lassen, in das Christina Simons atmosphärisch dichte Farblinolschnitte zu Mechthild von Magdeburg getaucht sind.

„Gott grüße euch, Frau Minne“ bis zum 28. September im Literaturhaus Magdeburg, wochentags von 10 bis 12 und 14 bis 16 Uhr. www.literaturhaus-magdeburg.de