von Wolfgang Brauer
Möglicherweise gehören Sie zu den vielen Menschen, die allsommerlich über den Fähranleger in Norddeich auf Juist oder Norderney einfallen. Kommen Sie über die Bundesstraße 72, planen Sie einmal einen Zwischenstopp in Norden ein. Auch wenn es quasi kurz vor „Reiseschluss“ ist und die Stadt für Durchreisende einen recht abweisenden Eindruck macht. In Norden befindet sich das „Ostfriesische Teemuseum“, und das lohnt allemal einen Besuch. Ostfriesland und Tee gehören für manche Menschen so eng zusammen, dass sie gleichsam hinter dem Deich Ausschau nach den Plantagen halten. Das Teemuseum ist im Haus Westerstraße 1 untergebracht. Die werden Sie nicht so leicht finden, dafür ist das Alte Rathaus, ein schöner Backsteinbau mit Treppenturm, nicht zu übersehen. Darin befindet sich das Heimatmuseum und das ist auf wunderbare Weise mit dem Teemuseum „verkuppelt“ worden.
Menschen, die dem Irrglauben anhängen, dass Tee in Ostfriesland seit Jahrhunderten Volksgetränk sei, werden gleich im ersten Raum eines Besseren belehrt. Hier wird ein gewisser Henricus Ubbius zitiert, der im Jahre 1530 seine Beobachtungen über die Emderinnen zu Papier brachte: „Die Frauen sind schön, zum Teil aber dem Trunk ergeben und oft sogar schwer berauscht von dem Hamburger Bier, einem Getränk, das wie kein zweites in Deutschland durch seine süße Schwere die Sinne umnebeln kann.“ Wenige Jahre später klagte ein anderer Chronist, dass ein „Bierschenker … sich mit Schiffen und Wagen soviel Bier nicht zuführen lassen (kann), als die Gemeinde verschwelgt.“
Es hat gedauert, bis sich – obgleich seit dem 17. Jahrhundert bekannt und durch die Aktivitäten der holländischen Ostindienkompanie vergleichsweise leicht zu beschaffen – Kaffee und Tee zwischen Jade und Ems durchsetzten. Die „Ostfriesische Zeitschrift für junge Leser und Leserinnen“ befürchtete noch 1793, dass das mögliche Überhandnehmen von „Thee und Kaffee … in Zukunft vielleicht die starken Getränke und mit ihnen die uralte friesische Stärke immer mehr“ vertreiben werde – schließlich, so das den jungen Leuten unter die Nase gerubbelte Vorbild, vertilge „ein einziger Heumäher im Feld an Einem Tage bis zu 20 Krug Bier, und ein paar Duzzend Gläser Kornbranntewein“.
Die Binnenländer wird es wahrscheinlich verblüffen, dass ausgerechnet Friedrich II. von Preußen hier eine entscheidende Rolle spielte. Seit 1744 war Friedrich „Fürst von Friesland“. Auch diese Provinz gewann er, ohne einen einzigen Soldaten zu verlieren. Die Friesen dienten sich ihm freiwillig an und soffen – wie von der zitierten Jugendzeitschrift befürchtet – in den kommenden Jahrzehnten etwas weniger „starke Getränke“, sondern lernten dank unseres großen Königs Tee trinken. 1751 wurde nämlich die „Königlich=preußische Asiatische Compagnie in Embden“ gegründet. Preußen hatte mit der Stadt einen bedeutenden Nordseehafen gewonnen und konnte nun die Zwischenhändler aus London, Hamburg und Amsterdam umgehen. Das Kraut wurde preiswerter. Wie alle merkantilistischen Unternehmungen des Königreiches war die Compagnie ein Monopolist. Der Gewinn aus der ersten Fahrt der Compagnie-Schiffe „König von Preußen“ und „Burg von Emden“ war so beträchtlich, dass ein drittes und im Jahr darauf ein viertes Schiff gekauft werden konnte. Allerdings ging die Firma in der Folge von Friedrichs schlesischen Kriegsabenteuern wieder ein. Den Reibach machten nun wieder die Briten und die Holländer. Friedrich erließ zwar Edikte gegen den „Misbrauch des Thees“, man versuchte die Bauern zum Verkauf des Tee- und Kaffeegeschirrs zu zwingen – letztlich sinnlose Maßnahmen. Selbst die Kontinentalsperre Napoleons konnte den Siegeszug des Tees nicht aufhalten. Im Gegenteil: Deren Blockade der Rohrzuckerzufuhr sorgte für eine beschleunigte Durchsetzung des Rübenzuckers und damit stand endlich ein preiswertes und nahrhaftes Süßungsmittel zur Verfügung. Wie so oft verkehrten sich politische Absichten in das genaue Gegenteil…
Als nach kurzem Hannoverschen „Zwischenspiel“ ab 1815 Ostfriesland 1866 wieder preußisch wurde, war der Tee im Land hinter den Deichen als Volksgetränk durchgesetzt. Die Hersteller der „starken Getränke“ mußten aber mitnichten auswandern – 1806 wurde in Norden die berühmte Kornbrennerei Doornkaat gegründet. Die rutschte erst Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in die Pleite: Der Firmeninhaber hatte ausgerechnet in die Fruchtsaftproduktion investiert. Doornkaat wurde vom Konkurrenten Berentzen aus Haselünne übernommen. Der lässt jetzt in Norden Mineralwasser (!) abfüllen. Aber damit kann man ja auch Tee brühen.
So schließt sich der Kreis. In Ostfriesland werden zwar keine Teesträucher (Camellia sinensis) angebaut, aber „Echter Ostfriesentee“ wird hier gemischt. Hauptsächlich besteht er aus Assam-Tee, ist also indischer Herkunft. Steht auf Ihrem Teepäckchen allerdings „ostfriesische Mischung“, so stammt die unter Garantie nicht aus Ostfriesland. Aber Assam ist mit Sicherheit drin.
Wie trinkt man nun Tee auf Ostfriesisch? Sie können den natürlich auf gehabte Weise (Teebeutel in die Tasse, heißes Wasser drauf, Streuzucker und dann Umrühren) in sich hineinschütten. Für ostfriesische Seelen reines Barbarentum. Wie in Fernost ist das Teetrinken hier ein zeremonieller Akt. Mit gewissen lokalen Abweichungen, aber dennoch einem festen Grundmuster. Im „Ostfriesischen Teemuseum“ können Sie einer entsprechenden Lehrvorführung beiwohnen. Das kostet allerdings Zeit – und da Sie auf die Inseln wollen, gebe ich Ihnen eine Kurzanleitung:
In den vorgewärmten Treckpott (die Kanne) wird pro Teegast ein gehäufter Teelöffel gegeben, dazu ein zusätzlicher „für die Kanne“. Dann gießt man kochend heißes Wasser auf. Aber nur soviel dass der Kannenboden so bedeckt ist, dass alle Teeblätter schwimmen. Auf dem Stövchen lässt man den Sud etwa vier Minuten ziehen. Erst danach wird soviel heißes Wasser nachgegossen, wie man anschließend Tee benötigt. Drei Koppkes (Tassen) pro Gast sind Gesetz. Eine Kunst ist das Eingießen. Mit einer Kandiszange wird ein dicker Kluntje (Kandis) in die Tasse eingelegt. Über diesen gießt man langsam den Tee. Das Knacken des Kluntjes signalisiert Ihnen, dass der Tee die richtige Temperatur hat. Langsam gießen und nur soweit, dass die Kluntjesspitze noch aus dem Tee herausragt! Dann legen Sie ganz behutsam mit dem Rohm-Lepel (Sahnelöffel, der sieht aus wie eine Puppenstubenkelle) um eben diese Kandisspitze eine Sahnewolke, die sich ganz langsam zum Tassenrand ausbreiten wird. Bloß nicht umrühren! Schlürfen (!) Sie jetzt Ihr Koppke getrost aus. Auf die übrig gebliebene Kluntjesspitze gießen Sie die nächste Tasse.
Einige Zeit werden Sie brauchen, ehe Sie den Trick mit der Sahne raus haben. Möglichst fett sollte sie sein. Ziehen Sie den Rohm-Lepel getrost vor dem Schöpfen der Sahne durch den heißen Tee, der Rahm löst sich so besser vom Löffel. Und man soll die Sahne entgegen dem Uhrzeigersinn auflegen. Wurden Sie zum Tee eingeladen, dürfen nur die Gastgeber einschenken. Seien Sie nicht beleidigt, wenn Sie erst zuletzt Ihren Tee bekommen. Das ist keine altfriesische Rüpeligkeit, das ist eine Ehrung des Gastes: Ihnen kommt der beste Tee zu! Nicht umrühren hatte ich empfohlen – neben dem Schutz des braunen Getränks hat dieser Rat noch einen praktischen Sinn. Lassen Sie den Löffel in der Tasse, signalisieren Sie, dass Sie keinen weiteren Tee mehr möchten. Ihre Gastgeber genehmigen sich natürlich die dritte Tasse, weil: „Dree is Oostfresen Recht!“ Nach der dritten also erst den Löffel in die Tasse…
Man trinkt den Tee natürlich nicht aus x-beliebigen Pötten. Zartes weißes Porzellan ist Pflicht. Den heißen Tee muss man fühlen und den leicht öligen Film der Ostfriesen-Mischung sehen können. Und das richtige Koppke sollte schon „Ostfriesische Rose“ sein. Treckpott, Schöttelke (Untertasse) und Stövchen natürlich auch… Nur ist die ostfriesische Rose weder eine Rose noch ist der Scherben ostfriesisch. Es handelt sich genau genommen um eine Päonie, also eine Pfingstrose. Erstmals tauchte die vor 250 Jahren auf dem Wallendorfer Dekor „Rot Dresmer“ („Rotes Dresdner“) auf, um spätestens ab 1820 als „Ostfriesische Rose“ ihren Siegszug durch das Land hinterm Deich anzutreten. Die Wallendorfer Manufaktur befindet sich noch heute im thüringischen Lichte am Rennsteig. Der ostfriesische Tee ist also auf wundersame Weise völkerverbindend.
Schlagwörter: Norden, Ostfriesland, Tee, Wallendorf, Wolfgang Brauer