von Ulrike Krenzlin
In Deutschland gab es zum 500. Geburtstag Albrecht Dürers 1971 – dem Dürer Jahr – in der DDR wie auch in der BRD die letzte große Dürer-Ausstellung. Die laufende Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg titelt daher stolz mit der „Größten Dürer-Ausstellung in Deutschland seit 40 Jahren“. Das soll heißen, den folgenden beiden Generationen wird ein solches Kunstereignis nicht beschieden sein. Weshalb? Eine Dürer-Ausstellung zu veranstalten ist aus zwei Gründen ein kühnes wie auch aufwendiges Unterfangen.
Erstens. Weil das Erfordernis, den künstlerischen Werdegang Dürers, der ein halbes Jahrhundert von 1471 bis 1521 umspannt, mit Hauptwerken zu bestücken, heute von denjenigen Museen abhängt, die die hochkarätigen Werke, in unserem Fall vom berühmtesten aller deutschen Künstler, bewahren und sie schwerlich ausleihen. Gründe für zögerliche Ausleihen bewegen sich zwischen berechtigten konservatorischen Bedenken und politischem Kalkül. Denn nicht nur der Kunstmarkt ist politisch hintersteuert, auch die großen Museen sind zunehmend darauf angewiesen, mit ihrer Kunst Politik zu betreiben. Im Museum sitzt heute niemand mehr im Glashaus.
Zweitens. Das Oeuvre Dürers ist seit dem späten 19. Jahrhundert, mit Vorläufern, von jeder Kunsthistorikergeneration intensiv bearbeitet und interpretiert worden. Das begann 1728 mit der Ehrung zum 200. Todestag von H. C. Arend, setzte sich fort mit nachfolgenden Werkverzeichnissen der Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafik, mit Entdeckung von Vorlagen für Buchillustrationen und Kunsthandwerk. Mit „Dürer digital“ von 2000 steht jedermann virtuell das Gesamtwerk zur Verfügung. Hinzukommen Einzeluntersuchungen zur Reichsstadt Nürnberg, eine der bedeutendsten Städte ihrer Zeit, zur Italienproblematik, Dürers Wanderschaft, zum Kern der Proportionslehre Dürers und Miszellen sowie der aufregende Wechsel von Zuschreibungen an Dürer oder andere Künstler in und um Nürnberg. Im Katalog umfasst das im Vierspaltendruck gehaltene Literaturverzeichnis allein dreißig Seiten. Die Nürnberger Kuratoren sprechen von 200 Metern Dürer Literatur, die zu durchforsten sind. Kärrnerarbeit im Fach ist hier geleistet worden und immer wieder gefragt. Wer eine Dürer Ausstellung konzipiert, kann mit einem wissenschaftlichen Vorlauf von mindestens fünf Jahren rechnen, wenn er es mit dem nunmehr erreichten wissenschaftlichen Standard aufnehmen will. So viele Jahre jedenfalls hat das Germanische Nationalmuseum Nürnberg „Den frühen Dürer“ vorbereitet. Die Museumsleitung gab bekannt, dass dies nur gelingen konnte durch die Exzellenzinitiative der BRD und des Freistaates Bayern, die gemeinsam den „Pakt für Forschung und Innovation“ abgeschlossen haben. Zusammen mit anderen Forschungspartnern kann das GNM für sich in Anspruch nehmen, so wurde es beim Festakt formuliert, in der Museenlandschaft als selbstständige Forschungsinstitution zu gelten.
Die Hauptwerke zum Kapitel „Ich – Dürers Selbstbildnisse“, die zu den Wurzeln von Dürers Herkunft führen sollen, können im Original nicht gezeigt werden. Das sind drei hochartifizielle „Selbstporträts“. Der schüchterne Jüngling mit der Distel „Mannstreu“ in der Hand aus dem Louvre von 1493. Der hochmodisch gekleidete weltmännische Mann aus dem Prado von 1498 und „Dürer im Pelzrock“ von 1500 in der Alten Pinakothek München. Letzteres ist ein grandioses Porträt en face, in dem der Maler höchste Ziele anstrebt, sogar die Imago Christi für sich in Anspruch nimmt. In der Inschrift verweist er stolz auf sein Können: „Albertus Dürer aus Nürnberg habe mich so mit realistischen Farben dargestellt, als ich 28 Jahre alt war“. Für eine Ausleih-Sperre des Pariser und Madrider Selbstporträts kann man Verständnis aufbringen. Jedoch die nachhaltige Weigerung der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, den schönen „Dürer im Pelzrock“ auch nur 170 Kilometer innerhalb von Bayern zu transportieren, hat zum politischen Skandal zwischen Franken und Bayern geführt. Mit dem Problem befasste sich die Politik in Bayern monatelang. Die Hintergründe für den Streit liegen tief verborgen in der Geschichte. Sie sind eher Sache für Kenner. In der Ausstellung hängt jedenfalls nur eine Reproduktion, daneben ein ausführliches konservatorisches Gutachten, demzufolge das fragile Werk einen Transport von München nach Nürnberg nicht verträgt.
In der Sektion I: „Das Ich und seine neuen Medien“ ist das „ Selbstbildnis als Knabe“ in der Silberstiftzeichnung aus der Wiener Albertina zu sehen. Es wird konfrontiert mit einer Neuentdeckung. Das Marmorwerk „Albrecht Dürer als Knabe“ wurde von Friedrich Salomon Beer 1882 nach dieser Zeichnung angelegt. 2010 hat Jeffrey Chipps Smith die Skulptur im Garten des Center der American Academy (ehmals Villa Arnhold) wiederentdeckt. Doch muss man nicht Kunsthistoriker sein, um die Schwächen des schwer beschädigten, zwar aufwendig restaurierten Bildwerkes zu erkennen. Auch das Erlanger Selbstbildnis mit vorgehaltener und enorm gut durchgearbeiteter Hand als Federzeichnung erfreut. Dieses Blatt kann nach der Ausleihe aus konservatorischen Gründen auf lange Sicht nicht mehr ausgestellt werden. Erstmals konnten seit dem Entstehungsjahr 1490 die Elternbildnisse, Dürers Mutter Barbara und Vater Albrecht, der Goldschmied, zusammengeführt werden, ein berührendes Kunsterlebnis. Von diesem Ausgangspunkt her werden neue Aspekte von Dürers Wanderjahren am Rhein gezeigt. Bisherige Theorien von den Lehrern Martin Schongauer, dem Hausbuchmeister und Wolfgang Peurer müssen wir revidieren. Dürer muss diese Meister nicht gekannt haben, weil es in der Reichsstadt Nürnberg alles zu kaufen gab, auch die Blätter dieser Meister, der italienischen Künstler Jacopo de’ Barbari, von Andrea Mantegna sowie erstrangige Kunst aus dem ehemaligen Herzogtum Burgund, im Katalog fälschlich immer wieder als niederländische Kunst bezeichnet.
Die Ausstellung ist in vier Sektionen gegliedert: II: Abmachen und Neumachen, III: Gewaltige Kunst. Dürer als Dramatiker. Hierzu gehören die sakralen Gemälde. Im Mittelpunkt steht die „Anbetung der Könige“, eine Leihgabe aus den Uffizien. IV: Was ist Kunst? In jedem der Kapitel gibt es herrliche Bilder, gemalte Erzählwerke an der Schwelle des Spätmittelalters zur Neuzeit, in der sich die höchste Blüte der Spätgotik mit dem Humanismus der Vorreformation verbindet. Der Katalog muss hochgeschätzt werden. Den Werken mit seinen 200 Nummern sind erstmals ihre Provenienzen zur Seite gestellt und durchgehend erforscht worden. Das Ergebnis übertrifft damit die neuen Museumskataloge, insbesondere den der Alten Pinakothek München. Einen Mangel sehe ich in der konsequenten Darstellung und Interpretation von Dürers Frühwerk aus der einseitigen Sicht eines spröde wirkenden protestantischen Forschungsgeistes heraus, der die Nähe zur ikonographischen Forschung meidet, damit hierin weitgehend auf dem alten Stand beharrt. Dürers Schaffen bleibt im Wesentlichen im vorreformatorischen Glaubensmodell eingebunden. Weil davon in den Texten fast keine Rede ist, lesen sie sich Texte vielfach langweilig. Theologen und Historiker hätten das Forschungsprojekt in diesen Punkten bereichert. Jedenfalls fehlt den Texten im Verzicht auf die Interpretation der Bildgeschichten jene Farbigkeit, die Dürers seinen Bildern mitgegeben hat, so dass ihr Glanz bis heute die Welt erfüllt.
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg bis 2.9.; Di – So 10 – 18, Mi 10 – 21 Uhr. Katalog: Verlag GNM Nürnberg 2012, Hg von D. Hess u.Th. Eser, 29,00 Euro im Museum, 36,00 Euro im Buchhandel
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