von Horst Möller
Auf immerhin 6,1 Prozent kommt deutschlandweit die Gilde der Schrebergärtner, die sich auf 15 000 Vereine verteilen und sich in insgesamt eine Million Parzellen tummeln. Deren Wohl und Wehe lässt sich der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e.V. angelegen sein, aktuell unter anderem auch damit, dass er anlässlich seines 90. Gründungstages einen überarbeiteten Überblick über seine Geschichte (zu einem Drittel als Abriss, zu zwei Dritteln als Quellensammlung) herausgegeben hat. Die für diese Publikation gewonnenen Autoren, beides profilierte Historiker (Günter Katsch aus der Leipziger, Johann B. Walz aus der Würzburger Schmiede hervorgegangen), sind durch eine Vielzahl von Schriften als mit der Materie bestens vertraut ausgewiesen. Die von ihnen vorgelegte Arbeit kann mit Fug und Recht als ein in seiner Bedeutung über den speziellen Gegenstand hinausweisendes Standardwerk angesehen werden, das die von Jürgen Kuczynski inaugurierten Forschungen zur Geschichte des Alltags des deutschen Volkes weiterführt und folglich verdient, auch außerhalb der zum Nutzen einer breiten Öffentlichkeit gepflegten „grünen Inseln im Häusermeer“ beachtet zu werden.
Die Anfänge organisierter Kleingärtnerei reichen in das Jahr 1814 zurück, sind allerdings nicht, wie die Herkunft des Namenspatrons Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber vermuten lässt, mit Leipzig, sondern mit dem nördlich von Kiel gelegenen Ostsee-Erholungsort Kappeln an der Schlei verbunden. Auch was wir heute im Leipziger Schreberverein mit seinem renommierten Deutschen Kleingärtnermuseum gemeinhin als Schrebergarten kennen, war ursprünglich als ein Kinderspielplatz im Johanna-Park neben der Lutherkirche angelegt worden, um den man danach zunächst Beete gruppierte und daraus später Pachtgärten entstehen ließ. Von da ab hat sich bis heute eine Bewegung etabliert mit dem Postulat, einem jeden, dem es nach einem Kleingarten gelüstet, diesen Wunsch auch zu erfüllen, und zwar zu dauerhaft gesicherter Pacht und ohne unzumutbare Reglementierungen. Ob dieses hierzulande festgeschriebene und ebenso im europäischen Verbund verankerte Recht angesichts des Wachstums der Weltbevölkerung und der Entstehung von MegaCitys auch zum allgemeingültigen Menschenrecht erhoben werden kann – diesen Ausblick übern Gartenzaun verkneifen sich die beiden Autoren. Sie lassen die Fakten sprechen, wie im Auf und Ab der historischen Abläufe gärtnerisches Engagement, – sei es zur Selbstversorgung in Notzeiten, sei es zum Ausgleich zu einförmiger, einseitiger Berufstätigkeit, sei es „nur“ zur Erholung im Freien (ganz im Sinne von Friedrich Wolfs Hausbuch „Die Natur als Arzt und Helfer“) – zum sozialen Zusammenhalt der städtischen Gesellschaft beigetragen hat und beiträgt. Vom Widerstreit der Interessen ist da ebenso die Rede – in der Weise, wie erst kürzlich Neues Deutschland titelte: „Möbel-Gigant statt Armengärten“, wo in Kiel in einer der ältesten deutschen Kleingartenkolonien mehr als 300 Parzellen einem neuen Möbelkaufhaus weichen sollen, – wie von politischer Vereinnahmung – besonders krass zur NS-Zeit, wo das Kleingartenwesen zur „Aufnordung“ im Zeichen von „Blut und Boden“ herzuhalten hatte, d.h. wo galt: wer gärtnerisch tüchtig ist, wird ebenso kriegstüchtig sein (erschreckend hierzu die Bilddokumente, die zeigen, wie weitreichend die Gleichschaltung funktioniert hat). Obgleich es in den Statuten heißt, dass die Schrebers sich als strikt partei- und konfessionsübergreifend verstehen, belegt die Darstellung, dass die Kleingartenbewegung zu keiner Zeit in einem politikfreien Raum operiert hat, selbstredend auch nicht seit dem Beitritt des ost- zum westdeutschen Dachverband im Jahre 1990. Die Frage nun, ob denn die Kleingärtnerei dem Systemerhalt mehr dient als schadet, bleibt unbeantwortet, und zwar aus demselben guten Grund, aus dem unsereins ganz genau erfährt, wie’s Wetter ist, wenn früh am Morgen der Hahn kräht auf dem Mist. Dieses Fachbuch ist außergewöhnlich lesefreundlich, dennoch würde seine Handhabbarkeit erleichtert, wenn bei einer künftigen Nachauflage noch Register hinzukämen.
Günter Katsch und Johann B. Walz: Deutschlands Kleingärtner in drei Jahrhunderten, herausgegeben vom Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e.V., Leipzig 2011, 415 Seiten, 20,- Euro
Schlagwörter: Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e.V, Daniel Gottlob, Günter Katsch, Horst Möller, Johann B. Walz, Moritz Schreber