von Heiner Flassbeck, Genf
Als ich kurz vor der Landtagswahl am 25. März im Saarland durch dieses Bundesland gefahren bin, war ich nicht wenig überrascht ob der Slogans der Parteien. Die CDU macht auf mit der Aussage ihrer Spitzenkandidatin „Ich will Zukunft ohne Schulden“. Die SPD hält hart dagegen, dass sie für einen neuen Politikstil sei. Wohlgemerkt: Nicht für eine neue Politik. Offensichtlich haben sich beide Parteien längst auf die Zukunft ohne Schulden geeinigt, was ja auch die explizite Festlegung der saarländischen SPD auf die konsequente Umsetzung der Schuldenbremse nahelegt. Die sie als Abwehrargument gegen eine rot-rote Koalition nutzte.
Zukunft ohne Schulden. Man hätte stattdessen auch schreiben können „Zukunft ohne Investitionen“. Denn wenn es keine Schulden gibt, gibt es auch keine Ersparnisse, und wenn es keine Ersparnisse gibt, gibt es keine Investitionen, weil ja dann alles aufgegessen oder sonst wie verbraucht wird. Das also ist es, was die CDU den Kindern hinterlassen will: Eine Welt, in der nicht investiert werden kann, weil ja niemand Schulden machen will. Weil Schulden tabu sind, heißt das, können wir die Welt nicht mehr für unsere Kinder lebenswerter machen. Die Welt muss exakt bleiben, wie sie jetzt ist.
Man fragt sich, ob die Menschen, die über einen solchen Slogan entscheiden, es wirklich nicht besser wissen. Oder ob sie so infam sind, den Menschen einen solch unsinnigen Slogan unterzujubeln, da sie genau wissen, dass das am Stammtisch gut ankommt. Aber was richten sie damit an? Was ist mit den Kindern, die zur Schule fahren, den Slogan lesen und in ihrem kindlichen Urteil sagen, jawohl, das müssen die Politiker jetzt endlich einmal machen, wir wollen eine schuldenfreie Zukunft.
Andererseits wird es auch im Saarland Menschen geben, die sehr gut verstehen, welcher Unsinn da als politische Strategie verkauft wird und wie das Volk entweder zugrunde regiert oder zugrunde belogen wird. Wie kann man verantworten, all das für ein paar Stimmen zu riskieren, die Verirrung der einen und die Frustration der anderen?
Ich frage mich aber auch, warum nicht mehr Ökonomen auf die Barrikaden gehen. Würden die Politiker hinschreiben, wir wollen in Zukunft die Energie, die wir haben, so effizient verbrauchen, dass nichts mehr davon übrig bleibt, weil es dann keine Luftverschmutzung gibt, dann würden sich am nächsten Tag auch im Saarland jede Menge Professoren und Lehrer der Physik empören. Politiker, die solches Zeug verzapften, seien strohdoof, weil sie immer noch nicht begriffen hätten, dass es einen zigmal bewiesenen Satz der Thermodynamik gibt, der unbestreitbar zeigt, dass Energie nur umgewandelt, nicht aber vernichtet werden kann.
Die Ökonomen können – oder wollen – aber offensichtlich nicht wahrhaben, was ebenso unbestreitbar ist, nämlich die Tatsache, dass Menschen nur sparen können, wenn andere sich verschulden. Wer das sagt, nimmt der Verschuldung sofort das Bedrohliche, weil es ja nur noch um die Frage geht, wer sich verschuldet, nicht um die Frage, ob sich überhaupt einer verschuldet. Auch würde man den Bürgern verdeutlichen, dass es keinen Sinn macht, jeden Tag über die Verschuldung herzuziehen, wenn man selbst dazu über eigenes Sparen beiträgt. Mit einer konsequenten Kritik der Verschuldungskritik könnten sich die Ökonomen eine große Reputation erwerben, als eine Wissenschaft, die in der Lage ist, primitive Vorurteile zu korrigieren und komplexe Zusammenhänge zu erklären.
Aber die Ökonomen wollen offenbar keinen wichtigen wissenschaftlichen Satz aufstellen, der öffentliche Vorurteile korrigiert. Anders ist ihr Verhalten nicht zu deuten. Sie würden damit ja auch gegen das beliebte Vorurteil argumentieren, dass der Staat und seine Verschuldung die Wurzel allen Übels ist. Wenn es gegen solche Vorurteile geht, ist der Mut der Ökonomen schnell ganz klein und die Wissenschaftlichkeit wird ruckzuck vergessen. So etwas würde ja wie Keynesianismus klingen, der doch für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht werden muss. Oder, noch schlimmer, man müsste die Frage beantworten, wer sich verschulden soll, wenn der Staat sich in Zukunft nicht mehr verschuldet, weil die allseits beliebte Schuldenbremse für den öffentlichen Sektor wirkt.
Ja, dann müsste man sagen, man fände es doch ganz schön, wenn sich die Ausländer weiter verschulden würden, weil die Deutschen so viel sparen. Dumm ist nur, dass wir den meisten der verschuldeten Ausländer momentan verklickern, sie seien pleite – weswegen sich das mit der weiteren Verschuldung nicht so gut macht. Oder man müsste sagen, die deutschen Unternehmen könnten sich mal wieder verschulden und investieren, statt ebenso wie die privaten Haushalte zu sparen.
Dann müsste man aber auch die Frage beantworten, wie die im Geld schwimmenden deutschen Unternehmen dazu bewegt werden können, sich für mehr Investitionen zu verschulden. Unausweichlich wäre die Frage, ob nicht die Steuern für die Unternehmen wieder erhöht werden oder die Unternehmen endlich mal wieder anständige Löhne bezahlen sollten. In diesem Fall hätten sie zwar weniger Gewinne, aber wohl viel mehr Anreize zu investieren, weil die Nachfrage ja steigen würde. Oder, aber das ist vollends des Teufels, man müsste sagen, die Deutschen sollten mal weniger sparen, weil man niemanden findet, der diese Ersparnisse investiert. Aber was ist dann mit der Rente, die doch nur gesichert werden kann, wenn die Leute mehr sparen?
Das sind alles keine erbaulichen Themen und vor allem keine, mit denen man sich als Ökonom beliebt machen würde. Das lässt man mal lieber und beklagt lauthals die hohe Verschuldung und fordert gleichzeitig die Menschen zum Sparen auf, um die Zukunft sicherer zu machen. Darüber kann man schöne Vorträge bei Versicherungen halten für Honorare, die einem beunruhigende Gedanken an die eigene Zukunft nehmen. Soll das dumme Volk doch weiter denken, Schulden seien gefährlich.
Aus Wirtschaft und Markt April / 2012. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages.
Schlagwörter: Ersparnisse, Heiner Flassbeck, Keynesianismus, Schulden