15. Jahrgang | Nummer 6 | 19. März 2012

Zum Tode des Kunsthistorikers Diether Schmidt

von Hartmut Pätzke

Am 7. Februar 2012 verstarb Diether Schmidt in Retie in Belgien im 82. Lebensjahr. Als er 2005 in Berlin seinen 75. Geburtstag begehen konnte, widmeten ihm Künstler, Freunde und Weggefährten eine Mappe – „Für Diether Schmidt zum 29. VII.2005“, herausgegeben von Manfred Butzmann und Hartmut Pätzke – die ihm ebenso Freude bereitete  wie die Ehrung durch eine Ausstellung ihm nahestehender Künstler in der Seitenkapelle der Marienkirche, einer Einrichtung des Kunstdienstes der Evangelischen Kirche. Durch einen Schlaganfall einige Zeit zuvor war er geschwächt, aber seine Dankesworte hatten den Klang, die Souveränität des stets frei sprechenden Mannes, dem mehrfach Redeverbot in der DDR erteilt worden war.
Am 29. Juli 1930 in Lubmin als Kind kommunistischer Eltern, Vater Maurer, Mutter Putzfrau, war er in einer Berliner katholischen Schule nicht nazistischer Erziehung ausgesetzt gewesen. Der Vater, bildungsbeflissen, besuchte mit den Kindern Museen. Die Mutter versteckte den Sohn am Ende des Krieges vor dem Wahnsinn des „Endsieges“. Nach einer kurzen Station als Pädagoge begann er das Studium der Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin bei Richard Hamann und Willy Kurth, Lehrern, denen er sich stets zu großem Dank verpflichtet sah, weil sie ihn„Sehen“ gelehrt hatten. Zwischendurch blieb ihm jedoch eine Tätigkeit in der Produktion bei Bergmann Borsig nicht erspart. Seine Dissertation „David der Goliathsieger. Stadtheroe und Verfassungs-Bild der Republik Florenz in der Renaissance“ (1960) wurde mit höchstem Lob bedacht. Intensiv beschäftigte er sich mit der deutschen Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In der Fundus-Bücherei des Dresdner Verlages der Kunst – „Schriften deutscher Künstler des 20. Jahrhunderts“, Band II „In letzter Stunde. 1933-1945“ (1964) und „Manifeste, Manifeste. 1905-1933“, Band I (1965) – gab er dafür ein fortwirkendes Zeugnis. Zu den Künstlern, auf die er in Publikationen aufmerksam machte, gehörten Otto Dix, Fritz Cremer, Paul Klee, Oskar Kokoschka und der letzte lebende Bauhausmeister Georg Muche. Zum Bauhaus hatte Diether Schmidt 1966 im Verlag der Kunst eine der ersten wegweisenden Schriften in der DDR herausgegeben. Er stritt ebenso für Herbert Behrens-Hangeler, Otto Griebel, Herta Günther, Hans Jüchser, Bernhard Kretzschmar, Friedrich Press, Curt Querner und Gerhard Kettner, für Hans-Peter Hund, Ronald Paris, Claus Weidensdorfer und Xago. Mit der Galerie „Comenius“ in Dresden hatte er sich einige Zeit eine Plattform im Rahmen des Kulturbundes der DDR schaffen können, wovon die Faltblätter „orbis pictus“ Rechenschaft geben. Zum 100. Geburtstag Pablo Picassos sprach er in Binz im Rahmen einer Tagung der Sektion Kunstwissenschaft des Verbandes Bildender Künstler der DDR. In den einstündigen Vortrag streute er einige provokante Bemerkungen ein, die ihm ein wichtiges Anliegen waren. Dafür erntete er heftige Anwürfe. Als er am 9. Januar 1984 vom Staatssicherheitsdienst der DDR zu Hause abgeholt worden war, setzten sogleich Proteste und Solidaritätsbekundungen für ihn ein, von Fritz Cremer, dessen Biograph er war und von Fritz Löffler, dem Nestor der Dresdner Kunsthistoriker, angeführt. Vor die Wahl gestellt, einer mehrjährigen Gefängnisstrafe entgegenzusehen und der Möglichkeit einer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, entschied er sich für den Weggang, gemeinsam mit seiner Familie. Helmut Schmidt sorgte für den Freikauf.
In der DDR viele Jahre freischaffend tätig, kehrte Diether Schmidt 1988 nach Westberlin zurück, wo er bereits 1948 als Sekretär den Kunstkreis der Schülergemeinschaft „Humanitas“ beim RIAS Schulfunk unter der Patenschaft von Will Grohmann geleitet hatte. „zone 5“, eine Erinnerung an die „Kunst der Viersektorenstadt 1945-1951“ gab er gemeinsam mit Eckhart Gillen 1989 heraus. Nach Gastprofessuren in Offenbach und in Berlin an der Hochschule der Künste und dem Fall der Mauer, war sein altes Feld wieder gewonnen. Nach einer Gastprofessur des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der Hochschule für Bildende Künste Dresden war er dort 1991/92 Rektor und bis 1995 als Professor tätig. Sich verständlich auszudrücken, war ihm ein Bedürfnis. Die „Alten“ vermisste er schon einige Zeit. Nun war er unversehens für eine ganze Reihe jüngerer Menschen würdevoll geworden. Voll tönend war seine Stimme in der Berliner Nikolaikirche, als er zusammen mit Klaus Wowereit im August 2001 die Ausstellung für Curt Mühlenhaupt eröffnete. Als 2010 in der Akademie der Künste am Hanseatenweg von Volker Mixsa die Porträtbüste „Prof. Dr. Diether Schmidt“ präsentiert wurde, blickte der Porträtierte optimistisch zurück, mahnte, gerichtet an Jüngere, dass noch nicht alles geschafft sei. Für ihn war Kunst stets „Lebensmittel“. Die Feier nach seinem 80. Geburtstag in einem Berliner Freiluftlokal entlockte ihm die frohe Bekundung: „Das Leben ist schön.“ Doch vor einigen Monaten ereilte ihn erneut ein Schlaganfall, der ihn erblinden ließ. Den Briefen von Freya von Moltke galt zuletzt seine besondere Aufmerksamkeit. Er starb am 7. Februar 2012 im belgischen Retie. Ein Band wichtiger Schriften Diether Schmidts, der seit einiger Zeit vorbereitet wird, kann nun nicht mehr in seine Hände gelegt werden. Am 21. Februar wurde er auf dem Friedhof in Wittenau beigesetzt, wo auch sein Großvater und seine Eltern ihre letzte Ruhestatt gefunden hatten.