von Thomas Gebauer
Sehr geehrter Herr Funk,
lieber Georg,
sehr geehrte Damen und Herren,
was sagt man Lobendes über jemanden, den eigentlich alle, zumindest alle, die einem selbst wichtig sind, längst schätzen? Sie haben es gehört: Mit so ziemlich jedem Preis, den es im deutschsprachigen Raum an Kabarettisten zu vergeben gibt, ist Georg Schramm bereits geehrt worden. Entsprechend viele Laudatoren waren bereits am Werk: Georg Schramm, einer der scharfzüngigsten, wenn nicht der scharfzüngigste deutsche Kabarettist, Schramm, der widerspenstige Humanist, kompromisslos, böse-brillant, konsequent der Aufklärung und Veränderung verpflichtet – all das trifft ohne Frage! Was wäre dem noch hinzuzufügen? Ich will es mit den beiden Begriffen Aufklärung und Veränderung versuchen.
Aufklärung
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich bei dem Wort Kabarettist gezögert habe. Selbstverständlich ist Georg Schramm ein Kabarettist, ein großartiger sogar, aber er ist eben mehr. Er ist ein herausragender Zeit- und Gesellschaftskritiker, ein überzeugender Schauspieler, ein engagierter Frontmann auf politischen Kundgebungen – und bei all dem, bei all seiner Bekanntheit ist er dennoch ein angenehmer und authentischer Zeitgenosse geblieben. Das verdient besondere Erwähnung; denn für prominente Menschen ist das durchaus nicht selbstverständlich.
Vor allem aber ist Georg Schramm der Schöpfer von Figuren, die heute kaum noch aus dem öffentlichen Leben wegzudenken sind.
Allen voran der renitente, übelgelaunte Rentner Lothar Dombrowski, das Alter Ego von Georg Schramm, den – wenn es denn möglich gewesen wäre – viele im Lande gerade zum Bundespräsidenten gewählt hätten. Stellen Sie sich vor: Dombrowski, eine Kunstfigur, als Bundespräsident, ein Präsident, der – als er beim Abschied aus der ZDF-Anstalt seine Bewerbung bekannt gab – eine kleine Liste von Personen präsentierte, deren Präsident er nicht sein wolle?
Auch Schramms zweite Figur, der zynische und trinkfreudige Oberstleutnant Sanftleben, ist nicht ohne Resonanz im wirklichen Leben geblieben. Und was für eine. Kein geringerer als Alexander Kluge hat den Oberstleutnant für seinen Fernsehkanal interviewt, völlig ernsthaft und gut eine halbe Stunde lang: zum Afghanistan-Krieg, zur Kampffähigkeit der Bundeswehr, zu den Entwicklungen in der Waffentechnologie. Schauen Sie sich das auf YouTube an, wenn Sie es noch nicht gesehen haben. Es lohnt.
Der Dritte im Bunde, der Sozialdemokrat August, scheint eh dem Leben abgeguckt. Niemand würde sich wundern, wenn er plötzlich in einem der SPD-Ortsvereine, etwa in der hessischen Wetterau, auftauchen würde, wo Augusts Plan, eine „Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten in der SPD“ zu bilden, längst kein Ulk mehr ist, sondern in die Tat umgesetzt wurde. Einer der Ortvereine hatte unlängst Vollzug gemeldet.
Georg Schramms Figuren, für die Bühne konzipiert und als solche natürlich stark überzeichnet, sind auf bemerkenswerte Weise real geworden. Das aber wirft Fragen auf. Was heißt es für den Zustand einer Gesellschaft, wenn ein humorloser, verbitterter Kotzbrocken, wenn Dombrowski, den Schramm sich ausgedacht hat, um bei der Geißelung der Verhältnisse nichts, aber auch gar nicht auslassen zu müssen, am Ende so sehr die Leute begeistert, dass die gar nicht genug bekommen können? Was heißt es, wenn Dombrowski heute auf Demonstrationen den Leuten aus der Seele spricht: mit analytischer Schärfe und heiligem Zorn? So letztes Jahr hier in Stuttgart, und auch in Frankfurt auf dem Aktionstag gegen die Macht der Banken, wo Dombrowski keineswegs zur clownesken Auflockerung der Kundgebung beitrug, sondern vielen als der Hauptredner galt.
Die Faszination, die von dieser Figur ausgeht, liegt ohne Frage in der beißenden Kritik, mit der Georg Schramm das herrschende System, den Kapitalismus, überzieht:
– ein System, das den Kapitalertrag, den Profit über alles stellt und dabei soziale Spaltungen in immer größerem Ausmaße in Kauf nimmt,
– ein System, das mit Hartz IV, so Georg Schramm, ein „Menschenopfer für Wachstum“ geschaffen hat,
– ein System, das selbst noch im Moment der größten Gefahr geradewegs weiter auf den Abgrund zusteuert, statt umzukehren.
Man müsse das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen, heißt es heute allenthalben in Wirtschaft und Politik. Man dürfe, so spottet Schramm „das Kapital, das scheue Reh, nicht verschrecken, wo man es doch auch schlachten könnte“.
Eine Idee, die – so derb sie daherkommt – auch feinsinnige Intellektuelle wie Walter Benjamin an ihrer Seite weiß. Bereits in den 30er Jahren forderte Benjamin die im Zug fahrende Weltgesellschaft auf, endlich zur Notbremse zu greifen (ein wunderschönes Bild, nicht zuletzt hier in Stuttgart). Der Griff zur Notbremse aber ist bislang ausgeblieben. Die Katastrophe setzt sich mit irrationaler Zwangsläufigkeit fort. Zur besten Sendezeit berichten allabendlich Korrespondenten von einem Börsengeschehen, das sie nicht eigentlich mehr erklären können. Schauen Sie mal da rein: Da sind die Vorhersagen des Wetterberichtes vergleichsweise präzise.
August, der alt gediente Kämpe, spürt diesen Wandel, und so hilflos, wie er manchmal wirkt, bringt er den prekären Zustand der Gegenwart doch auf den Punkt: „Politik war mein Leben, aber in der Zeitung stehen ja nur noch Börsenkurse.“
Bei allem Furor, den Georg Schramm in seine Zeitkritik legt, sind die Helden, die er uns präsentiert, doch eigentlich tragische Helden. Typen, voller Ambivalenzen; Charaktere, die ebenso liebenswerte wie abstoßende Seiten haben; was sie freilich nur interessanter macht.
Zum Glück verweigern sie sich jeder Reduzierung auf ein bloßes Funktionieren. Das gilt – so überraschend das für Sie klingen mag – auch für den Soldaten Sanftleben, der all den Euphemismen, die er als Presseoffizier zu verkünden hat, immer weniger selbst glauben kann und zu Scherzen greift, in denen das Andere, die Unzufriedenheit – wie auch immer verzerrt – durchbricht.
Schramms Ensemble umfasst Menschen, die auf ihre jeweilige Weise aufmüpfig bleiben, zugleich aber entfremdet sind, leiden und scheitern. Charaktere, die auf großartige Weise jenes Unbehagen in der Kultur deutlich machen, das Sigmund Freud beschrieben hat, ein Unbehagen, das als Reaktion auf gesellschaftliche Verhältnisse zu deuten ist, die selbst völlig zerrissen, widersprüchlich und feindselig sind.
Es ist ein großer Verdienst, dass Georg Schramm, in Zeiten, in denen die Menschen mit Moden und kulturellen Opiaten, wie Erich Fromm gesagt hätte, mit Flachbildschirmfernsehen, schalen Lebensdevisen und allerlei Therapieangeboten und – wenn das nicht hilft – auch mit disziplinierender Sozialtechnik und Psychopharmaka standardisiert und dem Wirtschaftsgeschehen verfügbar gemacht werden, dass Georg Schramm in solchen Zeiten auf das Sperrige in den Menschen, das nicht Kompatible, das Widersprüchliche pocht. Das ist allerdings ein Glücksfall für uns alle.
Befremdend sind auch die Themen, die Georg Schramm uns, seinem Publikum zumutet: Es sind existentielle Themen, wie Krieg, Krankheit, Tod. Themen, denen sich seine Figuren auf ihre Weise: kantig, überzogen und unbeholfen nähern, was immer wieder Lachen hervorbringt, ein Lachen, das kurzfristig entlastet, aber im Halse stecken bleibt.
Wer nach zwei Stunden Programm den Saal verlässt, hat nicht nur harte und kompromisslose Kritik an den antagonistischen gesellschaftlichen Verhältnissen miterlebt, sondern auch erfahren, wie sich diese Verhältnisse in einem selbst, in den Leuten, niederschlagen. Ja, was Georg Schramm mit seinen Figuren auf der Bühne zutage fördert, ist das, was Fromm schon vor Jahrzehnten das „gesellschaftliche Unbewusste“ genannt hat.
Diejenigen von Ihnen, die einmal einen Auftritt von Schramm verfolgt haben, wissen, wovon ich rede: von einem Publikum, das ebenso gebannt wie unruhig, ebenso zustimmend wie verunsichert bei der Sache bleibt,
– weil es etwas über sich selbst erfährt,
– weil auf der Bühne jemand etwas sagt, das selbst nicht bewusst erlebt werden darf, das abgespalten und verdrängt werden musste.
Natürlich sind Schramms Auftritte keine Therapiestunden, aber sie sind höchst wirkungsvoll. Eben Aufklärung in einem emphatischen Sinne. Aufklärung, wie sie Immanuel Kant verstanden hat – als Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Diese Aufklärung aber steht noch immer aus. Schauen wir auf die Entwicklung, die die Idee der Aufklärung in den letzten 250 Jahren genommen hat, erweist sich die Sache nämlich als höchst vertrackt.
Eben darauf verweist Georg Schramm, wenn er am Ende seines laufenden Programms „Meister Yodas Ende – Über die Zweckentfremdung der Demenz“ das Publikum mit einem Satz konfrontiert, der es allerdings in sich hat: „Die vollends aufgeklärte Erde erstrahlt im Zeichen des triumphalen Unheils“, zitiert er Max Horkheimers und Theodor W. Adornos zentrale These aus der „Dialektik der Aufklärung“.
Es ist höchst bemerkenswert, dass solche Einsichten mit Georg Schramm den Weg auf die Bühne gefunden haben – und dort auch verstanden werden:Nämlich dass Aufklärung scheitert, weil sie sich als rationale Beherrschung von Natur selbst in Herrschaft verwandelt, in eine Herrschaft, die sich den Menschen nunmehr nicht mehr im religiösen Mythos sondern als scheinbar rationales Prinzip zeigt, als wissenschaftlich begründete Unterdrückung sozusagen, als technologische und ökonomische Zwangsläufigkeit Und das mit dem Ziel, die Menschen, ihr Denken und alle ihrer Regungen so zu vereinheitlichen, dass sie berechenbar und dem Wirtschaftsgeschehen verfügbar werden.
Genau das übersetzt Georg Schramm im Spiel mit seinen Figuren auf eine Weise, die deutlich macht, dass nicht ein Wort an der „Dialektik der Aufklärung“ übertrieben ist:
– Ausführlich widmet sich Georg Schramm dem Schicksal von Pflegepatienten, deren Betreuung kostengünstiger zu leisten ist, wenn sie auf dem modernsten Stand der Technik mit Schläuchen künstlich ernährt und sauber gehalten werden.
– Mit Detailinformationen, die kaum jemandem bekannt sind, referiert er, wie mit Mikrowellen-Kanonen und allerlei anderen neuen Waffen die Bekämpfung von gegnerischen Soldaten, aber auch aufbegehrender Demonstranten, sogenannter Weichziele, künftig effizienter als bisher geleistet werden kann.
– Er vermittelt, wie Pharmakonzerne die Armut vieler älterer Menschen nutzen, um neue Medikamente zu testen, etc. etc.
In all diesen Fällen stellt sich Vernunft nicht in den Dienst der Befreiung aus Unmündigkeit, sondern trägt zur Sicherung von Herrschaft bei.
Dass es Georg Schramm gelingt, solche komplexen Zusammenhänge verständlich aufzudecken, ist allerdings eine große Kunst. Aufklärung, so wird dabei deutlich, ist eben nicht mit ein paar Lebenstipps zu haben. Sie verträgt sich nicht mit jener herrschenden instrumentellen Vernunft, die sich allein von Nützlichkeitserwägungen leiten lässt und an alles und jedes ein Preisschild heftet.
Dombrowski, ganz Kantianer, pocht auf eine andere Vernunft, eine, die allgemeingültigen Werten verpflichtet ist und mit Moral einhergeht. Auch August ist auf dieser Spur, wenn er sich mit Wehmut an Zeiten erinnert, in der seine Partei noch einen emphatischen Begriff von Gerechtigkeit besaß und man Ausbeuter noch Ausbeuter nennen durfte.
Vita
Das Drängen auf Gerechtigkeit begleitet Georg Schramm Zeit seines Lebens. Aufgewachsen ist er in einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus im mondänen Bad Homburg nahe Frankfurt.
Sein Vater war einfacher Arbeiter, der uns in der Figur des August heute immer wieder entgegentritt. Georg ist das einzige Arbeiterkind in seiner Klasse. Aber nicht im Gymnasium entdeckt er sein Interesse fürs Theater, sondern bei gemeinsamen Fernsehabenden mit der Mutter, die kaum ein Bühnenstück auslässt.
Nachdem er gerade so das Abitur geschafft hat und an einen sozialen Aufstieg im wenig durchlässigen Bad Hamburg nicht zu denken ist, verpflichtet er sich bei der Bundeswehr, wo er es in einer Panzerdivision, die von General Bastian befehligt wird, bis zum Offizier der Reserve bringt. Wegen „charakterlicher Nichteignung“ aber fällt Schramm, der sich inzwischen auch politisch zu betätigen begonnen hat, schließlich bei der Heeresoffiziersschule durch.
Er geht nach Bochum, wo er Psychologie studiert, um nach dem Studium nach Konstanz an den Bodensee zu wechseln. Dort tritt er in einer neurologischen Reha-Klinik die Stelle eines Psychologen an. Zwölf Jahre bleibt er dabei, arbeitet mit Patienten und engagiert sich als Betriebsrat zugleich auch für die Belange der Belegschaft. Letzteres bringt ihm das Angebot der ÖTV ein, in Stuttgart den Posten eines Gewerkschaftssekretärs zu übernehmen.
Schramm aber bleibt in Konstanz. Als er auf einer Betriebsfeier eine Rede auf einen Arbeitskollegen hält, wird er entdeckt. Eine Theatergruppe macht ihm das Angebot mitzumachen. Als Georg Schramm das erste Mal auf einer Bühne steht, ist er bereits weit über 30.
Es sind die Brüche in seinem Leben, die ihn geschult haben. Ein Leben, das so ganz anders aussieht, wie das vieler heutiger Politiker, die den direkten Weg vom Kreißsaal über den Hörsaal zum Plenarsaal nehmen.
Georg Schramm, so war kürzlich im Internet zu lesen, sei ein Leuchtturm des intellektuellen Anstands. Das sind große Worte, keine Frage, Worte, die aber eines deutlich machen: Radikale Kritik und ethische Überzeugungen passen nicht nur gut zusammen, sie bedingen sich nachgerade gegenseitig. Es ehrt Georg Schramm, dass er all die mitunter vorwurfsvoll daherkommenden Fragen, ob er Moralist sei, ein Gutmensch gar, souverän zurückgibt: eben mit beißender Kritik an Verhältnissen, die deshalb so destruktiv sind, weil ihnen jede Moral abhanden gekommen zu sein scheint.
Veränderung
Georg Schramm wolle, so die Jury der Erich Fromm Gesellschaft, nicht nur aufklären, sondern auch verändern. Unbedingt, ja doch! Seine Bühnenkunst ebenso wie sein politisches Engagement, sind weder „l’art pour l’art“, noch Selbstzweck oder gar ein Beitrag zur Stabilisierung der bestehenden Verhältnisse. Es geht ihm um Veränderung, und die gelingt bekanntlich nur dort, wo Menschen dies auch wollen und auf Veränderung drängen.
Aber warum tun sie das nicht viel mehr? Was ist es, was die Gesellschaft „im Innersten“ zusammenhält, obwohl sie doch erkennbar die Interessen ihrer Mitglieder an sozialer Gerechtigkeit immer wieder verrät? – Es ist die Frage nach dem „sozialen Kitt“, dem Erich Fromm bereits in den 30er Jahren nachgespürt hat und in dem er die Grundlage für letztlich jede gesellschaftliche Ideologie ausmachte.
Ohne die nachhaltige Erschütterung herrschender Ideologien kann Veränderung nicht gelingen; jede Veränderung beginnt mit der Herausforderung dessen, was in den Sozialwissenschaften die „kulturelle Hegemonie“ genannt wird. Keine Sorge, ich will Sie hier nicht mit soziologischen Begriffen traktieren, diesen aber, der für Georg Schramms Arbeit so wichtig ist, doch mit einem Satz erläutern. Salopp gesprochen, ist mit kultureller Hegemonie das gemeint, was die gesellschaftliche „Luftüberlegenheit“ über die Leitartikel, die Stammtische, die Gespräche im Cafe, auf der Straße, im Verein, die Vorstellungen der Leute samt ihres Aberglaubens, etc. genannt werden könnte.
Nicht zuletzt die Umwälzungen in der arabischen Welt haben deutlich gemacht, was Kampf um die kulturelle Hegemonie meint und wo der Ort ist, an dem diese Kämpfe ausgetragen werden. Als es der Demokratiebewegung in Ägypten gelungen war, für sich und für das Land den öffentlichen Raum zurückzuerobern und allen klar zu machen, dass Mubarak nicht im Interesse der Allgemeinheit handelte, war es um dessen Fähigkeit, für Hegemonie zu sorgen, geschehen.
Sie müssen aber nicht unbedingt nach Ägypten schauen, um zu verstehen, welche Bedeutung in der Auseinandersetzung um die kulturelle Hegemonie liegt. Denken Sie an den Regierungswechsel in Baden-Württemberg, der ohne die Renaissance des öffentlichen Raumes kaum möglich gewesen wäre, und im weiteren Sinne an die Erschütterung der neoliberalen Ideologie.
Bekanntlich waren die zurückliegenden zwei / drei Jahrzehnte neoliberaler Politik von der irrigen Idee geprägt, die private Initiative sei der öffentlichen per se überlegen. Bis in weite Teile der Gesellschaft hinein, ja selbst bis in den Kreis derjenigen, die die Aushöhlung staatlicher Sozialpolitik am eigenen Leib zu spüren bekamen, hat diese Idee Fuß gefasst.
Keine Talkshow, kaum ein Leitartikel, der nicht das Mantra des Neoliberalismus propagiert hätte. Allen Ernstes wurde behauptet, man müsse die Reichen reicher machen, damit schließlich auch etwas für die Armen abfalle. In der Entwicklungspolitik wurde das der „trickle-down Effekt“ genannt. Statt Ausbau eines Gemeinwesens waren Deregulierung, Steuersenkungen und unternehmerische Lebensführung angesagt, die selbst den Ärmsten den Armen empfohlen wurde.
Nun, da die katastrophalen Folgen dieser Politik nicht mehr zu übersehen sind und die Leute immer weniger bereit sind, den Propheten des Neo-Liberalismus zu glauben, gerät auch sein ideologisches Fundament ins Wanken. Der „soziale Kitt“ bröckelt, die Auseinandersetzungen um die kulturelle Hegemonie nehmen zu. Die Chancen für Veränderung wachsen.
Seit jeher hat sich politisches Kabarett in diese Auseinandersetzungen eingemischt. Satire, allzumal die radikale, zählt fraglos zu den schärfsten Waffen, wenn es darum geht, herrschende Ideologie zu erschüttern. Und auf eben diese Weise ist Georg Schramm Teil von Veränderungsprozessen. Mit seinen Auftritten auf Demonstrationen hilft er mit, jenen öffentlichen Raum zurückzuerobern, an dem sich öffentliche Meinung bildet, wo sich Menschen zusammenfinden, die alleine womöglich nur Ohnmacht empfunden hätten, nun aber über Mobilisierungsprozesse zu einer politischen Kraft werden. Gleichzeitig fordert er mit seiner kompromisslosen Art all jene Kräfte heraus, die die bestehende Hegemonie stützen. Denken Sie an seinen unübertroffenen Attacken auf die Niederungen deutscher Talkshows. Ich will es gar nicht erst versuchen, diese hier wiederzugeben. Seine beißende Kritik an jenen Medien, die mit seichter Unterhaltung dafür sorgen, dass der öffentliche Raum, der so zentral für eine lebendige Demokratie ist, in einem Meer von Irrelevanz versinkt. Wohl wissend, dass es die permanente Berieselung der Öffentlichkeit mit Junk Politics ist, mit Royal Weddings, der Inszenierung eines fabelhaften Guttenberg, mit der unendlichen Abfolge von Crime und Castingshows, hinter der sich Herrschaft verschanzt. Adorno und Horkheimer nannten das den gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang, in dem Aufklärung zum Massenbetrug wird.
Ich will mich an dieser Stelle nicht allzu lange mit der Affäre Wulff aufhalten, die bei aller Brisanz, die in ihr steckt, aber doch auch eine irgendwie provinzielle ist. Da stolpert ein Mann, wie Konfuzius gesagt hätte, über einen Maulwurfshügel, während die Berge der Korruption, die sich vor uns auftürmen und auf die Georg Schramm ja so beredt immer wieder hinweist, unangetastet bleiben. Mit Blick auf die Zahlen, die uns Georg Schramm bei seinen Auftritten präsentiert, könnte man glatt verrückt werden: Zwischen acht und 24 Milliarden Euro gehen alljährlich im deutschen Gesundheitswesen aufgrund von Abrechnungsbetrug und Korruption verloren. Noch einmal 20 Milliarden Euro ließen sich einsparen, wenn auf unsinnige Medikamente und Gerätediagnostik verzichtet würde. Zahlen, die Georg Schramm Berichten des BKA über die organisierte Kriminalität entnommen hat und die jeden Ehrensold, so unberechtigt er sein mag, in den Schatten stellen.
Es ist gut, dass sich Georg Schramm dem öffentlichen Spektakel konsequent verweigert. Es wird Ihnen aufgefallen sein, dass er nie in Talkshows zu sehen ist. Nicht, dass er da nicht eine gute Figur abgeben würde, aber man kann nicht „das Brackwasser der Beliebigkeit“ von Talkshows, so Schramm, aufs Korn nehmen, um im nächsten Moment selbst da zu sitzen. Immer wieder wettert er, und zwar bevorzugt dann, wenn Fernsehverantwortliche im Publikum sitzen, über jene Form von Unterhaltung, die davon ausgeht, die Leute seien zu einem komplexen Gedankengang nicht fähig.
Wir haben uns alle bei Georg Schramm zu bedanken, dass er mit seinen Auftritten im Fernsehen ein für alle mal klar gemacht hat, dass Zuschauer durchaus imstande sind, komplexe Gedanken zu verfolgen, dass die Anti-Intellektualität mancher Medien mithin nicht eine Reaktion auf das Publikum darstellt, sondern einem Angriff auf dasselbe meint.
Zum Leidwesen vieler hat sich Georg Schramm vor zwei Jahren aus der Anstalt verabschiedet, um sich ganz auf die Bühnenarbeit zu konzentrieren. Und da übt er sich nun in wohltuender Differenz auch zu vielen seiner Kollegen, die sich leider allzu oft in Klischees verlieren. Es zeichnet Georg Schramm aus, dass er nicht zu denen gehört, die das unheilvolle Treiben der Berliner Politik nur belustigt anschauen. Schramm blickt hinter die Kulissen, spürt den Interessen von Lobbyverbänden nach und schaut dabei jenen auf die Finger, die – wie er das nennt – die „Berliner Puppenkiste“ bedienen. Sich mit ein paar Kalauern über Merkel und Co. lustig zu machen, ist nicht seine Sache. So etwas mag Distanz suggerieren, kann aber letztlich nicht eine eigene Unsicherheit und Positionslosigkeit kaschieren.
Veränderung, das zeigt Georg Schramm, beginnt mit der Verweigerung des Klischees. Und dazu gehört unbedingt, den Ärger über die Verhältnisse nicht in einem heiteren Gelächter untergehen zu lassen. Denn das hätte am Ende sogar eine gegenteilige Wirkung. Kabarett, wenn es seine Themen nicht radikal angeht, kann auch zur Stabilisierung der Verhältnisse beitragen. Das ist dann wie im Karneval, wo einmal im Jahr und zeitlich eng begrenzt, die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden dürfen, damit sie für den Rest des Jahres umso bedingungsloser akzeptiert werden. Hilfsorganisationen wie medico stehen übrigens vor einem ganz ähnlichen Problem, denn auch Hilfe, allzumal solche, die nicht zu den Ursachen vordringt, sondern das Elend nur abfedert, kann zur Stabilisierung eines prekären Status Quo beitragen. Denken Sie an den damaligen Kanzler Kohl, der bei einem der ersten nationalen Tage für Afrika eine Geldschein mit den Worten in die Spendenbüchse steckte: „Heute tun wir mal was Gutes!“
Gegen solche Vereinnahmungen, die Vereinnahmung des Helfens, wie des Lachens, kann sich nur wehren, wer klare eigene Positionen hat. Man muss wenigstens eine Idee davon haben, wie es auch anders gehen könnte. Und das zählt ohne Frage zu den Stärken von Georg Schramm: in der Kritik an den Verhältnissen immer auch die Idee aufscheinen zu lassen, wie es anders gehen könnte. Und da sind wir dann wieder bei der Sache mit der Moral und den ethischen Überzeugungen. Die sind es, die jeden der Texte von Schramm zu einer Art gesprochenem Leitartikel machen, zu kleinen präsidialen Ruckreden.
Dank
Lassen mich schließen mit ein paar Hinweisen zur Frage, wer eigentlich Georg Schramm ist. Ja, für die Frage gibt es durchaus Anlass. Denn bei aller Bekanntheit, die aus seinen Figuren rührt, bleibt Georg Schramm, wenn er privat unterwegs ist, meist unerkannt. Das ist ein großes Privileg, das er genießt und ihm ein Privatleben ermöglicht, das er überaus schätzt.
Und zu dieser privaten Existenz zählt auch, dass er mit der Idee einer anderen Welt für sich und zusammen mit seiner Familie ernst macht. Ohne darum ein großes Trara zu machen, engagiert er sich für eine ganze Reihe von sozialen und politischen Zwecken. Mit Rat und Tat unterstützt er kleinere Vereine und Organisationen, die zivilgesellschaftliches Engagement fördern, sich um den Schutz von Flüchtlingen im Mittelmeer kümmern, Solidaritätsprojekte etwa in Vietnam oder Tibet unterhalten, einen Jugendzirkus betreiben – und auch medico.
Die wichtigste Unterstützung, die wir von Georg Schramm erfahren, und damit meine ich längst wieder uns alle, aber ist ohne Frage die Wirkung, die er von der Bühne aus erzielt.
Ganz herzlich möchte ich mich bei der Erich-Fromm-Gesellschaft für die kluge Entscheidung bedanken, und Dir, lieber Georg, ganz herzlich zu diesem Preis gratulieren.
* – Gehalten anlässlich der Verleihung des Erich-Fromm-Preises 2012 am 26. März im Neuen Schloss in Stuttgart. T. Gebauer ist Geschäftsführer von medico international.
Schlagwörter: Erich-Fromm-Preis, Georg Schramm, Thomas Gebauer