von Lutz Unterseher
Fall 3 – Cyril Ramaphosa: Ende März 1993, an einem schönen Herbstnachmittag in Johannesburg: Empfang anlässlich der Eröffnung des Büros einer deutschen Parteistiftung. Eingeladen waren Vertreter_innen der lokalen Presse, Funktionäre des African National Congress (ANC) sowie Offiziere und Berater der Untergrundarmee (MK) – darunter auch ich. Außerdem gab es noch die Repräsentanten der Stiftung und die ihnen zu arbeitenden Damen. Diese hatten „Schnittchen“ vorbereitet, die von den Frontschweinen unserer Armee als Beleidigung erachtet wurden. Doch: Am deutschen Schnittchenwesen soll die Welt genesen. Außerdem gab es noch Sprudel und ungekühlten Weißwein.
Als erster Gastredner sprach Cyril Ramaphosa: ein politisches Schwergewicht – als damaliger Generalsekretär des ANC die rechte Hand Nelson Mandelas. Cyril ist nicht groß, seine untersetzte Statur wohlgerundet. Dazu passend – ein dunkel glänzendes Mondgesicht.
Der Generalsekretär hielt eine lange Rede, die aber keineswegs langweilig war. Sie hatte – für Europäer ungewohnt – die Struktur einer Perlenkette: die anscheinend assoziative Anreihung von Punkten scheinbar gleicher Bedeutung. Damit ergab sich ein Eindruck von Lässigkeit, der freilich täuschte. Bald wurde klar, dass in Nuancen wichtige politische Akzente gesetzt, die Guten belohnt und die Bösen gestraft wurden.
Bei seiner Rede trug Cyril Ramaphosa einen – nicht all zu dunklen – blauen Anzug aus leichtem Stoff, dazu ein einfaches weißes Hemd und eine originell bunte Krawatte. Der Anzug war für ihn ganz offenbar Arbeitskleidung – eine bequeme zumal. Die Schultern waren kaum betont, und da der Hersteller auf Taillierung verzichtet hatte, konnte sich das Jackett locker um Cyrils Bäuchlein legen. Er fühlte sich wohl, und während er redete, federte er leicht schaukelnd in seinen bequemen, schwarzen Penny Loafers hin und her.
Wir, im Publikum, boten dazu einen Kontrast augenscheinlicher Unordentlichkeit: in unseren typischerweise getragenen Mischungen aus Jeans, Hemd und über die Schulter gelegtem Jumper. Der Generalsekretär war also nicht nur wegen seines Auftretens, sondern auch ob seines Erscheinungsbildes die zentrale Figur. Er repräsentierte auf zwanglose Weise die Würde unserer Organisation.
Einen weiteren Kontrast bot der zweite Redner, auch er ein Anzugträger. Es handelte sich um einen frisch aus seiner Heimat eingeflogenen prominenten Bundestagsabgeordneten, der später einmal EU-Kommissar werden sollte. Sein Erscheinungsbild war eine Orgie in grau: graues Haar, graues Gesicht, grauer, leicht verknautschter Anzug (übrigens ein – breitschultriger – Zweireiher) und graue Krawatte. Dazu ein nicht mehr ganz frisches weißes Hemd und schwarze Schuhe, die der Dienste eines shoe-shine boys bedurft hätten. Seine Rede war nicht lang und doch langweilig. Ein Kamerad stieß mich an: „Habt Ihr bei Euch noch mehr von denen?“
Fall 4 – George W. Bush: George W. Bush Jr. trug in seinen Jahren als Präsident der Vereinigten von Amerika bei jeder sich bietenden Gelegenheit Outfits, mit denen er, oder seine Imageberatung, anzeigen wollte, dass da ein Kerl war, der den freien Himmel, die Freiheit überhaupt, liebte und für den es gern auch schon einmal grob werden durfte: Cowboyklamotten, Seglerdress und militärische Fliegermontur. Wenn er aber bei offiziellen Handlungen, gleichsam im staatsmännischen Alltag, auftrat, dann gab es für ihn nur den Anzug. Ausgeschlossen war die Kombination, von der etwa sein Vorgänger im Amt mitunter durchaus geschmackvollen Gebrauch gemacht hatte.
Die Anzüge des George Dabbeljuh besaßen Signalcharakter und haben fraglos Männermode gemacht. Das, was er im Amt trug, hat es in seiner spezifischen Ausprägung zwar sicherlich schon vorher gegeben, doch geht es im Fall der Standardbekleidung dieses Präsidenten um so beispiellose Ausschließlichkeit und so unerbittliche Stringenz, dass dahinter eine strategische Konzeption, das Ergebnis der Beratung durch spin doctors, vermutet werden muss. Worum also drehte es sich beim Erscheinungsbild dieses Anzugträgers?
Seine Anzüge waren in aller Regel anthrazit-schwarz, dunkelblau oder dunkelgrau (nur in Ausnahmefällen ein wenig heller). Sie hatten einen einheitlichen, einfachen Schnitt: Kantige, aber nicht zu breite Schultern: Man(n) ist doch kein Zuhälter. Etwas tailliert, aber nicht zu sehr: Man(n) ist doch nicht effeminiert. Alles in allem erschien diese Gewandung körpernah, was den durchtrainierten Träger in seiner sportlichen Männlichkeit noch akzentuierte.
Das dazu getragene einfache Hemd war makellos blütenweiß und wurde vermutlich alle halbe Stunde gewechselt. Dazu trug der Präsident ausschließlich (!) Krawatten eines Einheitstyps: ungemustert-einfarbig (uni) in gelb, grün, blau und vor allem rot. Dabei strahlten diese Schlipse, dass einem die Augen wehtaten. Und, um das Bild zu vervollständigen: Die meist schwarzen, wohl gepflegten Schuhe waren vom zwiegenähten, überschweren Typ, für die ein gewöhnlicher Sterblicher wahrscheinlich einen Waffenschein hätte beantragen müssen.
Signalisiert werden sollte damit wohl vor allem politische Klarheit, obwohl doch, wie eine Flut von Witzen indiziert, die geistige Konfusion des Präsidenten legendär war. Weitere – vermutlich beabsichtigte – Botschaften: Standfestigkeit, Ehrlichkeit, Entschlossenheit und – der Wille zu töten. Dieses Signal war in der politischen Männerwelt offenbar angekommen:
Einer der ersten Adepten der präsidentiellen Mode war der Sonderbotschafter Paul Bremer, der zweite Zivilverwalter des Irak – nach dem völkerrechtswidrigen Überfall. Immer öfter tauschte er die temperierte Diplomatenkluft gegen das Outfit seines obersten Herren. Dabei glänzte er mitunter durch eine ästhetisch überwältigende Radikalisierung. Zum schwarzen Anzug mitsamt strahlend weißem Hemd und leuchtend rotem Schlips trug er wüstengelbe Kampfstiefel (von wesche dä Audendizidäd, wie der Südhesse sagen würde).
Schlimmer noch! Auf einem Flughafen mit starkem internationalen Verkehr sah ich vor einigen Jahren einen Fant mit Diplomatenköfferchen, der Bremers Entgleisung eins zu eins kopiert hatte. Und um das Maß voll zu machen: Wenige Tage vor seinem alkoholbedingten Unfalltod wurde die Kärntner Ikone Jörg Haider, am Arm eines jugendlichen Freundes, in einem schwarz-weiß-roten Outfit fotografiert, das zwar nicht durch combat boots, aber durch hellbraune Zugstiefel komplettiert war.
Mittlerweile ist die schwarz-weiß-rote Gewandung so populär, dass sie von Nachrichtensprechern oder auch einem betont gestandenen Sozialdemokraten wie Franz Müntefering in ihr modisches Repertoire aufgenommen wurde.
Eine ganz besondere Affinität zu einem solchen Erscheinungsbild scheinen übrigens Politiker zu entwickeln, die sich in genereller Tendenz – etwas – rechts von der Mitte bewegen.
Außer Mr. Bush Jr., dem verunfallten Haider und etwa Roland Koch in seiner Zeit als hessischer Ministerpräsident gerät an dieser Stelle auch Guido Westerwelle ins Visier. Er mag ebenfalls schwarz-weiß-rot. Frage: Was haben (hatten) die genannten Politiker außer etwa geistiger Konfusion gemeinsam? Meine Vermutung: Sie alle sind (oder waren) Klientelpolitiker, müssen (oder mussten) also ihre zerstörerische Bedienung von Partikularinteressen durch die plakative Beteuerung von Klarheit, Ehrlichkeit und ihrer Verpflichtung dem Gemeinwohl gegenüber verbergen. Dies ist, wohlgemerkt, eine zu überprüfende Hypothese, deren Verifizierung weiterer empirischer Feldforschung durch Abgleiche der wahren Couleur namhafter Politiker mit ihrer Anzugsgestaltung bedarf!
Schlagwörter: Anzug, Kleidung, Kombination, Lutz Unterseher, Politik