von Lutz Unterseher
In den heutigen Tagen, wir schließen die unmittelbar vergangenen Dekaden in die Betrachtung mit ein, ist das Erscheinungsbild der Frauen mit politischer Macht uneinheitlicher als in früheren Jahrhunderten (siehe Teil I in Das Blättchen 04/2012). Um diesen Eindruck zu substantiieren, sei der Blick zunächst auf jene gerichtet, die außergewöhnliche Macht auf sich vereinigen konnten – Persönlichkeiten, die noch am ehesten mit den erwähnten Herrscherinnen der Vergangenheit verglichen werden mögen. Auch wenn berücksichtigt wird, dass nun mit demokratischen Kontrollen oder etwa auch solchen durch einen Parteiapparat gerechnet werden muss, scheint es doch in der Gegenwartsgeschichte Frauen gegeben zu haben, die in besonderem Maße gleichsam „am Drücker“ waren. Eine mögliche Krönung solcher Machtstellung ist die Entscheidungsbefugnis über den Einsatz von Atomwaffen.
Nur wenige Kandidatinnen lassen sich in diesem Kontext nennen – nämlich Jekaterina Alexejewna Furzewa (Mitglied des Politbüros der KPdSU), Golda Meir (Premierministerin Israels) und Margaret Thatcher (britische Premierministerin). Außerdem vielleicht noch erwähnenswert: Indira Gandhi, die als indische Premierministerin einem Atomwaffenprogramm in nuce vorstand und ansonsten als demokratisch gewählte Diktatorin galt.
Alle diese Frauen kleideten sich mehr oder minder betont weiblich – dabei traditionellem Rollenverständnis folgend. Golda Meir wie eine Oma aus Amerika, die sie letztlich auch war: Unauffälliger Rock und weiße Bluse, manchmal mit simpler Brosche am Krägelchen, dazu die passende, verknautschte und bei jeder Gelegenheit gern abgelegte Kostümjacke, Schuhe mit Stuhlbein-Absätzen. Und immer trug sie eine auffällig große Handtasche höchst geheimnisvollen Inhalts.
Margaret Thatcher gab sich nach Art des sinnlosen Wettrüstens ihrer Jahre einem modischen Wettkampf mit der Queen hin (übrigens sehr zum Missfallen ihrer anglikanischen Majestät): Hütchen, Seidenkostüm und leichter Übermantel, alles Ton in Ton, das Ganze garniert mit einem – im Fall von Mrs. Thatcher: peinlich großen – Schmuckstück, zu tragen oberhalb des mehr oder minder wogenden Busens. Dazu elegante Pumps.
Frau Gandhi schließlich orientierte sich eng an den für Frauen der Oberschicht ihrer Kultur geltenden Kleiderregeln: viel farbenfrohes Textil, klassisch-traditionell und einfach zugleich.
Warum haben diese Frauen sich so betont weiblich und regelkonform gekleidet? Weil sie einer älteren Generation angehörten, denen ein das Erscheinungsbild regulierender Comment noch selbstverständlich war? Sehr wahrscheinlich. Vielleicht sind sie aber in ihrer Selbstdarstellung auch dadurch bestätigt worden, dass sie sich ihrer Macht und Bedeutung gewiss waren.
In diesem Zusammenhang ist die modische Entwicklung der Jekaterina Alexejewna Furzewa von speziellem Interesse. Sie war gegen Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Mitglied des Politbüros der KPdSU: eine Genossin unter acht Genossen. Wenngleich der Generalsekretär der Partei das letzte Wort beanspruchte, hätte dieses Kollektiv im Falle eines Falles doch gemeinsam über den Kernwaffeneinsatz entschieden. Frau Furzewa war freilich dermaßen intrigant, dass sie sich nicht lange im Politbüro halten konnte. Da sie aber „zu viel wusste“, machte man sie zur Kultusministerin der UdSSR. Nach über zehnjährigem Dienst verabschiedete sie sich durch Suizid. Das Volk hatte ihr, der Namenscousine der barocken Herrscherin, den Titel „Katherina III.“ verliehen.
Als Frau Furzewa, eine gelernte Textilingenieurin aus der Arbeiterklasse, um die Mitte der neunzehnhundertfünfziger Jahre noch auf der Karriereleiter stand, kleidete sie sich so, wie es wohl ihre Genossen von einer Funktionärin erwarteten: typischerweise in langweilig graue Kostüme mit zweireihiger Jacke und männlich eckigen Schultern – über dem Busen immer irgendwelche Partei- und Leistungsabzeichen. Nach ihrer Aufnahme in das oberste Organ des real existierenden Sozialismus, also ausgestattet mit einer, zumal für Frauen, unglaublichen Machtfülle, wandelte sich jedoch ihr Äußeres abrupt. Zuerst schockierte sie ihre würdigen Genossen bei einer Operngala durch ein majestätisch anmutendes Abendkleid (insbesondere wohl durch das überaus gewagte, wenngleich ästhetisch beeindruckende Dekolleté). Bald begann sie, Mode aus dem Westen zu importieren, und entdeckte schließlich das Chanel-Kostüm als ihr liebstes Amtsgewand: praktisch, elegant, weiblich.
Das alles ist noch gar nicht so lange her. Gleichwohl will die Identität von Vergewisserung eigener politischer Macht und betont weiblicher Selbstdarstellung als unwiederbringlich vergangen erscheinen. Wenige Frauen haben in unserer Zeit wirklich beträchtlichen politischen Einfluss. Auch die von einer US-amerikanischen Publikation zur mächtigsten Frau der Welt ausgerufene deutsche Bundeskanzlerin erscheint eher als Spielball partikularer Interessen denn als letztlich mit durchschlagender Wirkung Entscheidende. Allerdings, immer mehr Frauen sehen sich auf dem Weg zu mehr politischer Macht. Dieses subjektive Unterwegs-Sein macht sie unsicher, lässt sie nach – unter anderen auch modischen – Ausdrucksformen suchen, die Halt und Akzeptanz zu geben verheißen.
An dieser Stelle gerät – in einer Politwelt, die immer noch von Männern dominiert ist – die Herrenbekleidung in den Blick der für das Gemeinwohl engagierten und aufstiegswilligen Frauen. Das Ergebnis: Die feine, dunkle Hose hat geradezu einen Siegeszug in der Gewandung dieser Damen angetreten und wird bei nahezu jeder offiziellen Gelegenheit getragen: ob Kranzniederlegung, Vereidigung oder Verabschiedung. Zur Hose gehört zumeist, etwa über einfachem, weißen T-Shirt, ein farblich kontrastierendes Jäckchen: vorzugsweise in knalligem Uni – vielleicht in leuchtendem Rot oder giftigem Grün. Das Oberteil ist tailliert und typischerweise kürzer als ein Herrenjackett.
Damit wird die gewisse Moppeligkeit, die manche unserer gestandenen Politikerinnen kennzeichnet (Stichwort „Sitzfleisch“), kaum kaschiert, sondern mitunter noch hervorgehoben. Die Absicht war offenbar, bei der Herrenbekleidung, in diesem Falle: der „Kombination“, zwar eine Anleihe zu machen, letztlich aber doch auch betont weibliche Akzente zu setzen – also einen formalen Kompromiss zu finden. Dieses Bemühen scheint (auch im engeren Sinne) nach hinten losgegangen zu sein.
Ein Ausweg läge in der Flucht nach vorn: Vielleicht längere Jacketts nach Herrenart, doch unter Beibehaltung der Farbgebung? Besser nicht, denn unsere Augen wären durch so viel Leuchtfläche wohl doch zu sehr strapaziert. Nein, konsequenter erschiene es, wenn – im Gefolge der Pionierleistungen von Marlene Dietrich und Renate Künast – immer mehr prominente Frauen sich den genuinen Herrenanzug zu eigen machen würden.
Hier scheinen viele allerdings noch zu zögern. Doch gibt es gewisse Anzeichen einer Bewegung in die angedeutete Richtung: So etwa trägt die US-Außenministerin Hillary Clinton bei ihren Amtsgeschäften immer öfter Hosenanzüge einheitlicher, tendenziell vorsichtiger Farbgebung, also keine Kombinationen und nur selten Schrilles. Allerdings sind die Jacken oft noch unvorteilhaft kurz. Und Frau Merkel schoss im Sinne einer „Vermännlichung“ ihrer Kleidung gleichsam den Vogel ab, obwohl sie doch bekanntlich keine Probleme damit hat, bei speziellen Gelegenheiten mit praller Weiblichkeit zu verblüffen (Oslo-Syndrom).
Bei einem offiziellen Anlass gegen Ende des Jahres 2008 trug die Bundeskanzlerin einen hellgrauen, einfach geschnittenen Hosenanzug, dessen Oberteil etwa einem fast knielangen „Gehrock“ entsprach, wie er gegen Ende des 19. Jahrhunderts von würdigen Herren getragen wurde. Dieses Outfit streckte ihre Erscheinung auf das Schmeichelhafteste. Leider aber trug nur wenige Tage später Zipora Malka Livni, damals israelische Außenministerin, den gleichen Anzug (was sich herumsprach und zum beiderseitigen Abbruch des Experimentes führte). Damit dürfte das Thema „Herrenanzug für die Dame“ aber keineswegs erledigt sein.
Mich allerdings wurmte die Frage, warum zwei Persönlichkeiten so unterschiedlicher Herkunft, Pastorentochter sowie FDJ-Aktivistin die eine und einsatzerfahrene Mossad-Agentin die andere, sich zu gleicher Zeit auf ungewöhnliche Weise gleich kleideten. Wegen der im Prinzip ähnlichen Rollenerwartungen an die beiden Amtsträgerinnen? Weil beide, oder ihre StilberaterInnen, in dasselbe Modejournal geschaut hatten? Alles nicht überzeugend. So rief ich meinen Jugendfreund Nathan Itzkowitz, früher Panzerkommandant, jetzt kettenrauchender Kleincouturier, in Tel Aviv an. Wir rätselten gemeinsam, aber er hatte auch keine Erklärung.
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