15. Jahrgang | Nummer 7 | 2. April 2012

Der verzauberte See

von Klaus Wallendorf

Es schimmert freundlich, hell und heiter
im Sommermorgenlicht der See,
ein Waldweg führt zur Lichtung weiter,
im Ginster grast ein junges Reh.

Ein tiefer Frieden prägt die Stille
und atmet wundermilde Ruh’,
so waltet stumm des Schöpfers Wille
und lässt nur zarte Klänge zu.

Die Luft ist taudurchhaucht und würzig,
Glyzinienduft durchzieht den Äther.
Den Rest der Ortsbeschreibung kürz’ ich,
und wo man fischt, erklär’ ich später.

Wir war’n von Krasnojarsk gekommen
und hatten hinter Tscheljabinsk
die neue Autobahn genommen.
Das Bohrgerät stand noch in Minsk.

Die Fee war anfangs kaum zu sehen;
sie stand am Ufer wie ein Geist,
ließ Spinnwebschleier um sich wehen
und wirkte irgendwie vergreist.

Das war die Witwe Ljadow selig,
sie lebte über hundert Jahr’
an diesem Ort und schimpfte kehlig:
„Bringt nicht die Landschaft in Gefahr!

Ich bitt’ euch: lasst uns unerschlossen,
die Welt hat uns noch nicht entdeckt!“
– Da ist manch’ Tränchen uns entflossen,
und auch mein Mitleid war geweckt.

Der Mann von GAZPROM hat gemeint:
wenn wir hier anfangen zu bohren,
ist, was jetzt unberührbar scheint,
sobald das Gas erst strömt, verloren.

                       *

So haben wir den Zaubersee
als unerschliessbar angezeigt.
Oft denk ich an die Zauberfee …
vor allem, wenn die Heizung streikt.