von Alfred Askanius
2010 stellten wir in Rest-Preußen fest, dass wir eine tolle Königin hatten, um die uns alle beneiden. Weil unsere Luise wirklich Königin war und nicht nur die Geschiedene eines möglichen Thronfolgers, eine wirkliche Königin unserer Herzen nämlich. 2012 stellen wir – nun allerdings gesamtdeutsch unter Einbeziehung Bayerns – fest, dass unser großer König Friedrich gar nicht so schlimm war, wie es immer hieß, sondern ein toller Förderer von Kunst und Gewerbefleiß, der sich allerdings aufgrund einer schlimmen Kindheit und bösartiger Nachbarn ständig seiner Haut erwehren musste. Ein bissel „Friederisiko“ täte nämlich auch unserem „Susi-Sorglos-Staat“, wie man in österreichischen neoliberalen Kreisen sagt, überaus gut. Und 2013 werden wir feststellen, dass wir doch alle Helden waren: Nämlich in den dann vor genau 200 Jahren in den „Befreiungskriegen“ geschlagenen Schlachten, vor allem aber im Gemetzel der „Völkerschlacht bei Leipzig“. Zumindest die, die gut „preußisch“ denken. Die Vorfahren des „Restes“ der Deutschen starben in den Armeen Napoleons.
Der Thüringer Historiker Gerd Fesser, ausgewiesener Kenner der preußischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, veröffentlichte zwischen 2006 und 2008 in der Zeit einige Aufsätze über Personen und Ereignisse der Jahre zwischen 1806 und 1810, die traumatisch für das Königreich Preußen waren und in denen zugleich durch die Stein-Hardenbergschen Reformen – begleitet durch die von Scharnhorst und Gneisenau förmlich durchgepeitschte Militärreform – die Grundlagen nicht nur für den Sieg über Napoleon sondern auch für den Aufstieg Preußens zur Hegemonialkraft des Deutschen Reiches gelegt wurden. Für den Bremer Donat Verlag fasste Fesser diese Aufsätze jetzt in einem Buch zusammen, ergänzt durch Darstellungen der „Befreiungskriege“ selbst und zwei Diskurse über das Nachwirken der postfriderizianischen „Preußen-Legende“. Seine Aufsätze sind informativ und durchweg flüssig geschrieben. Gerd Fesser reflektiert den neuesten Forschungsstand und setzt sich durchgehend mit den seit Jahren andauernden Bemühungen auseinander, das nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten unter schwierigen Bedingungen entstandene differenzierte Preußen-Bild wieder zu relativieren. Nicht zufällig zitiert Fesser am Schluss seines Buches Stanislaw Salmonowiczs „Preußen. Geschichte von Staat und Gesellschaft“: „Die meisten Bilanzversuche verschweigen zwar nicht die zweifelhaften Seiten der historischen Karriere des preußischen Staates und seiner Rolle in Europa, verteilen aber Glanz und Elend in so geschickter Art und Weise, daß in der Regel der Glanz das Elend überwiegt.“ Gerd Fesser zielt mit diesem Pfeil auf den Australier Christopher Clark, der sich zunehmend in einer borussophilen Pose gefällt. Der Toruner Historiker Salmonowicz wird in Clarks Preußen-Buch übrigens ignoriert. Fesser bemüht sich erfolgreich, die in ihrer Bewertung immer noch hoch umstrittenen Ereignisse jener Jahre (siehe Blättchen 12/2011 über Friedrich Ludwig Jahn), mit großer Sachlichkeit und durchaus in all ihrer Widersprüchlichkeit darzustellen. Natürlich müssen – auch angesichts der Platzknappheit – viele Fragen unbeantwortet bleiben. Es fehlt noch immer, Gerd Fesser merkt das an, eine auf den Quellen fußende umfassende, sie in ihren gesellschaftlichen Kontext einordnende, Darstellung der „Befreiungskriege“. Sein empfehlenswertes Büchlein bietet interessierten Lesern zumindest einen ersten Einsteig in die Problematik. Zudem ist es ein wirksames Prophylaktikum zur Verhinderung nervösen Preußenfiebers in der Erwartung des Jahres 2013.
Gerd Fesser: Preußische Mythen. Ereignisse und Gestalten aus der Zeit der Stein/Hardenbergschen Reformen und der Befreiungskriege, Donat Verlag, Bremen 2011, 192 Seiten, 16,80 Euro.
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