15. Jahrgang | Nummer 4 | 20. Februar 2012

Kleidung, Macht, Leute – Anzügliches (Teil I: Feminines / Vergangenheit)

von Lutz Unterseher

In dieser kleinen Studie geht es um die „Kleidung politischer Macht“. Politische Macht und das Merkmal „männliches Geschlecht“ korrelieren miteinander. Zwar ist im Bereich der so genannten westlichen Zivilisation diese Korrelation in den vergangenen Dekaden etwas schwächer geworden, doch scheint es sich hier um einen – für manch eine(n) quälend – langsamen Prozess zu handeln. Vor diesem Hintergrund mag es also berechtigt sein, wenn es denn um das, „was die Politik trägt“, gehen soll, das typische männliche Outfit in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen.
Damit gerät jenes Kleidungsstück, samt Accessoires, ins Visier, das für unsere Politiker schon beinahe Uniformcharakter erreicht hat: Der (Herren-)Anzug. Von eher einfacher Konstruktion, kann dieser doch in unterschiedlichen Ausprägungen und in den verschiedensten Situationen ein breites Spektrum von Bedeutungen annehmen. Und damit erhöht sich sein Gewicht als politisch-gesellschaftlicher Orientierungsmaßstab.
Diese Spannbreite ist im Rahmen meines Essays durch eine Reihe kleiner Fallstudien zu illustrieren – gleichsam im Sinne nackter Empirie. (Ein Teil dieser Empirie geht auf unmittelbar eigenes Erleben zurück.) Andere mögen sich darauf beziehen, um ihre eher generell gerichteten Hypothesen daran zu überprüfen. Vier dieser Fallstudien bezeichnen das, was ich einen gelungenen Gebrauch des Herrenanzuges nenne, und eine weitere gibt einen Hinweis darauf, dass dieses Kleidungsstück selbst unter „Offiziellen“ in gewissen Situationen Grenzen der Geltung hat.
Bevor „die Männer“ in das Zentrum der Aufmerksamkeit geraten, sei allerdings ein Exkurs über die Kleidung politisch mächtiger Frauen eingeschoben. Dabei wird die Kleidung von Herrscherinnen im Zeitalter der Renaissance und des Barock einerseits mit der Gewandung von Politikerinnen der letzten Jahrzehnte andererseits verglichen: in der Hoffnung, zumindest tentative Einsichten in das Verhältnis von Macht und Rollenkonzepten zu gewinnen.
Vergangenheit: In der Zeit der Renaissance und des Barock gab es eine längere Reihe von Frauen, die – nicht als eheliches Anhängsel eines Throninhabers – allein herrschten. Die folgende Aufzählung ist unvollständig. In England: die Königinnen Maria („die Katholische“), Elisabeth I. und Anna. In Österreich: Kaiserin Maria Theresia. In Russland: die Kaiserinnen und Zarinnen Katharina I., Anna, Elisabeth und Katharina II.. In Schweden: Königin Christina. Alle diese Frauen kleideten sich, zumindest wenn es um die Wahrnehmung von Repräsentationspflichten ging, nach dem höfischen Comment ihrer jeweiligen Epoche: sowohl Weiblichkeit als auch die Würde der Herrscherin ausdrückend. Dabei gab es freilich gewisse Nuancen. Gar so drückend eng, wie oft vermutet, waren die damaligen Rollenkostüme nämlich nicht.
So bevorzugte etwa Christina von Schweden bei weniger offiziellen Anlässen, zum Beispiel auf der Jagd, die dazu jeweils passende Männerkleidung. Sie war es gewohnt und fand es praktisch. Ihr kriegerischer Papa Gustav Adolf (gefallen bei Lützen 1630) hatte sie als Buben aufziehen lassen. Und Maria von England hatte die Tendenz, sich auch und gerade bei öffentlichen Auftritten dunkel bis schwarz zu gewanden – in Anlehnung an die Roben zeitgenössischer Äbtissinen. Dies passte zu ihrer Politik blutiger Säuberungen unter den Vertretern des Anglikanismus, jener Kirche, die von ihrem Vater Heinrich begründet worden war. (Ihr böser Beiname „Bloody Mary“ erscheint wohlverdient und bleibt uns als Bezeichnung eines beliebten Getränks aus Tomatensaft und Gin erhalten.)
Einige der genannten Herrscherinnen waren mit gewissen Legitimitätsmängeln, oder doch erst nach deren Überwindung, auf den Thron gelangt. So etwa galt die spätere Königin Elisabeth I., die eigentliche Schöpferin des britischen Weltreiches, als illegitim, weil ihr Vater Heinrich VIII. ihre Mutter verstoßen hatte und enthaupten ließ. Als Königin legitimiert wurde sie durch einen Akt des Parlaments – und zwar vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass Elisabeth ein kluges, besonnenes Mädchen und die Liste plausibler Alternativen zu Ende war.
Ganz besondere Legitimitätsschwächen lassen sich im Hinblick auf einige russische Herrscherinnen notieren: Katharina I. war nicht von Adel, sondern einfache Bauerntochter und hatte sich – angefangen mit der ehrwürdigen Stellung einer Regimentshure – systematisch nach oben gedient. Und Elisabeth (russisch: Jelisawjeta) sowie Katharina II. (Jekaterina Alexejewna) waren beide durch Komplotte an die Macht gelangt, bei denen der jeweilige Ehemann ausgeschaltet wurde: im ersten Fall eingesperrt und im zweiten Fall umgebracht.
Bemerkenswert erscheint, dass diese Durchlöcherung des Gottesgnadentums, letztlich von fast bürgerlich anmutender Leistungsmotivation getrieben, keinerlei Entsprechung auf der Ebene der Selbstdarstellung, etwa der Kleidung, der entsprechenden Damen hatte. Es galt der höfische Comment, der rollengemäße Ausdruck von Weiblichkeit und Würde. Es wurde weder übertrieben noch mit neuen Formen experimentiert, obwohl die damaligen Regeln, wie wir gesehen haben, immerhin gewisse Spielräume erlaubten.
Einmal an der Macht verhielten sich diese Frauen konform: als Bekräftigung ihrer neu gewonnenen Sicherheit, vielleicht aber auch, um etwaig verspürte Unsicherheit nicht erkennbar werden zu lassen. Es reichte ihnen, wenn die Karriere recht „schräg“ war; alles andere sollte doch besser normal ausschauen.