von F.-B. Habel
Die Berlinale ist nicht nur das größte internationale Filmfestival auf deutschem Boden, es ist auch das größte des deutschsprachigen Films. In fast allen Sektionen laufen deutsche Filme, und nicht wenige sind Weltpremieren. Das gilt natürlich in erster Linie für den Wettbewerb, wo vor Redaktionsschluss Christian Petzolds „Barbara“ und Hans-Christian Schmids „Was bleibt“ ins Rennen gingen.
Die Kritiker sind sich unschlüssig, welches der bessere von beiden ist. Letztlich sind beide dem spröden Stil der „Berliner Schule“ verhaftet, in dem die Bilder eher unspektakulär und gedehnt als opulent ausfallen. Schmid, den Regisseur von „Crazy“, „23“ und „Requiem“ halten ausländische Kollegen für den „deutschesten“ der Regisseure, vielleicht, weil man ihm gründliches Nachdenken anmerkt. Darin hat er sich in dem Film über den Mikrokosmos einer Familie doch eher verloren. Das Gespinst von Wahrheit und Lüge zelebriert Schmid zu genüsslich. Seinem vorzüglichen Darstellerensemble mit Corinna Harfouch an der Spitze sieht man allerdings gern zu.
Christian Petzold hat einen erstaunlich unaufgeregten Film über ein Aufreger-Thema gedreht. Weil ihm offenbar kein treffender Titel einfiel, nannte er ihn nach der Heldin „Barbara“. Eine Berliner Charité-Ärztin hat zu Beginn der achtziger Jahre einen Ausreiseantrag gestellt und wird in ein kleines mecklenburgisches Krankenhaus versetzt, zufällig in unmittelbarer Nähe zum Grenzgebiet. Sie wird von Stasi-Mitarbeitern bedrängt und ist sich nicht sicher, ob der nette Chef, André, nicht auch zu denen gehört. André scheint das selbst nicht so genau zu wissen. Das breitet Petzold weitgehend als Kammerspiel aus, und wer die DDR 1980 kannte und darauf aus ist, kann auch ein paar Ungereimtheiten entdecken. So naiv ist selbst eine Barbara nicht, im Zimmer eines Interhotels detaillierte Fluchtpläne zu besprechen. Leider funktioniert das Paar nicht im Miteinander. Nina Hoss bleibt zu distanziert, und Ronald Zehrfeld stellt den André vor allem als Teddybär aus. Verschämte Liebesszenen bleiben zugeknöpft. Der Westler Petzold, der gern Ost-Themen aufgreift, hat die politisch aufgeladene Zeit erstaunlicherweise weitgehend unpolitisch inszeniert. Die DDR ist grau und träge. Er gibt aber auch dem Stasi-Mann menschliche Züge und erzählt, dass es Gründe gab, in der DDR zu bleiben – und waren sie auch privat.
Auf der Feier zum 100. Jahrestag der ersten Klappe in Babelsberg wurde unter anderem Volker Schlöndorff als Retter des Studios gefeiert. Darüber gibt es geteilte Meinungen. Einigkeit herrscht darin, dass Schlöndorff mit „Das Meer am Morgen“ einen mehr als diskutablen antifaschistischen Film vorgelegt hat, der in der „Panorama“-Reihe lief. Er führt in das von deutschen Truppen besetzte Frankreich vom Oktober 1941 und stellt Guy Môquet (sympathisch Léo Paul Salmain) in den Mittelpunkt, ein junger Widerstandskämpfer, der eine Vergeltungsaktion der Nazis nicht überleben wird. Schlöndorff verwendete für das Drehbuch Aufzeichnungen von Ernst Jünger (brillant Ulrich Matthes) und Heinrich Böll (nachdenklich Jakob Matschenz), und versucht, das Geschehen so emotional wie intellektuell zu beleuchten. Bemerkenswert, dass er den kommunistischen Widerstand hervorhebt und die Zwangslage der französischen Kollaborateure differenziert beleuchtet. Gut ist, dass die deutsch-französische Produktion auch zweisprachig gezeigt wird.
Während der Berlinale wurden auch die Preise der Deutschen Filmkritik verliehen. Regisseur Andreas Dresen durfte sich gleich über zwei Auszeichnungen für „Halt auf freier Strecke“ freuen. Die deutschen Kritiker zeichneten ihn nicht nur für den besten Spielfilm aus, sondern kürten auch Milan Peschel als besten Hauptdarsteller des vergangenen Kinojahres. Derweil lief Dresens neuer Film im „Panorama“. Er ist zu dem jungen Politiker zurückgekehrt, den er vor neun Jahren in „Herr Wichmann von der CDU“ porträtiert hatte. Inzwischen sitzt Henryk Wichmann für seinen uckermärkischen Wahlkreis im Landtag. Der Dokumentarfilm „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ zeigt ihn in den Mühen der Ebene (was in der Uckermark ganz wörtlich zu nehmen ist). Wichmann kämpft darum, dass an einem kleinen Bahnhof ein Zug nicht nur hält, sondern auch die Türen öffnen darf. Zu seinen entschiedenen Gegnern gehört offenbar der Naturschutzbund NABU, der Brutstätten des Schreiadlers schützen will, in deren Nähe sich Wasser- und Radsportler tummeln könnten. Dresen und seine Kameramänner Andreas Höfer und Michael Hammon verfolgen den eloquenten Politiker bei vielen Terminen und im Landtag, oft mit der Handkamera, oft in geschickt kurz geschnittenen Sequenzen (Schnitt Jörg Hauschild). Dabei wird der Alltag eines Politikers transparent, der nicht an der Spitze steht und Kärrner-Arbeit leistet. Dresen, dem eher linke Sympathien nachgesagt werden, hat Achtung vor ihm und sagt im Zwiegespräch: „Wenn er bei mir kandidieren würde, würde ich ihn auch wählen. Inzwischen sind wir beide älter geworden, und auch toleranter.“
Wie Andreas Dresen hat auch Thomas Heise an der Babelsberger Filmhochschule studiert, doch Heise konnte sein Studium nicht abschließen. Er lag mit seinen Filmen zu quer und fand einen anderen Weg zur Regie. In der Staatlichen Filmdokumentation konnte er die Filme „Das Haus“ und „Volkspolizei 1985“ realisieren. Nachdem er längst ein renommierter Dokumentarfilmer ist, knüpft er mit seinem neuen Streifen „Die Lage“, der in der „Forum“-Sektion lief, stilistisch an diese frühen Filme an. In schlichtem Schwarzweiß und langen Einstellungen (Kamera Peter Badel und andere) beobachtet er das rege Treiben anlässlich des Papst-Besuchs in Erfurt im vergangenen Herbst. Doch Benedikt XVI. ist zwar Anlass des Films, nicht aber Hauptakteur. Im Mittelpunkt stehen jene, die aus dem Papstbesuch erst das Event machen. Die Film beobachtet die Vorbereitungen des Großereignisses. Die Begrüßungszeremonie auf dem Flughafen muss geprobt werden. Schließlich dürfen sich weder Politiker noch Geistliche einen Fehltritt leisten. Auf die grotesken Wirkungen, die da entstehen, vertraut Heise, aber er stellt sie nicht her. Er bleibt in beobachtender Position. Wenn das Großereignis angebrochen ist, sieht die Kamera den Zuschauern in die Gesichter, zeigt die Absperrungen, beobachtet das Wachpersonal. Profane Alltäglichkeit bekommt eine Ansammlung von Kardinälen vor einem Toilettencontainer. Kontrapunktisch setzt Heise gelegentlich Anweisungen und Verlautbarungen ein, enthält sich aber sonst eines Kommentars in der richtigen Annahme, dass der Film denkende Zuschauer finden wird.
Die deutschen Filme der Berlinale werden sicherlich bald im Kino oder Fernsehen erscheinen. (Allzu viele sind ästhetisch schon mit Blick aufs Fernsehen gemacht worden.) Und auch zwei der Ausstellungen, die am Rande der Berlinale eröffnet wurden, kann man noch sehen. Im Ludwig Erhard-Haus in der Fasanenstraße kann man Plakate und Szenenfotos aus Berlin-Filmen sehen (die meisten aus DEFA-Filmen), und es wird nachvollziehbar gemacht, wo viele der Szenen gedreht wurden (noch bis 29.2.). Im Willy Brandt-Haus nahe dem Halleschen Tor präsentiert Jim Rakete in „Stand der Dinge“ großformatige Porträts von heutigen Filmkünstlern. So manche Bekannte sieht man hier neu, seien es Dresen oder Schlöndorff oder auch Henry Hübchen, der am Rande der Berlinale mit dem Progress-Preis „Paula“ ausgezeichnet wurde.
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