von Jens Knorr
Wer kennt nicht Liszt, Ferencz, – doch wer kennt seinen Schüler Anton Urspruch? Wer kennt nicht Strauss, Richard, und Pfitzner, Hans, und vielleicht auch noch von Schillings, Max, – doch wer kennt ihren wackeren Mitstreiter, den Vater der „Münchner Schule“, Ludwig Wilhelm Andreas Maria Thuille? Wer kennt nicht Schönberg und Zemlinsky, – doch wer kennt Erich J. Wolff?
Peter P. Pachl kennt sie alle. Der Gründer und künstlerischer Leiter des pianopianissimo Ensemble Musiktheater München e.V. hat viel zur Einspeisung von Werken in den Musikbetrieb beigetragen, deren Komponisten, Wagner-Zeitgenossen und Epigonen, gemeinhin und ungenau als „Spätromantiker“ klassifiziert werden. Unter dem Titel „Zauberdunkel und Lichtazur. Unerhörtes der Zeitgenossen Anton Urspruch (1850-1907), Ludwig Thuille (1861-1907) und Erich J. Wolff (1874-1913) in Uraufführungen und Erstaufführungen“ haben die Sopranistin Rebecca Broberg und der Pianist Ulrich Urban, beide auch Mitglieder des Pachlschen Ensembles, Lieder der drei Komponisten eingespielt, die heute nur noch Spezialisten bekannt sein dürften.
Urspruch, Thuille und Wolff zählen zu der Mehrheit von Komponisten, aus der sich jene Minderheit heraushebt, deren Werke eben das enthalten, was den Werken jener ermangelt: Zukunftsmusik. Weil diese aber ohne jene vielleicht nicht geworden wären, was sie geworden sind, fällt für jene zumindest musikhistorisches Interesse ab.
Anton Urspruch brachte es zum Lehrer für Klavier und Komposition in Frankfurt, erst am Hoch’schen, dann am Raff’schen Konservatorium, und praktischerweise zur Heirat mit der Tochter des Musikverlegers August Cranz. Erich Jaques Wolff brachte es zum Begleiter Schönbergs und Zemlinskys in den späten Neunzigern des 19. Jahrhunderts, darüber hinaus zum Klavierbegleiter großer Sänger und Sängerinnen und zu mehr als 150 Liedern. Ludwig Thuille brachte es gleich nach Abschluss seines Studiums an der Königlichen Musikschule in München zum Lehrer, dann zum Professor an eben diesem Institut und, als einziger der drei, zu einem Nachleben auf den Kammermusikpodien, und zwar in Gestalt seines Sextetts op. 6.
Wie auch könnten Urspruchs Vertonungen von Heine-Gedichten neben denen Robert Schumanns irgend bestehen, wie Thuilles Vertonung von Gilms „Nacht“ neben der von Richard Strauss, wie Wolffs Vertonung von Goethes „Mignon“ neben einer ganzen Reihe gültiger Aufhebungen ins Kunstlied?
Um solcherart Liedern, die zwischen Epigonentum und blankem Abklatsch siedeln, zumindest historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, bedarf es Interpreten, die über jeden künstlerischen Zweifel erhaben sind. Ob sich Broberg und Urban mit der Einspielung einen Gefallen taten, bleibe dahingestellt, den Liedern und ihren Komponisten taten sie keinen.
Die technischen Probleme der Stimme sind evident. Einem permanent überanstrengten Organ beim Singen in offenbar alles andere als bequemer Stimmlage zuhören zu müssen, macht das Hören zur Tortur und den Nachvollzug dessen unmöglich, was in und mit den Liedern eigentlich vorgehen könnte. Zwar ist aus dem schrillen Dauerbeschuss durchaus Gestaltungswille herauszuhören, aber die Lieder insgesamt bleiben unter aller Interpretation und vor aller Ur- und Erstaufführung. Und die Zeitgenossen bleiben unerhört.
„Zauberdunkel und Lichtazur. Unerhörtes der Zeitgenossen Anton Urspruch (1850-1907), Ludwig Thuille (1861-1907) und Erich J. Wolff (1874-1913) in Uraufführungen und Erstaufführungen“. Bella Musica/Thorofon CTH 2585, Bühl/Baden 2011, 18,99 Euro
Schlagwörter: Anton Urspruch, Erich J. Wolff, Jens Knorr, Ludwig Thuille, Peter P. Pachl, Rebecca Broberg, Ulrich Urban