von Korff
Als Neues Deutschland in der Wochenend-Ausgabe vom 17. / 18. Dezember 2011 in der Aufmachung einen Teil ihrer Mitarbeiter – mit Foto – als Selbststeller für „Linksextremismus“ offenbarte, gab es – zum Teil noch anhaltend – Zustimmung bei Lesern, und auch Fachkollegen fanden dies als Gag gelungen, freilich ohne Nachahmungsempfehlung.
So auch bei der taz, die einen Faksimile-Ausschnitt abdruckte und ihre Leser mit dem dahinter stehenden Sachverhalt vertraut machte. Auslöser war bekanntlich eine vom Hause der Familienministerin Kristina Schröder gesponserte Broschüre mit dem Titel „Demokratie stärken. Linksextremismus verhindern“ – gedacht unter anderem als Lehrmaterial für Schulen. Darüber die taz: „Der Antikommunismus, der hinter Schröders Kampf gegen Linke steht, ist bei ihr ideologisch offensichtlich so fest verankert, dass selbst rechtsextreme Terrorgruppen sie nicht von dem Gedanken abbringen können, dass vor allem Linksradikale den Staat bedrohen können. Auch das ND ist von der Ministerin unter Generalverdacht gestellt. […] ND-Chefredakteur Reents wehrte sich anfangs gegen diese Einordnung seiner Zeitung – es sei denn, ‚Kapitalismus- und Gesellschaftskritik werden schon als Linksextremismus gewertet’.“ Ganz vorsichtig kommentierte die taz: „Genau das aber scheint in der Broschüre der Fall zu sein.“
Warum, fragt Korff, die Beschränkung auf diese Broschüre bei Reents und taz, nebst Gebrauch von Konjunktiv?
Was hier und in der Broschüre auch im Wortsinn zum Ausdruck kommt, entspricht doch mehrheitlich und ohne Augenzwinkern der Gesetzeslage, auch wenn man irrtümlich vermeint, das wäre bundesdeutsche Geschichte einer fernen Vergangenheit.
Dieser Tage vor 40 Jahren (!), am 28 Januar 1972, wurden von Bundeskanzler Willy Brandt und den Regierungschefs der Bundesländer „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“ (umgangssprachlich „Radikalenerlass“ oder „Extremismusbeschluss“ genannt) erlassen, wonach seither eine Regelanfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz zu erfolgen hat, wenn sich jemand für den öffentlichen Dienst bewirbt. Es handelte sich dabei einerseits um „zwingende Vorschriften“, und darüber hinaus wurde „der Wirtschaft“ und „den Medien“ per Dekret dringlich anempfohlen, sich ebenfalls entsprechend zu verhalten, was auch weitgehend geschah. (Falls nicht – wie im Springer-Konzern – schon eigene Statuten mit verschärftem Inhalt wirkten.) Überprüft wurden in der Folgezeit insgesamt 1,4 Millionen Personen.
Vorläufer dieses Aktes der „Rechtsstaatlichkeit“ war der so genannte Adenauer-Erlass vom 19. September 1950, also unmittelbar nach der ersten (!) Bundestagswahl von 1949. Hintergrund: Die Kommunistische Partei war in allen Besatzungszonen offiziell zugelassen worden. Durch den Adenauer-Erlass erfolgte nun eine Gesinnungsprüfung der öffentlich Bediensteten der Art, dass die „Fremdkörper“ aus den praktisch wieder hergestellten staatlichen Strukturen der Nazizeit nicht nur entfernt werden konnten, sondern per Gesetz auch „mussten“. Denn alle staatlichen Institutionen wurden unter Strafandrohung verpflichtet, „unnachsichtig gegen Schuldige“ vorzugehen.
Dem folgte am 17. August 1956 das Verbot der KPD und 13 weiterer Organisationen, darunter der „Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN)“. Kontinuierlich wurden Überprüfte und Denunzierte entlassen, vom Postboten bis zum Professor. Damit war zugleich eine Entwicklung eingeleitet, in deren Konsequenz der deutsche Begriff „Berufsverbot“ zur internationalen Vokabel wurde.
Bis heute häufig übersehen wird dabei, dass mit dem Verbot der KPD auch die „Verbreitung marxistischen Gedankenguts“ unter Strafe gestellt wurde. Dies hatte auch auf DDR-Bürger seine Auswirkung, sofern sie in die BRD reisten und dort nicht in den antikommunistischen Kanon einstimmten. (Nebenher und im Zuge dessen: Neues Deutschland durfte bis zum Beitritt der neuen Bundesländer nicht legal in die Bundesrepublik eingeführt, geschweige denn öffentlich gehandelt werden. Es bestand ein Einfuhrverbot gemäß geltender Rechtsordnung.)
Der unter Bundeskanzler Brandt verfügte „Radikalenerlass“ kollidierte allerdings rasch und zunehmend mit der internationalen Realität (Entspannungspolitik) und stieß daher nicht nur international, sondern auch in der SPD selbst auf stärker werdenden Widerspruch, so dass er von der SPD / FDP-Regierungskoalition schließlich „einseitig aufgekündigt“ wurde, ohne jedoch einen rechtsstattlich sauberen Schlussstrich zu ziehen oder gar die in ihren Lebensverhältnissen nicht selten nachhaltig geschädigten Opfer zu rehabilitieren, geschweige denn zu entschädigen.
Von Willy Brandt heißt es, er habe später den Erlass als einen Fehler bezeichnet; manche wollen von ihm sogar gehört haben, es sei „der größte Fehler“ seiner Regentschaft gewesen. Und Kanzler-Nachfolger Helmut Schmidt meinte – gewohnt ironisch über den Dingen stehend – zur Berufsverbots-Praxis, man habe da mit Kanonen nach Spatzen geschossen.
Aber – die Kanonen sind noch im Einsatz! Weil es bundesweit zu keiner einheitlichen Neuregelung zu der Frage kam, auf welchen rechtsstaatlichen Werte- und Grundsätz-Kanon etwa öffentlich Bedienstete einzuschwören seien, liegt entsprechendes Handeln seither im Belieben der Bundesländer. Und wie handeln die heute? Korff lässt dazu Wikipedia unter „Radikalenerlass“ antworten: „In den meisten Ländern wird heute eine so genannte Bedarfsanfrage beim Verfassungsschutz durchgeführt, wenn sich Zweifel daran ergeben, ob der Bewerber jederzeit für die freiheitliche und demokratische Grundordnung eintreten wird.“ Das ist die Realität, heute. Dann aber wiegelt der Stichwortgeber ab: „Dies ist sehr selten der Fall und führt noch seltener zu Konsequenzen.“
Korff kommt ins Grübeln: Woher weiß der / die das? Seit wann gibt es wo und von wem Angaben darüber, und wenn, wer prüft deren Wahrheitsgehalt? „Ein weites Feld“, würde Theodor Fontane hier vermutlich sagen lassen.
Da lobe ich mir doch unsere bayerischen Landsleute, genauer, deren Regierende, in deren selbst gerühmter Geradlinigkeit. Für Bayern gilt „nach dem Grundgesetz, der Bayerischen Verfassung, dem Beamtenrechtsrahmengesetz und dem Bayrischen Beamtengesetz“: „Für den freiheitlich-rechtsstaatlichen öffentlichen Dienst ist nicht geeignet, wer gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat oder für das Ministerium für Staatssicherheit bzw. Amt für Nationale Sicherheit der früheren DDR tätig war.“ (Punkt 2.1.3. des Bayrischen Beamtengesetzes in der Fassung vom 27. November 2007)
Zwar hält sich das Bayerische Beamtengesetz mit keiner Definition von „Menschenrechten“ oder „Rechtstaatlichkeit“ auf und lässt Korff angesichts der je nach Wirtschaftsinteressen und Kassenlage schwankenden Stringenz dieser Begrifflichkeiten hierzulande – siehe den wechselnden Tenor in der Bewertung zu Russland, China, arabischem Frühling oder auch Guantanamo – reichlich verunsichert zurück, aber wie dem auch sei: Mit dem „Bekenntnis“ als Linksextreme dürften die ND– Journalisten in Bayern keine Zukunft haben. Im betreffenden bayerischen Fragebogen für Anwärter des Öffentlichen Dienstes werden im Übrigen als Beispiele für Ausschließungsgründe unter anderem auch genannt: Al-Qaida, Scientology oder „Funktionsträger einer Massenorganisation der DDR“.
Nicht nur Kristina Schröder nimmt das 1:1, obwohl, zumal bei nachlassendem Wohlwollen, auch ihre Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, in diesen Sack hineingetan werden könnte.
Schlussendlich erschließt sich für Korff , warum die taz zwar von erkennbarer Ironie beim Gag des ND spricht, aber in verschämter Anständigkeit, vielleicht auch infolge längerer Erfahrung mit dem Rechtsstaat, den ND-Selbststellern zu verstehen gibt: Kollegen! Staatshüter sind für solche Gags nicht zugänglich; danken aber immer für Fotos.
Schlagwörter: Adenauer, Korff, Kristina Schröder, Neues Deutschland, Radikalenerlass, taz, Willy Brandt