15. Jahrgang | Nummer 2 | 23. Januar 2012

Bemerkungen

Nachruf auf die Gegenwart

Irgendwie bleibt mir Mika Brzezinski unvergesslich. Nicht, weil die Amerikanerin für’s Weltgeschehen besonders belangvoll wäre; so politrelevant war der mit ihr zusammenhängende Vorgang nicht, der vor fünf Jahren immerhin aber doch einen gewissen Nachrichtenwert hatte. Man könnte vielmehr als Kulturtat bezeichnen, was die Nachrichtensprecherin des US-TV-Senders MSNBC seinerzeit voll brachte, indem sie sich weigerte, die Informationssendung mit einer Nachricht über Paris Hilton (Dieter Hildebrandt würde möglicherweise sagen: ein „öffentliches Geräusch“) zu beginnen und diese, statt sie zu verlesen, vor laufender Kamera zerriss.
Frau Brzezinski fällt mir deshalb immer mal wieder und in der derzeitigen medialen Geräuschkulisse um die mediale Allmacht der Bild-Zeitung besonders ein, weil ich mir dann vorstelle, dass und wie all jene, die man – jedenfalls laut Schulabschluss – doch für vernunftbegabt halten könnte, dieses Blatt austrocknen, indem sie sich ihm einfach nicht mehr zur Verfügung stellen, verfügten sie nur über eine ähnliche Courage.
Gewiss, das würde Bild nicht davon abhalten, im Namen – ausgerechnet! – der Moral auch weiterhin all jene vorzuführen, die der Springer-Obrigkeit und deren im Hintergrund wirkenden eigentlichen Herausgebern, warum auch immer, missliebig sind. Und gewiss: Das Gros jenes intellektuell prekären Publikums, das dieses Druckwerk tagtäglich kauft und liest, würde nicht dramatisch schwinden. Aber müsste das von Belang sein für jene, die sich vor dieser Zeitung sonst so gern und berechtigt ekeln? Glaubt jemand – inklusive von Oberen der Linkspartei – ernsthaft, man erreiche „das Volk“, wenn man es per Vernunft via Bild anspricht, einer Zeitung, in der Geist – von Lauterkeit ganz zu schweigen – eine ultimative Fehlstelle ist?
Warum dann keine Werbung oder Interviews auch in Porno-Postillen, die ebenfalls eine beträchtliche Reichweite haben? Oder in der Jungen Freiheit, die, anders zwar, aber durchaus vergleichsweise reaktionär ist wie Bild. Warum nahezu keine Interviews mit dem ND? Na gut, letztere Frage ziehe ich zurück, denn da obwaltet natürlich der Klasseninstinkt der Bürgerlichkeit, der halt ebenso ausgeprägt ist wie ihr Kuschelbedürfnis mit Springer – man denke nur an Frau Friedes Empfänge, zu der die deutsche Politikelite vollzählig im Bratenrock pilgert wie Katholiken nach Santiago de Compostela.
Nein, es ist schon so, wie Anton Kuh einst so trefflich feststellte: „Wie sich der kleine Moritz die Weltgeschichte vorstellt – genau so ist sie.“ Was – übertragen – heißt: Wie das Gescherr, so auch der Herr. Oder: Wer bei Bild mitspielt – aktiv mitspielt! –, ist, ob er will oder nicht, dessen Helfershelfer, und sei es als Feigenblatt und hat das Recht zu allem möglichen – nicht aber, sich über die Macht der Diekmanns und Co. zu erregen. Ach, hätten wir im Politbetrieb zumindest der „Großen“ doch ein paar Brzezinskis mehr …

Hajo Jasper

Zwiespalt

von Margit van Ham

Es ist Januar. Gelbe Tulpen
hab ich auf den Tisch gestellt.
Kraniche flogen am Morgen
über grüne Felder. Riefen sie
den Frühlingsgruß?

Es ist Januar.Noch suche ich
den Himmel ab nach Wolken,
die Schnee versprechen und sehe
mich im Flockenwirbel über die
Wiesen gleiten.

(Januar 2012)

Jubiläumsstadel

„Wirf den Banker, wie du willst,
 er fällt immer auf dein Geld.“
 Kurt Tucholsky (1932)

1972, also vor jubiläumsreifen 40 (in Worten: vierzig) Jahren, hatte der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler James Tobin vorgeschlagen, eine Finanztransaktionssteuer auf internationale Devisengeschäfte einzuführen; nicht zuletzt, um dergestalt Spekulationen auf Währungsschwankungen einzudämmen. Dass dies bislang nie geschehen ist, ist ebenso bekannt wie nun, da das Kind endgültig im Brunnen gelandet ist, dass sich die staatsmännisch Großkopferten in einer Reihe von Euro-Ländern für eine solche Steuer ins Zeug legen. Die deutsche FDP freilich nicht, die gehört aber auch schon längst nicht mehr zu irgendwelchen „Großkopferten“.
Das nicht nur viel zu späte, dafür aber nun sogar scheinbare Engagement für eine solche Steuer ist neuerlich pure Heuchelei. Hat die jahrzehntelang gehätschelte Finanzwirtschaft doch durch die politischen Liebesbekundungen seitens unserer Regentschaften – ob schwarz, gelb, rot oder grün – Staaten wie den unseren in einem Schwitzkasten, der viel eher der Politik die Luft ausgehen lässt als der omnipotenten Wirtschaft. „Politik ist jener kleine Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt“, hat Dieter Hildebrandt schon zu Zeiten resümiert, als die deutsche Politik scheinbar noch kein Mündel der fleischgewordenen Taschenrechner war. Was also seit fast einem halben Jahrhundert bekannt ist, wird nun von den Sarkozys und Merkels mit von Ernsthaftigkeit gerunzelter Stirn für wünschenswert erklärt – nach jahrelangem und beständigen Verwerfen, wie zu erinnern ist. In Rede steht nun ein Steuersatz, der sich zwischen 0,01 und 0,1 Prozent besagter Transaktionswerte bewegen soll, wenn er denn kommt. Man möge diese „Größen“ordnung nicht vorschnell belächeln: Die Einnahmen aus der Umsetzung der Vorschläge der EU-Kommission soll ersten Schätzungen zufolge jährlich 57 Milliarden Euro bringen, selbst dann, wenn bei einem Kauf von Aktien im Volumen von 10.000 Euro lediglich Steuern von zehn Euro fälligwürden. Die Gesamtsumme fällt freilich nicht unter Peanuts und könnte den involvierten Staaten viel Gutes bringen, zum Beispiel auch bei zukünftig neuerlichen Bankenrettungen durch die Steuerzahler.
Unklar bleibt unsereinem als Otto Normalverbraucher dennoch, warum der Kauf oder Verkauf von Devisen, also von Waren, mit eben jener Petitessensteuer belegt werden soll, jener von Waren aller anderen Art aber im günstigsten Falle mit sieben, in der Regel aber mit 19 Prozent, die unsereiner alternativlos zu zahlen hat, wird Umsatz doch da wie dort getätigt? Aber da sehe ich sie schon vor mir, all jene Bescheidwisser in den Talkrunden, vor allem in jener des Bundestages, wie sie unsereinem Otto erklären, dass alles zusammenbräche, wenn solche ahnungslose Simplifizierung Platz griffe.
Und so erwarten wir also mit Spannung, was die uns repräsentativ Vertretenden im Sinne des Gemeinwohls betreiben werden. Wenn nicht zu unserem, wird’s zumindest zu dem der Ackermänner sein. Und das wäre doch deutlich mehr als gar nichts.

Heinz W. Konrad

A – wie Dürer? Nein – wie Altdorfer!

An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht. Vom großen Kollegen Albrecht Dürer – beide Konkurrenten arbeiteten zeitweise für Kaiser Maximilian I. – entlehnte er das prägnante „A“ der Signatur, stellte es zwiefach übereinander, und schon war die eigene kreiert – für: Albrecht Altdorfer. Der Meister (um 1480 – 1538) wirkte unweit von Dürer, in Regensburg.
Altdorfers Menschendarstellungen auf seinen Gemälden – nun ja, da konnte er Dürer das Wasser nicht reichen. Aber was Holzschnitt, Kupferstich und Federzeichnung anbetrifft, da war er ebenbürtig. In der Gemäldegalerie auf dem Berliner Kulturforum kann man sich derzeit davon überzeugen. Das Berliner Kupferstichkabinett hat aus seinen über 230 Blättern Altdorfers zwar nur etwas über 20 für eine kleine, aber sehr feine Sonderausstellung ausgewählt, doch die sind besonders repräsentativ für das Können des Künstlers. Eine Augenweide. Und als (seltene) Zugabe den Druckstock eines der Holzschnitte.
Trotz des zu Altdorfers Menschendarstellung Gesagten lohnt unbedingt auch ein Blick auf seine Gemälde einige Räume weiter, denn Altdorfer gilt einerseits als derjenige, der der Landschaft in der deutschen Malerei der Renaissance den Charakter des bloßen Beiwerks der Darstellung sakraler Themen oder auf Porträts nahm und die Natur zum eigenständigen, bisweilen dominierenden Gegenstand seiner Bilder machte. Wie er dabei mit Farben zauberte und romantische Stimmungen erzeugte, darin ist er andererseits zugleich Vorläufer einer weit späteren Kunstepoche.

Alfons Markuske

Gemäldegalerie auf dem Berliner Kulturforum am Matthäikirchplatz; noch bis 19. Februar, Di – So 10 – 18 Uhr, Do bis 22 Uhr.

Güldenes Scheißspiel

Das Burj Al Arab in Dubai gilt als das wenigstens zweitluxeriöseste und teuerste Hotel der Welt; inoffiziell mit sieben Sternen geadelt. Wie sich das in solchen Herbergen gehört, sind zur Innenveredlung des 321 Meter hohen und im Meer verankerten Häuschens auch 8.000 Quadratmeter Blattgold verarbeitet worden. Soweit, so pervers. Der spätrömischen Dekadenz (Copyright by Guido Westerwelle) ist – allein nur mal auf Gold bezogen – damit aber noch kein Ende gesetzt. Denn das  bis in die Küche von Deutschen geleitete Haus hat für dieses Edelmetall auch noch weitere Verwendung. Zum Beispiel für die optische Veredlung von Speisen. 24karätiges Blattgold ziert dann auch gern mal eine Vorspeise aus Seewolf, Kaviar und einem (in dieser Umgebung offenbar schon wieder exotischen) Radieschen. Und statt popligen Champagners wird beflissen ein Cappuccino mit ebenfalls 24karätigem Goldstaub gereicht. Wer also öfter oder länger oder beides im „Turm der Araber“ logiert und solch goldene Zeiten auch regelmäßig kulinarisch genießt (ein Gast lebt zum Beispiel schon seit sechs Jahren dort), dem dürfte es irgendwann gehen wie dem legendären Esel in Grimms Märchen: Er scheißt Gold. Und wahrscheinlich muss ihm dann vorher niemand das ausscheidungseröffnende Stichwort „Bricklebit“ zurufen…

Helge Jürgs

Wirsing

Ein Guinness-Buch-verdächtiges Gastspiel gab der Berliner Verbraucherschutzsenator Michael Braun im Roten Rathaus in Berlin (das übrigens klammheimlich in „Berliner Rathaus“ umbenannt wurde, obwohl die rote Klinkerfassade nach wie vor steht). Nach immerhin zwölf Tagen im Amt musste er wegen zweifelhaften Geschäftsgebarens als Notar gehen. Neues Deutschland titelte daraufhin: „LINKE will kein Geld für Braun“. Ja, wusste die Partei nicht, dass sie für ihn nichts verlangen kann, da Braun der CDU angehört? Selbst die eigene Partei kann Braun für Geld nicht losschlagen. Vielleicht zahlt er der Berliner CDU von seinen 50.000 Euro Übergangsgeld ein kleines Schmerzensgeld. Das hätte die LINKE vermutlich auch gern.

Fabian Ärmel