von Renate Hoffmann
Sie wussten, weshalb sie ihre Villen an diesem See bauten – die Altvordern und die Heutigen. Durchscheinender Dunst zieht in schmalen Bahnen über die Wasserfläche. Südwärts lassen sich die Berge ahnen. Das weiche Licht der Herbstmorgensonne dämpft die Farben. Auf den Bänken am Uferweg hocken Enten und der Frühtau. Kastanien fallen mit dumpfem Aufschlag, Eicheln platzen unter dem Tritt. Und wilder Wein rankt rotprunkend in dunklen Tannen.
Die kleinen Cafés in Seenähe bereiten den Tag vor. Tische und Stühle werden trocken gerieben, Terrassen gefegt. Lichter Wald und mit lockeren Baumgruppen bestandene Wiesen wechseln. Obwohl wir Dienstag schreiben, fühlt sich die Seele wochenendlich.
Possenhofen. Bei Fräulein Sissi vorbei. Obwohl belächelt, haftet doch ein Quäntchen Neugier. Hohe Mauern und hohe Hecken behindern die Inaugenscheinnahme des Schlosses. Privat. Streng privat! Verbotsschilder gegen unbefugtes Vordringen ringsherum. Nur vom Ufer aus ist ein befugter Blick auf Türme und Gebäude erlaubt. Ich begnüge mich.
Unmerklich nimmt die leicht ansteigende Landschaft parkähnliche Züge an. Man spürt eine ordnende Hand. Sie gehört Peter Joseph Lenné (1789- 1866). Was führt den Generaldirektor der preußischen Hofgärten und Vertreter einer naturnahen Gestaltung im Einvernehmen mit geometrischen Formen der Gartenkunst nach Bayern? Verbindungen auf höherer Ebene! Friedrich Wilhelm IV. von Preußen ehelicht Elisabeth Prinzessin von Bayern. Maximilian II. von Bayern heiratet Marie Prinzessin von Preußen. Beide Herren schätzen die Gartenkunst. Und Lenné steht in Friedrich Wilhelms Diensten. Das erleichtert die Umsetzung einer Idee.
Kurzfassung: 1853 vergibt Max den Planungsauftrag an Lenné. Carl von Effner – Schüler des preußischen Gartenarchitekten – überwacht die Ausführung. 1857 ist das etwa 60 Hektar große Gebiet im wesentlichen angelegt und nicht viel später zu gutem Ende gebracht. Ein darin vorgesehener Schlossbau entwickelt sich nur schleppend. 1864 stirbt Maximilian, und das königliche Bauwerk besteht lediglich aus den Grundmauern. Nachfolger Ludwig II. lässt sie beseitigen.
Doch der Park überdauert. Er spiegelt die Grundgedanken seines Schöpfers wider und gibt ihm alle Ehre. Weiträumige Wiesenflächen, geschlossene Gehölzgruppen; Baumriesen, die sich majestätisch spreizen; Sichtachsen und geschwungene Wege. Die Feldafinger Parklust steht unter Denkmalschutz und gehört zum Landschaftsschutzgebiet „Starnberger See und angrenzende westliche Gebiete“.
Einer der geschwungenen Wege führt mich zur Fährstation am Platanenrondell. Im Blick liegt die „Roseninsel“. Ein kleines, mit auserlesenen gärtnerischen Miniaturen geschmücktes Eiland. Die Überfahrt regelt ein Stolperreim: „Wer hier zur Roseninsel will, / der läute laut und warte still, / bis der Fährmann – falls er’s hört, sie gerne dann auf die Insel fährt.“
Das markante Rosenrondell der Insel – Ring legt sich um Ring – wäre auch aus der Luft sichtbar, führe man mit einem Ballon über den See. Den neugierigen Spaziergänger jedoch geleiten Lennésche Wege (Peter Joseph L. plante auch hier) auf dem idyllischen Überbleibsel aus der Würm-Kaltzeit. Schon in prähistorischen Tagen besiedelt, durch die Hände unterschiedlichster Besitzer gegangen, von Kriegshandlungen heimgesucht und zu vorletzt Eigentum der Wittelsbacher. Im Jahre 1850 von Maximilian II. ordnungsgemäß dem „Hoffischer“ Peter Kugelmüller für 3000 Gulden abgekauft. Und als Rückzugsort der königlichen Familie vorgesehen.
Die Einmaligkeit der kleinen Insel erkennt, außer der Familie Wittelsbach, der Besucher, der sie betritt. Das sah beizeiten ein Münchner Oberbaurat ebenso und umschwärmte den Starnberger See (1837): „Hier liegt der deutsche lago maggiore … “ Eine Sommervilla ersteht, „Casino“ benannt. Um sie legt sich ein grüner Mantel mit dem Juwel der geometrisch angeordneten Rosenbeete. Lennés Grundmuster im Kleinen.
An einem Juninachmittag 1852 lud Maximilian zu einer Inselbesichtigung Hans Christian Andersen ein. Während der Überfahrt las der Gast das Märchen vom hässlichen jungen Entlein vor. König und Dichter unterhielten sich „herzlich und vertraulich“, wie Letzterer berichtet. Er fügt hinzu: „Es war ein schöner Abend, der See vollkommen ruhig, die Berge so blau, die Schneegipfel glühten, das Ganze war ein Märchen.“
Ludwig II. übernahm dieses Märchen von seinem Vater und bestimmte es zum Ort seines Alleinseins. Nur wenige Auserwählte durften ihn besuchen. Die seelenverwandte Verwandte Elisabeth, österreichische Kaiserin, durfte es. Richard Wagner war jederzeit willkommen. Nach der Feier seines 55. Geburtstages auf der Insel schrieb Wagner an Ludwig: „O mein herrlicher König! Welcher Tag! Welches Leben! … “ Welcher Überschwang, Richard!
Der von ihm hochverehrten Zarin Maria Alexandrowna gab Ludwig 1868 ein glänzendes Fest am und auf dem Starnberger See. Programmpunkt Roseninsel: Diner und Serenade. Die Zarin soll darüber geäußert haben, das Diner auf der Roseninsel sei das poetischste ihres Lebens gewesen.
Staunen über das Sommerschlösschen, das „Casino“, einer architektonischen Mischung aus antiker Villa, italienischem Landhausstil und Schweizer-Haus. Einladend, ländlich nobel. Die Räumlichkeiten, zurückhaltend ausstaffiert, hat man bald durchwandert; es sind ihrer nicht viele. Dezent eingebrachte Dekorationen, Pompeji und der antiken Mythologie entlehnt, schmücken die Wände. Loggien, Balkone, Fensterfronten öffnen den Blick in die Weite.
Vom Gartensaal hinaus zum Rosarium, „Gärtnerellipse“ geheißen (nur der Wissende erkennt die Unvollkommenheit der Rundung). – Als Maximilian die Rosenidee verwirklichte, umstanden am Ende etwa 360 Hochstämme das Rondell. An die 1000 (tausend) Centifolien (Rosa centifolia) ließ er zusätzlich über die Insel verteilen. Information für Rosenfreunde (Mitteilung von 1898): „Moos-, Thee-, Bibernell-, Zimmet-, Pompon-, Monats-, Bourbon-, Bischofs-, Moschusrosen, Burgunder- und Dijonröschen.“ Düfte wogten, „wie man sie nur in Persien gesucht hätte.“ – Bei der sorgfältigen Neubepflanzung, die man in den letzten Jahren vornahm, fiel die Wahl ausschließlich auf alte, duftende Rosensorten.
Der Duft ist dahin. Hier und da nickt noch eine Blüte müde am Zweig. Der Herbst geht über die Insel.
Unbeeinflusst vom Jahreslauf und strahlend in Weiß, Blau und Gold, erhebt sich inmitten der „Gärtnerellipse“ eine Säule. Fünf Meter hoch, korinthisch, aus Glasröhren gebündelt, und obenauf die vergoldete Statuette eines Mädchens mit Papagei. Zu verstehen ist dieser Blickfang als modern-technisches Kunstobjekt aus dem Jahre 1854. Ein Geschenk Friedrich Wilhelms IV. – Preußen grüßt Bayern (ungewohnt, doch wahr).
Eine Umrundung der denkmalgeschützten Insel bedarf, trotz ihrer Kleinheit (2,56 Hektar), der Zeit. Die Ausschau auf See und Berge verzögert den Schritt. Ich denke an Hans Christian Andersens Lob. Es behält seine Gültigkeit.
Schlagwörter: Lenné, Ludwig II., Renate Hoffmann, Roseninsel, Starnberger See