14. Jahrgang | Nummer 25 | 12. Dezember 2011

Sprembergs Savonarola

von Heinz W. Konrad

„Noch immer hilft mir die Kritik von Dummköpfen nicht.“
(Erwin Strittmatter in „Lebenszeit. Ein Brevier“)

Für Blättchen-Leser dürfte die Kenntnisnahme dieser Meldung eigentlich genügen, um zu wissen, mit welch an die (Lokal-) Macht gekommener Geisteshaltung er es zu tun hat:
„Die Spremberger SPD hat eine Ehrung von Erwin Strittmatter (1912-1994) zu seinem 100. Geburtstag durch die Stadt im nächsten Jahr abgelehnt. ‚Für uns ist erwiesen, dass sich Erwin Strittmatter beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts freiwillig angedient hat’, sagte gestern der Vorsitzende der Stadtfraktion SPD-FDP-Pro Georgenberg/Slamen, Andreas Lemke. Der Autor sei es daher nicht wert, von der Stadt geehrt zu werden. Strittmatter wurde in Spremberg geboren und ging dort ins Gymnasium.“ (Potsdamer Neueste Nachrichten vom 5. 12.2011)
Besagter Blättchen-Leser möge es mir nachsehen, wenn ich mich angesichts solch eilfertiger, zumal noch sozialdemokratischer Speichelleckerei im Dienste zeitgenössischer Lufthoheiten denn doch ein wenig erbreche.
Gewiss – Politiker sind vor nichts gefeit. Handelt es sich bei einem strukturellen Schaden um Dummheit, so hat das dann immerhin den Vorteil, dass man ihnen deren Ergebnisse nicht allzu sehr verübeln kann, schon weil es ja zuvor genug dumme Wähler gegeben hat, solcher Dummheit auf irgendeinen Thron zu verhelfen. Im Falle Lemke/Strittmatter allerdings kann Dummheit wohl ausgeschlossen werden; jedenfalls weitgehend. Hier geht es um Kalkül, und zwar um jenes, sich den Über-Obrigkeiten per „unnachsichtiger“ Rigoristik für Höheres zu empfehlen.
Nun ist über die Vita des Andreas Lemke via Internet nur wenig zu erfahren. Seinem immerhin ersichtlichen Porträtfoto lässt sich indes entnehmen, dass er irgendwie auch die DDR überlebt haben muss – vermutlich in den schwer zugänglichen Wäldern der Mark versteckt, um nicht Opfer solcher Diktaturen-Lakaien wie Erwin Strittmatter zu werden. Und dabei war Lemke – und ist es möglicherweise noch immer – sicher damit beschäftigt, Proselyten in den Reihen jener SPD das Handwerk zu legen, deren Mitglied er ist. Herbert Wehner etwa, dem vormals führenden KPD-Nomenklaturkader, oder Ernst Reuter, dem zwischenzeitlichen Volkskommissar der Bolschewiki im Saratower Siedlungsgebiet der Wolgadeutschen; Namen, bei denen sich Lemkes Gesicht vermutlich ganzkörperlich zur Faust ballt. Auch dass ein Günter Grass der Sozialdemokratie allzeit solidarisch an die Seite springt, wenn diese Stimmen braucht, dürfte für Andreas Lemke weit jenseits der Schmerzgrenze liegen.
Immerhin ist es gut, dass man nun zuverlässig weiß, mit wem man es bei Herrn Lemke – allerdings ja wohl auch bei der Mehrheit seiner gesamten Stadtfraktion – zu tun hat. „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“, hat Hoffman von Fallersleben einst so unübertrefflich gesagt. Die jungfräulich unbefleckten Gewissen jener Lemkes hat er allerdings ebenso wenig gekannt wie Jesus all jene, die er aufforderte, doch den ersten Stein zu werfen, wenn sie sich frei von Schuld wähnen – auf Namen kommt’s bei dieser Haltung der Selbstgerechten aber auch nicht an.
Nun ist Strittmatter freilich – vermutlich im Ergebnis einer kryptokommunistischen Intrige – noch immer Ehrenbürger von Spremberg, wo er 1912 geboren wurde. Das Gymnasium, das heute seinen Namen ebenso trägt wie eine Erwin-Strittmatter-Promenade, sollte sich schon mal nach einem nominellen Ersatz umschauen. Immerhin stehen die Savonarolas in Gestalt der Lemkes nun ante portas, um Strittmatter final zu erlegen. Und einen Fauxpas, wie zum Beispiel das relativ nahe Forst, das einem Adolf Hitler erst 2009 die Ehrenbürgerschaft aberkannt hat, oder das ebenfalls nicht unweite Lübben, wo dies immerhin schon 2008 geschah (wer hat eigentlich in der DDR-Zeit auf so was geachtet?) will man sich in Spremberg sicher nicht auch noch leisten. Das sicherste Mittel, um durch eine eventuell neuerlich falsche Namenswahl noch einmal ins Lemkesche Fadenkreuz zu geraten, dürfte darin liegen, den Namen des würdigungsunwerten Strittmatter gegen jenen des Herrn Lemke auszutauschen: „Andreas-Lemke-Promenade“ – das hätte doch was, oder?
„Grodk [niedersorbisch für Spremberg – der Verf.] liegt im Tale, sagen die Sorben. Spremberg liegt am Berge, sagen die Deutschen. Spree am Berg gleich Spremberg. Grodk gleich Stadt, sagen die Sorben, wir sein länger hier wie die Deitschen.“ (Erwin Strittmatter in seiner Romantrilogie „Der Laden“) Es beruhigt doch gar sehr, dass man davon ausgehen darf, dass von Erwin Strittmatters großer Literatur noch die Rede sein wird, wenn sich die Beziehung der Lemkes zu ihm lediglich auf ihre gemeinsame Bestattung in Brandenburger Erde reduziert, nicht aber – die Familien ausgenommen – in der Erinnerung an sie bestehen wird.