14. Jahrgang | Nummer 26 | 26. Dezember 2011

Morgenländisches

von Renate Hoffmann

Die Auslegung ist schwierig, der historische Sachverhalt nur in Grenzen nachweisbar. Vermutlich war es so: In Jerusalem herrschte ab 37 v. Chr. Herodes, vom römischen Senat als König von Judäa eingesetzt. Außenpolitisch musste – Rom gefällig – die östliche Grenze zum Reich der Parther gesichert werden. Innenpolitisch galt es, jüdischen Widerstand gegen die römische Vorherrschaft niederzuhalten; vor allem aber, die eigene Machtposition gegen religiöse Gruppierungen im Lande zu behaupten.
Die Ungewissheit beginnt mit der Zeitberechnung. Herodes starb im Jahr 4 v. Chr. Demzufolge konnte er nicht derjenige sein, zu dem die „Weisen aus dem Morgenlande“ zogen, um ihm eine beunruhigende Frage zu stellen. Lag die Geburt Christi jedoch vor Beginn der Zeitenwende (man nimmt an, dass es sieben Jahre früher geschah), so traten die drei Sternkundigen, Gelehrten, Magier, Könige doch vor diesen Potentaten und brachten ihn in große Verlegenheit: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten. Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem.“ (Neues Testament; Matthäus, Kapitel 2; 2,3)
Möglich wäre es, dass der König im Jahre 8 v. Chr. von einer bevorstehenden außergewöhnliche Himmelserscheinung erfuhr, verbunden mit einschneidenden Konsequenzen auf der Erde. Handelte es sich dabei tatsächlich um die Geburt eines Judenkönigs, wie in der Vergangenheit mehrfach prophezeit, so sah Herodes seinen Thron in Gefahr.
Mag auch sein, dass man dem Herrscher zwar das zu erwartende Ereignis am Himmel voraussagte – die Astronomie stand zu dieser Zeit mit Kenntnissen und Erkenntnissen in hoher Blüte – er aber, um Gewissheit zu erlangen, Sachverständige der Sternenkunde aus dem „Morgenland“ kommen ließ. Das Morgenland tat sich östlich von Judäa auf. Dort lag Babylon, die Hochburg von Astronomie und Astrologie. Dort lag auch Ekbatana (heute Hamadan), ebenfalls ein Hort der Wissenschaften. Wahrscheinlich stammten die „Weisen“ aus dieser Stadt in Medien. Man vermutet in ihnen Vertreter der „Magoi“ (Magier), einer medo-persischen Priesterkaste, bekannt durch ihre Gelehrsamkeit.
Und wie verhielt es sich mit dem Stern, der Herodes in Angst und Schrecken versetzte und die Magier auf den Plan rief? Aus gegenwärtiger Sicht konnte es weder ein Komet, noch eine Supernova gewesen sein. Sehr wahrscheinlich handelte es sich um eine Dreifach-Konjunktion von Jupiter und Saturn. Dabei begegnen sich beide Planeten dreimal in zeitlichen Abständen. In dieser Stellung gewinnt der Beobachter den Eindruck eines einzigen Sterns von besonderer Helligkeit. Der Umstand ließ sich rückwirkend für das Jahr 7 v. Chr. errechnen und bestätigen. Überraschenderweise ist er auch auf einer babylonischen Keilschrifttafel für den gleichen Zeitraum exakt beschrieben …
Vielleicht aber war es ganz anders. Für diesen Teil der Historie gibt es gültige Beweise. Zu entdecken auf einem Kapitell der Kathedrale St.-Lazare in Autun, der schönen Stadt im Burgunderland. Meister Gislebertus (12. Jh.), weithin berühmter Bildhauer der Romanik, erzählt die Legende in köstlicher Ungezwungenheit.
Drei kronentragende Männer liegen gemeinsam unter einer gezierten, faltenreichen Decke auf der Schlafstatt. Dicht beieinander. Der Eine schläft unruhig, die Lippen leicht geöffnet (er schnarcht!). Der Mittlere, von beiden Seiten gewärmt – die Nächte im Morgenland sind kühl – schlummert entspannt. Seiner Physiognomie nach ist er der Jüngste unter den Dreien. Der schnauzbärtige Dritte dreht sich etwas auf die Seite. Aus Platzmangel. Die Gefährten machten sich zu breit. Er legt den rechten Arm auf die Decke, damit sie nicht weggezogen wird. Man kennt das bei Drängelei im Bett.
Und nun geschieht das Mysterium. Ein Flügelwesen, mit Locken, Mützchen und Aureole, sehr sympathisch, schwebt herab und berührt die Hand des Schnauzbärtigen. Der reißt entsetzt die Augen auf und sieht, wie die Gestalt mit dem linken Zeigefinger auf einen Stern weist. Die Botschaft ist unmissverständlich: Aufstehen, Leute, nicht tatenlos herumliegen! Dem Stern folgen und unverzüglich nach Bethlehem gehen!
Was sich fürderhin begab, beschreibt Heinrich Heine im Buch der Lieder: „Der Stern blieb stehn über Josephs Haus, / Da sind sie hineingegangen; / Das Öchslein brüllte, das Kindlein schrie, / Die heil’gen drei Könige sangen.“