von Korff
Korff (1), nicht, wie weiland der vor gut 150 Jahren von Eduard Mörike dahin fabulierte „Mozart auf der Reise nach Prag“ per Kutsche, sondern weit darüber hinaus nach Piestany, was heute Slowakei ist, und per Bus, also in mehr Kommunität, was Tücken haben kann.
Etwa 60 Kilometer vor Prag an neuer Autobahn der Abzweig „Terezin“.
Eine alleinreisende Dame, bisher an keinem Gespräch beteiligt, in Zeichen innerer Betroffenheit.
Eine andere alleinreisende Dame, dadurch kontaktfreudig stimuliert, reagiert fragend.
Die Erste, auf die Ausfahrt deutend: „Wenn ich früher mit dem Auto über die Landstraße hierher gekommen bin, habe ich das Gelände weit- und zeitaufwändig umfahren.“
Die Zweite: „Aber warum?“
Die Erste, zögerlich, doch gut erzogen, zumal die eigene offenbar nach außen gedrungene Gefühlsaufwallung bedauernd: „Das jüdische Ghetto, das KZ“. (2)
Die Zweite, informativ lebhaft interessiert: „Hier? Ich habe kein Hinweisschild gesehen.“
Die Zweite nach kurzem Zögern erneut in das Schweigen: „Ich meine, das könnte man doch hier auch erwarten.“
Und weiter ihre damit zusammenhängende Begründung: „Bei uns an der Berliner Autobahn zum Beispiel stehen unübersehbar große Hinweise ‚Gedenkstätte Hohenschönhausen’.“ (3)
Mehrere Businsassen deuten Interesse am Fortgang des Gesprächs an, aber ersichtlich ohne eigenen Beitrag. Langsames Desinteresse; dann unterbricht Korff die Echo-lose Zeit: „Hier entstand auch der Dokumentarfilm ‚Der Führer schenkt den Juden eine Stadt’.“
Die Zweite, erfreut über die Themen-Erweiterung hin zur Kultur: „Ach, davon habe ich noch nichts gehört. Man sieht’s wieder: Es ist eben nicht alles schwarz oder weiß.“
Nach einigem Innehalten strebt der Vergleichstrieb erneut hervor, offenbar mit Nachsicht angefüllt: „In der DDR war ja wohl auch nicht alles schlecht.“
Sie mustert Zustimmung suchend das Publikum: Nickendes Echo fast aller Umsitzenden.
Wer könnte gegen diese Lebenserfahrung auch was Anständiges vorbringen?
In Korff, bei äußerer Contenance, tobt wieder einmal der Kampf gegen den Drang, Missverständnissen zu steuern, unter besonderer Berücksichtigung solcher, durch ihn initiiert. Und unterlässt es hier, wenn auch widerwillig. Aber noch sieben Stunden im gleichen Bus!
Das Schicksal hat mehr mit ihm vor: Im Kurhotel erwartet ihn Zimmer 5502. Die eine der Damen hat 5501, die andere 5503. Drei Wochen gebucht haben alle.
*
(1) – „Korff“ – nur sehr mittelbar, aber vielleicht doch in irgendeiner Verbindung zu Morgensterns „Korf“ zu verorten, der beispielsweise dieser Kulturzutat zur Existenz verhalf:
Korf erfindet eine Art von Witzen,
die erst viele Stunden später wirken.
Jeder hört sie an mit Langerweile.
Doch als hätt’ ein Zunder still geglommen,
wird man nachts im Bette plötzlich munter,
selig lächelnd wie ein satter Säugling.
(2) – Karel Margry: „Das Konzentrationslager als Idylle: Theresienstadt“ – „Zwischen 1944 und 1945 produzierten die Nazis einen Propagandafilm über Theresienstadt, das Konzentrationslager für Juden in der besetzten Tschechoslowakei. Zweck dieses Films war es, ein falsches Bild von Theresienstadt zu geben und die Außenwelt darüber zu täuschen, was wirklich mit den europäischen Juden geschah. Der Film wurde im August und September 1944 gedreht; seine Darsteller waren die jüdischen Häftlinge des Lagers selbst: Hunderte wurden als Statisten eingesetzt oder mussten eine spezielle Rolle übernehmen. Die SS-Lagerkommandantur machte den Berliner Kabarettisten, Schauspieler und Regisseur Kurt Gerron, selbst Häftling in Theresienstadt, zum Leiter eines jüdischen Produktionsstabes […] Wurde danach, wie die meisten Mitwirkenden, […] ermordet.“
(3) – Benannte Institution weiß im Gedenk- und Erinnerungsgeschäft wohl ordentlich Bescheid, wie ihren Internet-Seiten zu entnehmen, was Korff, dort zur Kenntnisnahme ausdrücklich aufgefordert, hiermit weiter verbreitet: „Am gestrigen Montag (21.11.) fanden in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Dreharbeiten zu einem historischen Zweiteiler mit dem Arbeitstitel ‚Deckname Luna’ statt. Im Rahmen der Filmarbeiten standen wieder uniformierte Stasi-Offiziere vor dem ehemaligen Gefängnis des DDR-Staatssicherheitsdienstes in Berlin-Hohenschönhausen. Mit vor Ort war auch Hauptdarstellerin Anna Maria Mühe.“
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Da kommt Korff gerade erst von seiner anstrengenden Kur zurück, und schon hat er ein neues Film-Problem: Was ist ein „historischer Zweiteiler“ – Jacke und Hose, oder wie?
Schlagwörter: Berlin-Hohenschönhausen, Gedenkstätte, Korff, Kurt Gerron, Staatssicherheit, Theresienstadt