von Helfried Jordan
Was den Profisport betrifft, so hat man allen Anlass, Ethik und Moral dort nur noch als Spurenelement zu vermuten. Vielmehr ist längst, längst knallhartes Geschäft geworden, was einst als zwar individuell oder kollektiv ehrgeizige, sonst aber harmlose Freude am sportlichen Wettstreit daherkam. (Für jüngere Leser: Ja, so was hat´s gegeben.) Umso überraschter und vor allem eingenommener ist man, wenn einem Relikte dieses alten, eigentlichen und erledigt scheinenden Sportsgeistes wieder begegnen – und nicht nur als wehmütig beschworene Nostalgie sondern als philosophischer Anspruch eines Fußballklubs. Unserer Tage. Eines Klubs, der allerdings immer schon mehr war als ein lediglich weiterer Mitwirkender in seiner Szene. Union Berlin, mit seinem Stadion stationiert in der östlichen Wuhlheide, war für seine Fans bereits zu DDR-Zeiten eine komplette, vor allem auch unabhängige Identifikationsprojektion als Heimat, ganz gleich, auf welcher Stufe der Erfolgsleiter sich die Elf jeweils befand.
Während nun allerorten darauf verwiesen wird, dass man sich heute als Fußballklub, zumal der oberen Liga-Regionen, Romantik nicht mehr leisten kann – und dies natürlich ausdrücklich der Fans wegen, die doch Erfolg, Erfolg und nichts als Erfolg wollen, na was denn sonst –, bewahrt sich Union Berlin seinen sportlichen Anspruch und zwar im wahrsten Sinne seines Beinamens: eisern. Eben erst hat sich Union-Präsident Dirk Zingler diesbezüglich neuerlich erklärt. Anlass war der Entscheid der Kluboberen, die überfällig neue Haupttribüne des Stadions „An der alten Försterei“ dadurch zu finanzieren, dass Union keine großmächtigen Geldgeber sucht, die dann den Klub per ökonomischer Abhängigkeit für sich vereinnahmen, sondern die Mittel aufzubringen will, indem die Fans Aktien auf das Stadion kaufen können: Union verkauft seine Seele also, gewiss, aber eben an die Vereinsmitglieder; Geld und Klub bleiben sozusagen in der Familie. Unternehmen, die sich „ihren Fußballklub“ halten wie unsereins ein Haustier – günstigenfalls wie eine ertragreich melkbare Milchkuh oder doch wenigstens als Abschreibungsobjekt –, bleiben draußen. „Das ist kein Trick. Das ist Überzeugung“, erklärt Zingler das. „Wir wollen ganz klar Kante und Haltung zeigen. Wenn eine Firma wie Red Bull sich einen Verein kauft, um ihre Produkte besser verkaufen zu können, dann wird eine Grenze überschritten. Ich habe nichts dagegen, wenn vermögende Menschen sich in Vereinen engagieren. Ob dass Herr Hopp in Hoffenheim ist oder Herr Abramowitsch bei Chelsea. Wenn sich aber die Reihenfolge verschiebt, wenn erst ein Produkt da ist und dann der Fußballverein dazu gekauft wird, dann führt das den Sport ad Absurdum. Dem wollen wir bewusst etwas entgegensetzen.“
Aber das ist nur die eine Seite der Erstaunlich- und Erfreulichkeiten, von denen „die Eisernen“ trotz der rauen Branchen-See um sie herum nicht bereit sind, abzulassen. Zingler in der Berliner Zeitung: „Die erste Liga ist unser sportliches Ziel. Für mich wäre die Bundesliga aber wie ein Urlaub, auf den ich lange gespart habe. Ich würde gerne mal da oben mitmachen, durch alle Bundesligastadien tingeln, in Dortmund vor der Südtribüne spielen mit 26.000 Menschen. Das ist ja gar keine Frage. Aber es wäre eben eher wie ein Ausflug. Es wäre nicht das, was wir immer haben werden. Am Ende wäre ich wahrscheinlich froh, nach einer Saison wieder bei mir zu Hause zu sein. In der etwas kleineren Fußballwelt. Wir könnten nicht wir bleiben, wenn wir dauerhaft in der Bundesliga spielen würden. Wir definieren uns nicht vor allem über den sportlichen Erfolg. Weil wir sonst mitmachen müssten in diesem Kapitalwettstreit. Sie haben es ja gesagt: Wer siegen will, muss Geld mitbringen. Das kann nicht unsere Logik sein. Viele Vereine wollen so erfolgreich wie Bayern München werden. Und dabei verschulden sie sich maßlos. Gott sei Dank haben wir ja in Berlin zwei grundverschiedene Angebote zur Auswahl.“ – Wann und wo vernimmt man solches heutzutage noch und darf überdies davon ausgehen, dass dies dann auch noch ernst gemeint ist?“
„It’s coming home, it’s coming home, it’s coming, football’s coming home” – hieß es bei der Fußball-WM in England von 1966 – nicht nur, weil diese von den Three Lions (das Trikot-Wappen der Angelsachsen) damals auch gewonnen wurde, sondern weil der Fußball als wunderbare Mannschaftssportart von der Insel aus einst seinen Siegeszug um die Welt angetreten hatte. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob in den dortigen Ligen und Klubs dieses rein sportliche „Comming home“-Verständnis heute noch anzutreffen ist. Union Berlin darf den Sinngehalt dieses Mottos indes für sich in Anspruch nehmen – aber eisern!
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